Theologie-Systematisch
Theologische Anthropologie
§ 7. Der erlöste und befreite Mensch
Heilsgewissheit-Texte


"Was also versteht Luther unter Heilsgewißheit?

Wenn wir alle getroffenen Abgrenzungen zusammennehmen
und durchhalten und außerdem im Auge behalten, daß allein
der Glaube Heilsgewißheit schafft, dann müssen wir sagen:

Heilsgewißheit und Glaube sind sachlich identisch.

Meines Heiles werde ich gewiß, indem ich das Vergebungs- und Gemeinschaftswort Got-
tes, das er um Christi willen zusagt und kundmacht, ergreife - wobei dieses Ergreifen immer
gefährdet, ungesichert bleibt, die Anfechtung niemals hinter sich läßt. Meines Heiles werde
ich gewiß, indem ich das, was Gott in Christus getan hat, auf mich und meine Sünden bezie-
he, Gottes Vergebungs- und Gemeinschaftswort mir gesagt sein lasse. Man sieht:

die Beschreibung dessen, was Heilsgewißheit begründet, und die Beschrei-
bung dessen, was nach Luther >Glaube< heißt, sind exakt dieselbe.

Die Heilsgewißheit steht und fällt mit dem je neuen Vollzug dieses Glaubens, sie
überwindet ihre eigene Ungesichertheit und Gefährdung dadurch, daß der Glau-
be immer neu seine Angefochtenheit überwindet. Man könnte sagen:

Heilsgewißheit ist die Erkenntnisseite des Glaubens,
das Bewußtsein von dem, was im Glauben geschieht:
die empfangende Annahme der rettenden Gemeinschaft mit Gott.

Weil die Annahme der Gottesgemeinschaft im Glauben immer wieder neu geschehen muß
und niemals einfach fertig ist, deshalb ist einerseits deutlich, daß ich über die Heilsgewiß-
heit niemal
s eine Art Bescheinigung ausstellen, sie niemals 'objektivieren', mich ihrer nie
noch einmal vergewissern kann. Andererseits ist klar: im Glauben, der das Heilswort Got-
tes annimmt und in die neue Gemeinschaft mit Gott eintritt, von Heilsungewißheit zu reden,
heißt eben dadurch den Glauben und damit das Heil selbst aufheben, so daß man für Luther
die Gleichung aufstellen kann: Heilsungewißheit ist Heilsverlust. Darum hat Luther so er-
bittert für die These von der Heilsgewißheit gestritten:
In ihrer Leugnung mußte er das Heil der Christenheit bedroht sehen...

Luthers Predigt von der Heilsgewißheit wäre nicht vollständig zusammengefaßt, wenn wir
nicht noch hinzufügten: Die niemals objektivierbare, nur im Vollzug des Glaubens selbst
gegebene Heilsgewißheit erfährt doch eine quasi-objektive Bekräftigung, nämlich in den
guten Werken. Das gute Werk macht gewiß, daß der Glaube, der seinerseits die Heilsge-
wißheit verbürgt und ist, wirklich da und nicht nur, wie Luther es ausdrückt, 'erdichteter',
'gefärbter' Glaube ist. Wo keine guten Werke sind, da kann man nicht wissen, ob der
Glaube recht sei,  ja da ist sicher, daß gar kein Glaube da ist"

(O.H. PESCH, Hinführung zu Luther, Mainz 32004, 139f)

"Die ärgerlichen, ja verhängnisvollen Mißverständnisse in der Frage nach der Heilsgewiß-
heit liegen offen zutage. Das Konzil von Trient hat der reformatorischen Theologie zumin-
dest indirekt sogar die Behauptung einer Prädestinationsgewißheit unterstellt... Eine auf-
merksame Lektüre der Texte des Konzils von Trient im Vergleich mit der richtig verstan-
denen Lehre Luthers ergibt, daß das Konzil genau das ablehnt, was auch Luther ablehnt:
eine Gewißheit der Gnade im Menschen, eine Prädestinationsgewißheit... Das Konzil be-
tont andererseits eben jene Gesichtspunkte die Luther wichtig sind: die Verläßlichkeit
und Alleingenügsamkeit der Gnade Gottes in Christus, den menschlichen Wankelmut
und die damit gegebene Gefährdung von Glaube und Heil."


(O.H. PESCH, Hinführung zu Luther, Mainz 32004, 141f)
"Das Konzil von Trient hat ein wichtiges Traditionszeugnis unbeachtet gelassen, das es
ihm ermöglicht hätte, positiv auf Luthers Predigt von der Heilsgewißheit einzugehen,
nämlich die scholastische Lehre von der Gewißheit der Hoffnung. Die neuere Forschung
hat, nicht zuletzt
angeregt durch Luthers Lehre von der Heilsgewißheit, diese mittelalter-
liche Lehre näher un
tersucht und gezeigt, daß sie sich bis zur Übereinstimmung in der
Sache mit Luthers Lehre
von der Heilsgewißheit deckt. Denn die Gewißheit der Hoffnung
stützt sich allein auf Gottes allmächtiges Erbarmen und auf sonst nichts."


(O.H. PESCH, Hinführung zu Luther, Mainz 32004, 142)