Theologie-Systematisch
Theologische
Anthropologie
§
6. Die Sündhaftigkeit des Menschen
Texte
"die
Sünde ist nur des Menschen dummes Nein zu seiner ureigenen, gottge-
schaffenen Würde... Sünde ist also
als Sünde der Versuch,
sich selbst zu ne-
gieren, indem man in Torheit meint, man würde nicht sich, sondern Gott ne-
gieren. Sünde wäre dann die grauenhafte Selbsttäuschung des Menschen,
nämlich sein Nein zum ureigenen Sein."
(Hans Hübner, Gottes und
des Menschen Ich. Ein Beitrag zur Biblischen Theologie,
in: Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto
Kaiser zum 80. Geburtstag. 2
Bände, hg. v. Markus Witte (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche
Wis-
senschaft 345/I+II) Berlin-New York 2004, 963-985,
979)
"Sünde
ist... nicht nur, was frei begangen ist, sondern...
alles, was uns von Gott und von den Menschen trennt."
(Franz Jalics, Kontemplative Exerzitien, Würzburg
1994, 179)
"Sünde
ist... die Dislokation des Menschen im Netz-
werk der Beziehungen, die sein Dasein ausmachen."
(Chr. SCHWÖBEL, Christlicher Glaube im Pluralismus, Tübingen
2003, 434)
"Wer vor den Augen des Schöpfers
sündigt,
fällt in die Hände des Arztes"
(Jesus Sirach 38,15)
"'Sünde' entsteht
aufgrund zweier Ursachen:
Unwissenheit (agnoia) und Schwäche/Kränklichkeit
(asteneia)"
(M. DÖRNEMANN, Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen
Kir-
chenväter (Studien und Texte zu Antike und Christentum
20) Tübingen 2003,
106 (mit Bezug auf Klemens von Alexandrien, Strom. II 62, VII
16,2; 101,6))
"Die Sprache des Marktes dringt
heute in alle Poren ein und presst alle zwi-
schenmenschlichen
Beziehungen in das Schema der selbstbezogenen Orien-
tierung an je eigenen
Präferenzen. Das soziale Band, das aus gegenseitiger
Anerkennung geknüpft
wird, geht aber in den Begriffen des Vertrages,
der rationalen Wahl
und der Nutzenmaximierung nicht auf."
(J. Habermas,
Glauben und Wissen, Rede anläßlich der Verleihung
des
Friedenspreisesdes Deutschen Buchhandels am 14. Oktober 2001)
"Irenäus betont, dass Gott nicht
von sich aus straft. Die Strafen,
z.B. Krankheit, Verlust aller Güter und Tod,
zieht sich der Mensch
selbst zu durch die Trennung von Gott; sie sind Folgen dieses Vergehens."
(M. DÖRNEMANN, Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen
Kirchenväter (Studien und
Texte zu Antike und Christentum 20) Tübingen 2003, 303,
mit Bezug auf IRENÄUS, haer. V 27,2)
"Die Menschheit, wir
alle, sind das verlorene
Schaf, das in der Wüste keinen Weg mehr findet."
(Papst Benedikt XVI., aus der Predigt
zur Amtseinführung am 24. April 2005)
"es gibt vielerlei
Arten von Wüsten. Es gibt die Wüste der Armut, die Wüste
des Hun-
gers und des Durstes. Es gibt die Wüste der Verlassenheit, der
Einsamkeit, der zer-
störten Liebe. Es gibt die Wüste des Gottesdunkels, der Entleerung
der Seelen, die
nicht mehr um die Würde und um den Weg des Menschen wissen. Die
äußeren Wü-
sten wachsen in der Welt, weil die inneren Wüsten so groß
geworden sind. Deshalb
dienen die Schätze der Erde nicht mehr dem Aufbau von Gottes Garten,
in dem alle
leben können, sondern dem Ausbau von Mächten der Zerstörung."
(Papst Benedikt XVI., aus der Predigt
zur Amtseinführung am 24. April 2005)
"Gewiss ist Lk 13
einer der härtesten Texte der Bibel. Nach Jesu Wort haben alle
ganz gewöhnlichen
Sünder - wir inbegriffen - den Tod verdient. Die Folgen unse-
res Tuns insgesamt
haben uns längst das Todesurteil eingetragen; denn fortgesetzt
zerstören wir Leben. Die verdiente Todesstrafe trifft uns nicht, weil Gott
sich das
so ausgedacht hätte, sondern weil er gerecht ist. Der Glaube an Gerechtigkeit
aber
ist für unsere Tradition (Juden, Christen, Moslems) schlechthin maßgeblich
für
das Verständnis von Wirklichkeit. Für die 4 Milliarden menschen, die sich auf
Abraham berufen, ist Gerechtigkeit der Rahmen des Sinns, wenn es überhaupt ei-
nen gibt. Jesus sagt nach Lk 13: Wer durch eine Katastrophe umkommt, hat es
schlicht verdient, aber eben nicht mehr als andere. Dann aber werden Katastro-
phen 'neben uns' zu Warnsignalen."
(K. Berger, Jesus, München 2004, 101f)
"Die Sünde besteht
immer darin, dass wir keine Zeit haben. Geld ist etwas Gutes,
nur der Bankräuber
will sofort zu Geld kommen; Sex ist etwas Schönes, nur der
Vergewaltiger will
sofort und ohne Rücksicht auf Verluste am Ziel sein. Ansehen
ist etwas Schönes, nur der Ehrgeizling will es so schnell, dass er, wie Jesus es
ausdrückt, 'seiner Seele schadet' oder ' mit seinem Herzen dafür büßen muss'.
Alle Sünde ist kurzatmiges Raffen. Das Herz kann nicht mitwachsen, es wird
buchstäblich überfahren. Durch das Raffen wird der Mensch nicht nur betrogen,
am Ende macht dieses Handeln auch ihn selbst kaputt."
(K. Berger, Jesus, München
2004, 199f)
"Laut katholischer Lehre
betrifft die Erbsünde alle Menschen (außer Jesus Chris-
tus und seine Mutter) vom ersten Moment ihrer Existenz an. Das kann so verstan-
den werden: vom Anbeginn seiner Existenz - je früher desto mehr - ist
der Mensch
offen für Prägungen von außen, die in seine Konstitution
eingehen; die Erbsünde
öffnet ihn nun gerade für solche Prägungen, die ihn
zum Negativen beeinflussen
und zum Bösen neigen. Diese innerliche Beeinflussbarkeit zum Bösen
besteht also
von Anbeginn der Existenz des Menschen... In einer theologisch strengen Fach-
sprache sollte der Ausdruck Erbsünde daher als dispositionaler Ausdruck
ge-
braucht werden. Die Folge der Erbsünde ist die Neigung zum Bösen
oder traditi-
onell gesprochen die Konkupiszenz, was wiederum ein dispositionare Ausdruck
ist."
(N. Wandinger,
Theologie der Erbsünde im Zeitalter von Evolutionstheorie und Ge-
netik. Chancen
und Grenzen des Dialogs, in: H. Hoping/M. Schulz (Hgg.) Unheil-
volles Erbe? Zur Theologie der Erbsünde (QD 231) Freiburg/Bg. 2009,
120-140, 134)
Sünde ist "die Bestimmung und die Deutung ethischer Schuld von den Möglich-
keiten Gottes her, sofern wir im Glauben Anteil an ihnen gewinnen können"
(Thomas Pröpper, Theologische Anthropologie II, Freiburg 2. Aufl. 2012, 720)
Der Begriff Sünde bezeichnet "den Widerspruch zwischen dem gleichgültigen oder
kleinmütigen Zurückweichen vor den Zumutungen der Liebe und dem Glauben an
den Gott der Liebe, der in der Liebe zu den Menschen kommen will; er meint also...
das mangelnde Vertrauen auf die Verheißungen der Liebe und damit auf Gott selbst,
der für diese Verheißungen einsteht".
(Jürgen Werbick, Schulderfahrung und Bußsakrament, Mainz 1985, 45f)
"immer ist Sünde... der von vorneherein aussichtslose Versuch des Menschen,
das Problem der Freiheit, als die er existiert, aus eigenem Vermögen lösen zu
wollen: aussichtslos nämlich als Verfehlung der eigenen Bestimmung und des-
halb Schuld und Unheil - beides zugleich"
(Thomas Pröpper, Theologische Anthropologie II, Freiburg 2. Aufl. 2012, 737)
"Sünde ist... Blindheit für die Quelle des Lebens -
oder Blindheit dafür, was man Gott verdankt"
(Ingolf U. Dalferth, "Blindheit für die Quelle des Lebens",
Interview im Deutschlandfunk am 19.10.2020))