Diese sehr
aufwändig gestaltete Edition eines der Hauptwerke des bekannten Theologen
und Geschichts-
philosophen steht im Kontext einer bereits seit Jahrzehnten währenden
Bemühung um eine auf rund 20
Bände angelegte kritische Gesamtausgabe der Schriften Troeltschs,
über die
auf
den Internet-Seiten der
LMU
München näher informiert wird. Motiviert ist die gesamte Edition
aus der Tatsache, dass Troeltsch
"in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der wichtigste
deutschsprachige Theologe (gewe-
sen sei), der die Diskussion um Religion unter den Bedingungen der modernen
Gesellschaft weit über
die Theologie hinaus entscheidend bestimmte". Für die interdisziplinären
Aufgaben der Theologie im
Verhältnis zu diesen Wissenschaften (d.i. Geschichtswissenschaft,
Philosophie und Soziologie) sei er bis
heute der wichtigste Anknüpfungspunkt, erklärt
an
gleicher Stelle die Ernst-Troeltsch Gesellschaft e.V.
In einer ausführlichen
Einleitung, der eine Reihe von Bildtafeln zu zeitgenössischen Editionen
der Wer-
ke Troeltschs vorgeschaltet
sind, macht der Herausgeber detaillierte Anmerkungen zum werkgeschichtli-
chen Kontext der vorliegenden
Edition, zum Inhalt und Aufbau des Ersten Buches des edierten Werkes
sowie zu einer Reihe offener
Fragen zum Zweiten Buch. Ein ausführlicher editorischer Bericht schließt
sich an, bevor der edierte
Text in beiden Bänden folgt und eine Reihe von Registern die insgesamt
über
1400 Seiten beschließen.
Das unfreiwillig zum Vermächtnis
des Autors gewordene bzw. stilisierte, letztlich freilich Fragment ge-
bliebene hier edierte Werk,
so erläutert der Herausgeber in der Einleitung, sei in all seinen gelehrten
Er-
kundungsgängen "auf
ein gegenwartsnah zugespitztes Grundproblem ausgerichtet: auf die Vermittlung
von Geschichte und Normativität"
(2). Troeltsch habe selbst den "Zusammenstoß des historischen Den-
kens und der normativen
Festsetzung von Wahrheiten und Werten" als "die Hauptfrage aller Geschichts-
philosophie" bezeichnet
(Belege ebd.). Dabei stehe zuletzt die religiöse Motivation im Zentrum,
denn:
"Wie läßt sich
der je eigene, persönliche Gottesglaube, lebensursprüngliches Vertrauen
auf einen abso-
luten Sinngrund alles Endlichen,
mit der modernen Denkrevolution, der historistischen Einsicht in die
unhintergehbare Bedingtheit
alles Geschichtlichen vermitteln? Wie kann angesichts des Wissens um die
Relativität aller historischen
Wirklichkeit kulturellen Realitäten überhaupt noch normative Verbindlich-
keit zuerkannt werden? Bedeutet
die progressive Historisierung des kulturellen Wissens nicht notwendig
die völlige Preisgabe
aller ethisch relevanten Geltungsansprüche?" (2f). Troeltschs Lebenswerk
lasse
sich in all seinen Segmenten
"als Versuch einer Ausarbeitung und Beantwortung dieser Fragestellung
rekonstruieren" (3).
Für das hier edierte Buch
>Der Historismus und seine Probleme< überarbeitete Troeltsch "zwölf
Vorträ-
ge und Aufsätze, die
er zwischen 1916 und 1922 gehalten und publiziert hatte" (32). Nach eigener
Dar-
stellung geht es ihm dabei
darum, den "Konflikt zwischen dem strengen fachmäßigen Wissen
der histo-
risch-spezialistischen Forschung
und den philosophischen Forderungen an die Geschichte" zu bearbei-
ten, und zwar so, dass die "weltanschauliche
Bedeutung des historischen Wissens" erkennbar wird (32).
Die auf diese Weise entwickelte
Geschichtsphilosophie wird allerdings insofern fragwürdig, als der so-
genannte >Gegenwartssinn<
der historischen Forschung "nicht von außen andemonstriert, sondern
aus
den Forschungs- und Erkenntnisprozessen
der Historiker selbst erhoben werden" soll (32). Genau dies
freilich dürfte eine krasse
Überforderung der historischen Wissenschaft und auch eine Fehldeutung
ih-
rer faktischen Funktion und
Bedeutung sein. Die historische Wissenschaft gibt in aller Regel die Grund-
linien ihrer Ausdeutung nicht
von sich aus vor, sondern steht selbst im Dienst einer wie auch immer ge-
arteten Weltanschauung, durch
die die Prinzipien ihrer Ausdeutung von außen an sie herangetragen
werden und sie selbst dementsprechend
auch vorstrukturiert wird. Dies dürfte die entscheidende Kri-
tik am Anliegen des Historismus
aus heutiger Sicht sein.