Christoph Böttigheimer/Hubert Filser (Hg.), Kircheneinheit und
Weltverantwortung. Festschrift für Peter Neuner, Regensburg 2006;

Diese umfangreiche Festschrift von fast 800 Seiten ist einem der fachlich kompetentesten und persönlich
lie
benswürdigsten zeitgenössischen katholischen systematischen Theologen zur Vollendung seines 65.
Lebensjah
res und zugleich zu seiner Pensionierung als Professor für Dogmatik an der Ludwig-Maximili- ans-Universität in München gewidmet. Zahlreiche Kollegen und Weggefährten leisten zumeist aus ihren
- zum Teil natür
lich bereits gut bekannten - Spezialforschungsbereichen einen Beitrag, so dass die Gliede-
rung der sehr vielfäl
tigen Beiträge den Herausgebern offensichtlich nicht leicht gefallen ist. Die Grobglie-
derung (Systematischer
Teil - Interreligiöser/Ökumenischer Teil) vermag schon nicht wirklich zu überzeu-
gen; auch die detailliertere
Gliederung macht einen zum Teil sehr bemühten Eindruck.

Im Abschnitt A des Systematischen Teils werden Beiträge zum Thema "Erfahrung-Offenbarung/Wahr-
heit"
zusammegefasst. EUGEN BISER eröffnet das Buch mit einer erneuten Darstellung seiner These
vom inzwi
schen flächendeckend ausgebreiteten Atheismus, durch welchen Jesus Christus erneut gekreu-
zigt werde und wel
chem missionarisch nur dadurch angemessen begegnet werden könne, dass ein neuer
Zugang zur alles überwin
denden Liebe Jesu Christi gefunden werde. LAWRENCE J. DONOHOO er-
läutert die Offenbarungstheologie
des George Tyrrell; FRANK-LOTHER HOSSFELD beleuchtet an-
thropologische Akzente der Psalmen 111 bis
118 und unterscheidet dabei "ein königliches Menschenbild
in weisheitlich-priesterlicher Tradition in den Psal
men 112 und 115" (61). Der Mensch kann danach dem
gnädigen und barmherzigen Königsgott JHWH als ide
aler Gerechter nachfolgen und Gottes Großzügigkeit
sozial verwirklichen. "Daneben findet sich ein armentheolo
gisch geprägtes Menschenbild in den Ps 113;
116; 118"
(61). Der Mensch gehört hiernach zur Gruppe der ma
teriell Armen und Benachteiligten; er weiß
sich als sündiger, gefährdeter und angefochtener Mensch. Oder an
ders gesagt: Auch in sehr verschiedenen
Situationen seines Lebens sowie dementsprechend unterschiedlichen
Selbstinterpretationen findet der
Mensch je unterschiedliche Identifikationsangebote in den Psalmen.


FRIEDO RICKEN diskutiert das Verhältnis von transzendentalphilosophischer Analyse und religiöser Er-
fah
rung bei Schleiermacher und kommt zu dem Ergebnis, dass hier das "zum Wesen des Menschen gehö-
rende hö
here Selbstbewusstsein... erst durch den Glauben an Christus zu seiner vollkommenen Entfaltung"
kommt (77).
Transzendentale Analyse in der Philosophie und die Reflexion auf das religiöse Bewusstsein
ergänzen sich mit
hin und korrigieren sich gegenseitig wenn nötig. Dies erinnert sehr an die aktuelle Bestim-
mung des Verhältnis
ses von Glaube und Vernunft durch Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. Zu-
letzt in diesem Abschnitt
knüpft BERNADETTE-GERTRUDIS SCHWARZ an die Doktor-Dissertation
Peter Neuners über Friedrich
von Hügel an und behandelt das Verhältnis von Erfahrung und Offenbarung
in systematischer Absicht. Ergeb
nis ihrer Darstellung ist, dass die Vagheit des verwendeten Erfahrungsbe-
griffes häufig eine genaue Verhältnis
bestimmung zur Offenbarung erschwert oder verunmöglicht. Erst die
Bestimmung von Erfahrung als eines di
alektischen Aktes des Widerfahrens und Antwortens erlaube eine
"Verbindung mit Offenbarung über deren per
sonales Verständnis. Die Person führt in sich Offenbarung
und Erfahrung zusammen, denn beide manifestieren
sich in der Antwort, die die Person in ihrem Lebens-
vollzug ist"
(93).


Abschnitt B. des Systematischen Teils ist überschrieben mit "Dogmatische Fragestellungen zu Beginn
des 3.
Jahrtausends". KARL-ERNST APFELBACHER erinnert an die im Jahr 1966 gemeinsam mit
Peter Neuner
empfangene Priesterweihe, an die zur damaligen Zeit herrschende Aufbruchstimmung in
der Kirche, aber auch
an die schon dieser Zeit formulierten warnenden Worte Karl Rahners, der darauf
hinwies, dass die Kirche auch
künftig die Kirche der armen Sünder und die deshalb immer wieder zu re-
formierende bleibe. Am Beispiel des
Sakramentes der Versöhnung zeigt er auf, dass Chancen zur Verän-
derung noch nicht genügend genutzt wurden,
gerade dieses Sakrament aber zukunftsträchtiger Formen
seiner Feier dringend bedürftig sei. WOLFGANG BEI
NERT handelt über Schuld im christlichen Ver-
ständnis, die Theodizee- und Anthropodizee-Frage sowie die end
gültige Solidarität Gottes mit dem lei-
denden Menschen in Jesus Christus. Hierbei gelingen ihm prägnante Kurz
Beschreibungen der Descen-
sus-Theorie, des Ablasses und des Gottesgerichts. HUBERT FILSER diskutiert die
Geschichte des Per-
son-Begriffs
und seine Bedeutung für die Trinitätslehre; außerdem informiert er über einen aktuellen Streit
um die "drei Personen in Gott" bzw. über die Notwendigkeit und Möglichkeit der Verwendung
des Per-
sonbegriffs in der Trinitätstheologie. Die Ordination, so betont BERND JOCHEN HILBERATH, "be-
grün
det keinen Wesensunterschied im Christsein und keine hierarchische Wertigkeit. Sie zielt auf eine amt-
lich wahr
zunehmende Dienstfunktion, die sich von anderen Diensten/Ämtern... als wesentlich andere un-
terscheidet"
(193).
GEORG KRAUS erläutert das Mysterium der Eucharistie als Gedächtnis-, Bundes-
und Freudenmahl und ord
net den sog. Opfercharakter der Messe unter dem Aspekt der Versöhnung Got-
tes mit den Menschen überzeugend
hierin ein.

WOLFHART PANNENBERG steuert einen Beitrag zu "Raum, Zeit und Ewigkeit" bei, der im englischen
Ori
ginal bereits in der Zeitschrift Zygon erschienen ist. Raum und Zeit erscheinen hier als von Gott gesetzte
Be
dingungen des selbstständigen Daseins seiner Geschöpfe. Gottes Ewigkeit und Allgegenwart sei vor die-
sem Hin
tergrund "als Medium der machtvollen Gegenwart Gottes bei seinen Geschöpfen an ihren Orten
und zu den Zei
ten ihres Daseins zu denken. In seiner Ewigkeit ist Gott seinen Geschöpfen sowohl transzen-
dent, als auch gegen
wärtig, also der Welt seiner Schöpfung immanent. Die Geschöpfe existieren je an ih-
rem besonderen Ort und in
ihrer besonderen Zeit, samt dem Universum der Raumzeit, in der Gegenwart
des ewigen Gottes, der sie unend
lich übersteigt und doch nicht fern ist von einem jeden von ihnen" (218f).
GERHARD ROTTENWÖHRER dis
kutiert die Bedeutung des Begriffs "Gottesherrschaft" und die Tatsa-
che, dass er trotz seiner grundsätzlichen Be
deutung für die Verkündigung Jesu in der Geschichte der Theo-
logie kaum als Schlüsselbegriff der systematischen
Theologie wahrgenommen wurde. Um diesem Mangel
abzuhelfen, seien "Entwurf und Ausführung einer evan
gelischen - nicht protestantischen - Dogmatik drin-
gend nötig"
(238). PETER WALTER kommt auf "Ecclesia
de Eucharistia" (2003) zurück, die letzte und
sicherlich persönlichste Enzyklika Papst Johannes Paul II. Er schil
dert Aufbau und Inhalt der Enzyklika, die
in ihr der Ortskirche und dem Priester eingeräumte hohe Bedeutung
sowie ihren ökumenischen Ertrag.
GUNTHER WENZ erläutert die Veranschaulichung der Differenz von Gesetz
und Evangelium am Werk
Lukas' Cranach des Älteren und JOSEF WOHLMUTH schließlich "stellt sich den dif
ferenzierten Einwän-
den Georg Essens gegenüber seinem Versuch, Christologie im Gespräch mit der Philosophie
Emmanuel
Levinas' zu entwickeln"
(305) und versucht das Denken Levinas' fruchtbar zu machen für eine Inter
pretati-
on der klassischen Christologie des Konzils von Chalkedon.


Unter der Überschrift "Kirche im gesellschaftlichen Kontext" enthält der Abschnitt C eine Reihe von Bei-
trägen,
die die Kirche bzw. die Rezeption von Texten des II. Vatikanischen Konzils in der Kirche in den
Blick nehmen.
Auch hier stellt sich deshalb die Frage, inwieweit die Überschrift den beschriebenen Inhal-
ten angemessen ist. Ab
schnitt D ("Christentum und die Religionen") und Abschnitt E ("Ökumenische
Herausforderungen")
bilden
den zweiten - interreligiösen bzw. ökumenischen - Teil. Auch hier kommen
sehr unterschiedliche Themen zu Dar
stellung, historische und systematische, konfessionsübergreifende Fra-
gestellungen  und Detailprobleme sind bunt
gemischt und zeigen jenes breite Spektrum auf, an denen Weg-
gefährten und Kollegen Peter Neuners arbeiten.


Im Ganzen ist das Buch ein buntes Potpourri, das keinesfalls im Zusammenhang gelesen und bearbeitet wer-
den
kann. Im Gegenteil: Es mag zu Rate gezogen werden, wenn nach Kommentaren zu einzelnen Spezial-
fragen ge
sucht wird und vor allem wird es seinem Hauptziel gerecht: Es ist eine schöne, umfangreiche und
bemerkenswer
te Würdigung des nunmehr pensionierten Münchener Dogmatikers.

Herbert Frohnhofen, 11. Juli 2007