B. MUTSCHLER, Das Corpus
Johanneum bei Irenäus von Lyon. Studien
und Kommentar zum dritten Buch von Adversus
Haereses (Wissenschaft-
liche Untersuchungen zum Neuen Testament 189) Tübingen 2006;
Dieses mit mehr als 500 Seiten sehr umfangreiche Buch
geht - wie M. im Vorwort informiert - der
Frage nach, "wie derjenige Kirchenvater, dem wir die älteste,
in ihrem ursprünglichen Zusammenhang
erhaltene kirchliche Auslegung des Corpus Johanneum verdanken,
die Texte eben jenes Hauptzeugen
auslegt, mit dem er sich sowohl geographisch über die mittlere
kleinasiatische Westküste als auch per-
sönlich hauptsächlich über Polykarp von Smyrna
in einer historischen Kontinuität verbunden weiß"
(V). Konkret ist für ihn die Frage: "An welchen Stellen bezieht
Irenäus welche Stellen aus dem Cor-
pus Johanneum in sein theologisches Denken ein, und wie legt er
sie aus?" (V). Hierbei werden für
M. "Grundentscheidungen sichtbar und damit Gleise gelegt, die für
Jahrhunderte und in manchen Be-
reichen bis heute die christliche Theologie nicht nur beeinflussen, sondern
prägen und bestimmen" (V).
Die Einleitung informiert sodann darüber, welch herausgehobene
Position Irenäus in Bezug auf die
Johannes-Auslegung im zweiten Jahrhundert einnimmt, dass gleichwohl Irenäus
sich in höherem Ma-
ße sogar noch auf das Corpus Paulinum, das Corpus Lucanum und das Matthäusevangelium
bezieht
(4), dass sich bisher nur wenige Arbeiten ausführlich mit der irenäischen
Johannesrezeption befassen
(5), wegen ihrer hohen Bedeutung für die weitere theologische Entwicklung
ein ausführlicher Kom-
mentar dazu aber längst überfällig sei (6), dass aus pragmatischen
Gründen eine Beschränkung der Be-
trachtung auf Adversus haereses III notwendig sei (7) und wie der Aufbau
des gesamten Buches in
drei Teilen angelegt ist.
Der ERSTE relativ kurze TEIL gibt eine Einführung
in die Schrift Adversus Haereses, Buch III.
Zunächst bespricht Irenäus "die Wahrheit der kirchlich überlieferten
apostolischen Schriften" (15) und
führt dazu drei Argumente an: (i) die Inspiriertheit der Schriften durch
den Heiligen Geist, (ii) die Zu-
verlässigkeit der apostolischen Überlieferung, namentlich durch
Polykarp von Smyrna, sowie (iii) der
Anschluss der behaupteten Aussagen an die in Christus manifestierte Wahrheit.
Danach folgen wichti-
ge - gegen gnostisch-dualistisch orientierte - Grundaussagen über Gott:
Gott ist EINER, SCHÖPFER,
der EINZIGE und WAHRE Gott, die mit Hilfe zahlreicher Bibelstellen untermauert
werden. Hieran
schließen zentrale Aussagen über Jesus Christus an, der "(1)...
wahrer Mensch geworden und (2) zu-
gleich wahrer Gott geblieben" sei (47). "Motiv und Ergebnis
dieser Menschwerdung Gottes ist das auf
dem Weg der Rekapitulation gewährte Heil der Menschen" (47f).
Auch dies wird mit zahlreichen Schrift-
zeugnissen zu belegen versucht. Abschließend wird die vorzügliche
Qualität der Predigt und des Glau-
bens der Kirche hervorgehoben und ganz am Schluss "steht ein Gebet um
die Hinwendung der Irren-
den 'zur Kirche Gottes' und die Absichterklärung, ihnen 'mit aller
Kraft die Hand zu reichen'" (59). In
einem zweiten Kapitel dieses ersten Buchteils wird die unterschiedliche
Reihenfolge der Evangelien
angesprochen, wie sie von Irenäus verwendet werden, sowie die möglicherweise
sich dahinter verber-
genden Motive.
Der sehr ausführliche ZWEITE und gleichzeitige
HAUPTTEIL der Arbeit bietet einen detaillierten
Kommentar des gesamten irenäischen Buches Adversus haereses
III, der gegenüber herkömmli-
chen Kommentaren - so der Autor - drei grundlegende Unterschiede aufweist:
"Es handelt sich erstens
nicht um einen durchgängigen, vom Ansatz her gleichmäßig
ausgearbeiteten Kommentar zum gesam-
ten Textbestand von Haer. III, sondern um eine Auswahl und Konzentration
auf - im Ergebnis - 84
Textstellen johanneischer... Bezugnahmen" (83). An zweiter Stelle
stehen "ständige Vergleiche zwi-
schen den beiden Referenztexten (Corpus Johanneum und Haer. III)
und ihren Kontexten" (83). "Ei-
ne so deutliche Beschränkung und klare Fokussierung bedingt schließlich
drittens die Einhaltung ei-
ner spezifischen Schrittfolge innerhalb der Kommentierung sowie die vorausgehende
Rechenschafts-
legung über dieselbe. Entwickelt und dargestellt wird die Auslegung
des Corpus Johanneum aus der
Rezeptionsperspektive des Irenäus" (83). Dies wird in der Folge
in ungeheurer Differenzierung und
mit zahlreichen Verweisen auf Parallelinterpretationen durchgeführt.
Der abschließende, wieder vergleichsweise knappe
DRITTE TEIL des Buches fungiert als Zusammen-
fassung der Ergebnisse des Kommentarteils. Hierbei wird unter
anderem folgendes deutlich: Für Ire-
näus, der "einen breiten Strom der Johannes- und zugleich
der Evangelienauslegung" eröffnet (495), ist
Auslegung der Bibel"nicht nur ein Beiwerk in apologetischen,... systematisch-theologischen,
oder kate-
chetischen bzw. praktisch-theologischen Lehrschriften..., sondern
'theology in progress': Schriftausle-
gung ist bei ihm gleichzeitig Theologie im Vollzug, praktische
Kirchen- und Gemeindeleitung im Voll-
zug,,,, christliche Lehre und Orientierung im Vollzug" (496).
Des Irenäus' "kirchlich-theologische Schrift-
stellerei bezieht ihre Themen und Adressaten aus den Herausforderungen
und Auseinandersetzungen der
Gegenwart, ihre Positionen aber fast durchgängig aus der Exegese"
(496). Eine besondere Herausforde-
rung sind ihm die Valentinianer, die ihm gewissermaßen als Prototyp
der Häretiker gelten; daneben wird
auch Markion häufig genannt. Diesen ist nach Irenäus in entscheidenden
Themenbereichen der Theologie
entgegenzutreten: (i) Schrift und Tradition, (ii) Schöpfung und Erlösung,
(iii) Christologie und Inkarna-
tion sowie (iv) das eschatologische Ergehen des Fleisches. Bei alldem weiß
Irenäus sich mit dem Verfas-
ser des Corpus Johanneum enger verbunden als mit anderen Verfassern des
Neuen Testamentes, welches
natürlich tiefen Einfluss auf seine Exegese und theologische Tätigkeit
gewinnt.
Im Ganzen ist das Buch ein außergewöhnliches
Musterbeispiel an theologischer Detailarbeit, das in vie-
ler Hinsicht seinesgleichen sucht. Auf das bereits bekannte und geläufige
Bild der Theologie des Irenäus
hat das Buch aber wohl keinen unmittelbar erkennbaren verändernden Einfluss.
Herbert Frohnhofen, 21. Mai 2007