Gott und Mensch im Dialog. Festschrift
für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag. 2 Bände, hg. v. Markus
Witte (Beihefte zur Zeitschrift für die
alttestamentliche Wissenschaft 345/I+II) Berlin-New York 2004;
Dieses zweibändige Werk mit insgesamt über
1000 Seiten versammelt über 50 Beiträge aus dem Bereich
der
alttestamentlichen Exegese. Sein Titel - so der Herausgeber im Vorwort
- "verdankt sich einem wesent-
lichen exegetischen und hermeneutischen Anliegen des Jubilars, nämlich
Grundzüge der Kommunikation
zwischen Gott und Mensch im Alten Testament vor dem Hintergrund seiner literatur-
und religiongsge-
schichtlichen Kontexte zu bestimmen und die Bedeutung der alttestamentlichen Rede
über, von, mit und
durch Gott für die Gegenwart fruchtbar zu machen" (XI). Die Anordnung der Beiträge
orientiert sich an
der Wissenschaftsbiographie des Jubilars und ist in fünf Abschnitte gegliedert. Zur Besprechung
sollen bei-
spielhaft einige der Beiträge aus den verschiedenen Abschnitten herausgegriffen werden.
Der ERSTE ABSCHNITT ("Zur Umwelt und Welt
des Alten Testaments") enthält unter anderen einen
Beitrag von ECKART OTTO zu Recht und Ethos in der ost- und westmediterranen
Antike. "In der
ostmediterranen Antike" - so der Autor - "ist das moralische Handeln
durch eine synthetische Lebensan-
schauung geprägt, die von der Korrespondenz des Ergehens eines Menschen
mit seinen Taten ausgeht.
Die Trennung von Sein und Sollen sowie von moralischer Pflicht und Lebensschicksal
sind der Antike
fremd" (91). Traditionelles Verhalten im Sinne des gesellschaftlich Eingespielten gilt in der Regel
als das
Gute, vor aller theoretisch ausgeformten Ethik. Das westmediterrane Wertesystem unterscheidet sich
vom
ostmediterranen darin, dass es auf einem Adelsethos beruht und somit "nicht auf den Zusammenhalt der
Gemeinschaft sinnt, sondern agonale Werte des Streits betont, der Verteidigung der Ehre als den Vorrang
vor der Durchsetzung von Gerechtigkeit im Sinne des gemeinschaftsfördernden Handelns einräumt"
(98).
Christliche Ethik, so der Autor, gewinnt ihr Spezifikum dort, "wo sie im Verweis auf das Christusgesche-
hen den Geschenkcharakter
eines 'neuen Lebens' und einer 'neuen Gerechtigkeit' begründet" (109). -
WOLFGANG
DRECHSLER und RAINER KATTEL besprechen das Verhältnis von Mensch und
Gott bei Xenophanes.
Dieser gilt hinsichtlich seines monotheistischen Gottesverständnisses und seiner
Kritik an den herrschenden Göttervorstellungen
Homers und Hesiods als "Vorläufer des Christentums"
(115).
ERHARD S. GERSTENBERGER behandelt die Kommunikation
Gottes mit den Menschen durch
Boten, Engel und Hypostasen. Im Alten Testament gibt es keine ausgeprägte
Engellehre; denn es gilt:
"Der Herrscher Mensch lenkt die Erde an Stelle Gottes, da ist für Zwischeninstanzen
kein Platz" (140).
Und: "Weil aber Jahwes Atem die ganze Welt direkt durchweht und am Leben hält,
braucht es keiner
anderen Machtträger oder Mittlerwesen mehr" (140). Hier und da tauchen allerdings doch
Engel auf;
diese dienen offensichtlich schlicht dem Kommunikationsbedürfnis zwischen Gott und Mensch und ih-
re Pflicht
ist das Lob des Weltenherrn. Erst die deuterokanonische jüdische Literatur entwickelt - unter
griechischem
Einfluss - eine ausgeprägte Engellehre, besonders "in den apokalytischen Schriften begeg-
nen Engelhierarchien
mit geographischen und kosmologischen Zuordnungen. Die vier bzw. sieben Erz-
engel nehmen nach Gott
den höchsten Platz ein. Heerscharen von Unterengeln sind für alle irdische Be-
lange zuständig; in
manchen Systemen bekommt jeder Mensch seinen persönlichen Schutzengel. Straf-
und Gerichtsengel übernehmen
den Kampf gegen den feindlichen Satan und dessen böse Dämonen"
(151f). - Das erste Kapitel abschließend
bespricht JÜRGEN VAN OORSCHOT Israels Stadtkultur
als Spiegel seiner Geschichte und Theologie. Diese
israelitische Statdtkultur - so der Autor - beginnt
im 12. Jh. v.Chr. "mit einem fulminanten Aufschwung der Dorfkultur" (161). Die Erinnerung an frühe-
re große Städte ist zwar noch wach, "aber man kehrt
ihnen den Rücken und besiedelt neue Gebiete des
Landes" (161). Für die Könige Saul und David dienen die
Städte dazu, "die eigene Macht nach innen
darzustellen und nach außen zu sichern" (162). Unter Salomo setzt
eine deutliche Urbanisation ein; der
König nützt die Städte zu militärischen und wirtschaftlichen Zwecken. Erst
im sechsten Jahrhundert v.Chr.
kommt es dann zu massiven Zerstörungen von Städten.
Das ZWEITE KAPITEL umfasst Beiträge zu den
Büchern der Tora und der Geschichte. BERND
JANOWSKI behandelt die Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte und bespricht zunächst die
"'Spitzenaussage alttestamentlicher Anthropologie' , der Mensch sei als 'Bild Gottes'
erschaffen und zur
Herrschaft über die Tiere bestimmt" (185). Wichtig ist - so der Autor -, "daß
die Gottebenbildlichkeit nicht
eine physische oder metaphysische Eigenschaft des Menschen, sondern eine ihm zugesagte und
auch zuge-
mutete Bestimung ist, die sich als 'eine gelebte Veranschaulichung, .. ja eine Verwirklichungsform
des We-
sens Gottes' fassen läßt" (185f). "Bild Gottes" zu sein, meint dann für den Menschen soviel wie "Reprä-
sentant"
dieses Gottes zu sein. Zur Ähnlichkeit in der Erscheinung tritt die Ähnlichkeit im Handeln hinzu.
Die dem
Menschen aufgetragene Herrschaft über die Tiere gilt dann als Interpretament seiner Gottebenbild-
lichkeit. Der Mensch
wird dem aber nur gerecht, "'... insofern er sich verantwortlich handelnd zu seinem
Lebensraum samt den
Lebewesen darin verhält' und nicht, insofern er zu einem autonomen Verfügen über
die Tierwelt
für selbstgewählte Zwecke ermächtigt wird" (205). -
SIEGFRIED KREUZER diskutiert die
Metapher "Gott als Vater des Königs"
und kommt zu dem Ergebnis, dass die Zusage Gottes den davidi-
schen Königen Vater sein zu wollen
(2 Sam 7,14a) bereits in den ersten Generationen der davidischen Dy-
nastie entwickelt wurde. In den Namen Rehabeam
und Jerobeam "liegt eine Überlieferung vor, in der die
besondere Beziehung Gottes zum König
als dessen Vater ihren Ausdruck findet" (437).
Das DRITTE relativ kurze KAPITEL ist den Büchern
der Prophetie gewidmet. WERNER H.
SCHMIDT beschreibt Konturen von Jeremias Verkündigung. Die in ihrer
Authentizität heute weit-
reichend bezweifelte und disparate Botschaft des Jeremias hat als wiederkehrende Themen
Gerechtig-
keit und Wahrhaftigkeit: "In Klagen oder Anklagen kommt Jeremia über die Gesellschaft seiner
Zeit
zu überraschend scharfen Urteilen" (543). Jeremia stellt viele rhetorische Fragen, die auf Zustimmung,
Übereinstimmung
in der Erkenntnis zielen; er "sucht Einsicht, weiß aber, daß er sich an Uneinsichtige
wendet"
(544). Die Heilsgeschichte ist zur Schuldgeschichte geworden; der Mensch hat sich an das Bö-
se gewöhnt; es ist ihm
zur zweiten Natur geworden, "die er weder abstreifen kann noch will" (545). -
JÖRG JEREMIAS bespricht
die Sicht der Völker im Jonabuch; insbesondere interessiert ihn das Ver-
hältnis der Matrosen im ersten Kapitel
zu den Einwohnern von Ninive im dritten Kapitel des Buches.
Auffallend sind die zahlreichen Parallelen zwischen
beiden Menschengruppen; ihre entscheidende Dif-
ferenz aber - so Jeremias - "liegt in der jeweiligen
Einstellung zu Gott begründet" (559). Die Matrosen
nämlich befällt große Furcht angesichts des
Sturmes, den Jahwe auf das Meer schleudert, und sie neh-
men nach der Belehrung Jonas dessen Glauben an Jahwe an. Wesentlich ist
dabei das allmähliche
Wachstum ihres Glaubens: Von der Sorge um ihr Leben, gelangen sie über Jonas
Bekenntnis und Be-
lehrung zur Erkenntnis Jahwes als des Herrn der Welt; ihre Rettung aus der Lebensgefahr führt
sie dann
vom theoretischen Wissen zur praktischen Verehrung des wahren Gottes. Eine solche wachsende Gottes-
erkenntnis
gibt es für die Leute aus Ninive nicht; sie kennen Jahwe und seine Macht bereits; allein ihnen
fehlt
die Einsicht in die Größe der eigenen Schuld. Für J. gibt es deshalb nur eine angemessene Deutung:
"Die
Matrosen in ihrer bunten Mischung der Herkunftsländer spiegeln die Vielfalt der Völkerwelt wider,
während 'Ninive' speziell für die Gewalt einer bedrückenden Fremdmacht steht" (564).
Mit dem sehr ausführlichen VIERTEN KAPITEL ("Zum
Psalter und zu den Büchern der Weisheit") be- ginnt der zweite Band der Festschrift, in dem die Seitenzählung aber weiterläuft.
Zahlreiche Beiträge bezie-
hen sich hier auf das Hiob-Buch. Es scheint also, dass trotz dessen Popularität
längst noch nicht alles über
dieses Buch gesagt worden ist. So betrachtet RAINER KESSLER insbesondere den Umstand
betrachtet,
dass hier die Welt aus den Fugen geraten ist. Dabei identifiziert K. einen Dreischritt:
"von der Einheit (von
Natur und Gesellschaft), wie Hiob und seine Freunde sie voraussetzen, zur Differenz,
wie sie der Hiobdich-
ter sieht, hin zu einer höheren Einheit, die der Hiobdichter hinter der von ihm ausgemachten
Differenz er-
kennt" (642). Zunächst gilt für die Welt insgesamt, d.h. für Natur und Gesellschaft: In
Beiden gibt es einen
Bereich des Widerständigen, des Gewalttätigen. Gott ist allerdings allein Herr über Beides;
das wird Hiob
schmerzhaft klar. INGO KOTTSIEPER beschäftigt sich mit der Kritik Gottes an den drei Freunden
(Hi
42,7-9). Während bisher diese Kritik dahingehend ausgelegt wurde, "daß die Freunde im Gegensatz
zu Hi-
ob nichts Richtiges, Wahres oder Verläßliches über Gott ausgesagt hätten", hält K. dafür,
dass ihre Aussa-
gen über Hiob als falsch erkärt werden: "Der entscheidende Punkt ihrer Diskussion liegt ja gerade darin,
daß sie sein Leid daraus erklären, daß er schuldig sein muß und deshalb nur dadurch seinem Leiden ein
Ende machen
kann, indem er sich dementsprechend an Gott wendet. Aber genau dies kann Hiob nicht,
weil sein Leiden sich
nicht durch eigene Schuld erklären läßt. Mithin geht ihr Reden am entscheidenden
Sachverhalt vorbei" (778).
Das FÜNFTE und letzte KAPITEL ("Zur Hermeneutik
und zur Theologie des Alten Testamentes") ent-
hält recht unterschiedliche Beiträge etwa zur Geschichte der alttestamentlichen
Exegese ebenso wie zum
Streit um die in ihr verwendeten Methoden; daneben spielen dann eine ganze Reihe
theologischer Themen
im engeren Sinne eine große Rolle. So behandelt etwa HANS HÜBNER das
Verhältnis von Gottes und
des Menschen Ich. In beiden biblischen Testamenten - so der Autor - spielt
sowohl das Ich Gottes als auch
dasjenige des Menschen eine große Rolle; wo aber kommt es zum Dialog zwischen beiden,
in dem beide
Dialogpartner ihr deutliches Ich sprechen? Zuerst im Dialog nach dem Sündenfall: "Dieser
erste Dialog ist
eine Gerichtsverhandlung; Gott ist der Richter, der Mensch der Angeklagte" (968). Gott ist
dem Menschen
überlegen; und dies zeigt sich auch in zahlreichen anderen Dialogsituationen so. Allerdings: Der von Gott
angesprochene Mensch wird ein anderer: "Gottes Ich ist eben ein gnadenhaftes oder ein vernichtendes
Ich" (976). - WALTER DIETRICH handelt vom Schweigen Gottes im Alten Testament und damit von
einem
relativ selten im Fokus der Wissenschaft stehenden Thema. Das Schweigen Gottes stellt sich im AT
recht verschieden
dar: In der Hiob-Geschichte ist Gott nach Elihu frei bis zur Willkür; er hält still, wann
er
will. "Es ist sinnlos, nach seinen Beweggründen zu fragen oder ihn korrigieren zu wollen. Er kann handeln,
wie er will,
er kann auch nicht handeln, wo sein Handeln unbedingt erfordert wäre, er kann sich in Unnah-
barkeit hüllen,
wo ihn Menschen (wie Hiob) dringend zu sehen wünschen" (1001). - KARL-FRIEDRICH
POHLMANN schließlich
vermittelt Beobachtungen und Erwägungen zur Rede vom >Zorn Gottes<
im Alten Testament
und macht dabei deutlich, "daß die Rede vom Zorn der Götter ursprünglich mit dem
Anliegen zusammenhängt,
unerklärliche Beeinträchtigungen oder Zerstörungen des eigenen und zugleich
von den Göttern mitgetragenen
und organisierten Ordnungshorizonts dennoch auf göttliches Wirken zu-
rückzuführen" (1018f).
Auf diese Weise kann auch das zerstörerische Chaos in die Vorstellung einer grund-
sätzlich von Gott gut geordneten Welt
integriert werden.
Im Ganzen spannen die beiden Bände einen riesigen
Bogen um die Exegese des vor allem Alten Testamen-
tes. Hierbei fällt auf, dass in bedeutendem Maße auch das Umfeld des
Alten Testamentes zur Geltung kommt,
dass daneben aber auch sehr detaillierte Schriftexegese betrieben und schließlich
in zusammenfassenden Bei-
trägen über die Theologie des Alten Testamentes gehandelt wird. Eine wahrhaft
würdige Festgabe für den
Jubilar.
Herbert Frohnhofen, 1. Juni 2007