Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, seit der Verfasser
dieser Zeilen vom Jubilar im Rahmen eines Doktor-
examens an der jesuitischen Hochschule für Philosophie in München
auf Herz und Nieren geprüft wurde. Mög-
lichkeit und Theorien von menschlicher Freiheit waren das Hauptthema
dieser Prüfung. Angesichts derzeitiger
Diskussionen um die Neurowissenschaften erweist sich einmal mehr
auch und gerade für die Philosophie: "Es
gibt nichts Neues unter der Sonne." Nun wurde der Jubilar also
65 Jahre alt; als höchst engagierter Professor
und langjähriger Rektor der genannten Hochschule wird er mit dem
vorliegenden Band geehrt; auch der jesui-
tische Generalobere, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
ja selbst der Papst lassen es sich nicht
nehmen, hierzu ein freundliches Grußwort zur Gratulation beizusteuern.
Inhaltlich kreist der Band um das Phä-
nomen des Erfahrens von Zeitlichkeit und Gegenwart, auch und wesentlich
unter der Perspektive der Erfahrung
des Heiligen hierin. Aufgrund der Vielzahl der Beiträge kann hier
nur auf einen ausgewählten Teil derselben
kurz eingegangen werden.
Der ERSTE TEIL hat die Erfahrung von Zeit und
Gegenwart im allgemeinen, vom Grundsätzlichen her im
Blick. RICHARD SCHAEFFLER geht vom klassischen Topos des vierfachen
Schriftsinns aus und konstruiert
auf parallele Weise den "vierfachen Sinn jeder Erfahrung".
So ergibt sich aus jeder sittlichen Erfahrung der
Selbsthingabe als anagogisches Sinnmoment die unabweisliche Pflicht
der weiteren Selbsthingabe zur Selbst-
findung und Sinnstabilisierung des eigenen Lebens: "Wer sich einmal
mit ganzem Herzen an eine Aufgabe bin-
det, sieht das gesamte Feld seiner Erfahrung mit neuen Augen"
(76f). Und der Handelnde wird sich eines, ja
seines Weges gewiss, "dessen Verlauf er nicht vorhersehen kann,
(der aber) ein 'Weg nach oben' (eine anago-
ge) sein wird. Darin liegt das anagogische Bedeutungselement der
sittlichen Erfahrung" (78f). Ähnliches spricht
Sch. dann in überzeugender Weise auch für die religiöse,
ästhetische und wissenschaftliche Erfahrung an. Über
Ewigkeit und Zeit sowie das Leben in der Gegenwart handelt
im Ausgang von Plotin und Aristoteles FRIE-
DO RICKEN. Während das Ewige hier als das immerwährend und
ohne Veränderung Bestehende betrachtet wird,
ist die Zeit Bewegung, die zu je anderem Sein und Seiendem führt.
Das Leben in der Gegenwart kann das Ewige
insoweit ergreifen, als es vom unermüdlichen Tätigsein, und
damit dem Verändern in der Zeit, absieht und sich
jener Glückseligkeit zuwendet, die sich daraus ergibt, in der Betrachtung
alles Zeitlichen das Ewige vor Augen zu
haben. Mit den Interpretationen der augustinischen Zeitanalysen durch
drei Komponisten setzt sich JOHAN-
NES SCHABER auseinander. Obwohl die Musik mit ihrer Ausdehnung über
die Zeit grundsätzlich der Ewigkeit
entgegenzustehen scheint, suchen alle drei Komponisten - nicht zuletzt
durch das Einbringen augustinischer Texte
- eine Wahrnehmung des Ewigen auch über die Musik zu befördern.
Einen ausgesprochen spannenden wie lebensnahen Beitrag
zur Diskussion um Zeit und Ewigkeit liefert KURT
WEIS mit seiner Reflexion über die Gefängniszeit.
"Wer jemanden einsperrt", behauptet Weis wohl zu Recht,
"will auch Macht über dessen Lebenszeit ausüben".
Und: "Wenn Zeit gleich Leben ist, dann ist die 'Zeit hin-
ter Gittern', die Gefängniszeit, wohl weggenommene Lebenszeit"
(171). Inwieweit leben wir aber alle in "Zeit-
gefängnissen", sind wir zeitlichen Einschränkungen unterworfen,
leiden wir unter zunehmendem Zeitdruck?
Die Erfindung von Gefängnissen mit Zeitstrafen jedenfalls, so Weis,
sei eine recht junge Errungenschaft des
16. Jahrhunderts und habe damit zu tun, dass wir erst in der Neuzeit
gelernt haben, Zeit zum Handelsgut wer-
den zu lassen; mithin konnte das Nehmen von frei verfügbarer
Lebenszeit als Strafe verstanden werden. Im Ge-
fängnis wird die Zeit dann nicht mehr "genutzt", sondern
"totgeschlagen", "geschoben", "abgesessen" oder "ab-
gerissen" (176); in auffälligem Gegensatz dazu steht das
Leben in der weltweit sich ausbreitenden westlichen Zi-
vilisation, die auf ständige Beschleunigung aller Lebensbereiche
angelegt zu sein scheint. HARALD SCHÖN-
DORF geht das Thema des Bandes grundsätzlich an und fragt:
"Was ist Gegenwart?" Dabei macht er überzeu-
gend deutlich, dass die Gegenwart unterbestimmt ist, wenn sie rein
zeitlich betrachtet wird, zumal "die so ge-
nannte Präsenzzeit, also die spontan als 'Gegenwart' empfundene
Zeit, im Regelfall (nur) etwa zwei Sekunden
ausmacht" (197). Vielmehr müsse die Gegenwart als das aktuale
Präsentsein, als das Dasein, vor allem also auch
räumlich erläutert und bestimmt werden. Nur was wir aktuell
räumlich als präsent erfahren ist für uns gegenwär-
tig, nicht hingegen all das, was (zufällig) gleichzeitig an vielfältigen
Orten der Erde geschieht. Die Ewigkeit Got-
tes ist dann als seine All-Gegenwart zu betrachten; Himmel ist "die
volle und erfüllte Gegenwart und Anwesen-
heit Gottes und somit Gegenwart alles Positiven, während Hölle
die Ferne und Abwesenheit Gottes samt aller da-
raus resultierenden Konsequenzen ist... Man müßte (hier)
wohl richtiger vom genauen Gegenteil, von Ewigkeit
sprechen" (208). Sünde ist dann Gegenwartsverlust: "Sie
ist nur möglich dadurch, dass Gegenwart verweigert
wird" (208). Ja in der Tat, so und nur so, allein auf diesem
Niveau ist philosophisch durchdachte theologische
Anthropologie und Eschatologie möglich. Nur so wird deutlich,
dass Gottes Ewigkeit uns jetzt und hier umgreift
gerade dadurch, dass wir voll in unserer Lebenswelt präsent sind
und uns auf diese in Gerechtigkeit und Wahrheit
einlassen.
Der ZWEITE TEIL des Buches enthält Beiträge
zur Anthropologie der Gegenwart. Knapp aber höchst inter-
essant ist ein Beitrag von ANTONIO PONSETTO über das spontane,
tiefgreifende und notwendig auf den Leib
bezogene Wirken des Geistes im Menschen. Der Geist - so Ponsetto
- schafft dem Menschen Freiheit: "Als Of-
fenheit, als Aufgabe, als Antwort auf das Unberechenbare, als Auf-dem-Weg-Sein,
ist der Geist immer auf die
Kreativität angewiesen, und so fühlt er sich dazu berufen,
sich immer wieder neu einzustellen" (285). PETER
EHLEN erläutert die Gottmenschlichkeit des Menschen als
Grundprinzip der Anthropologie Simon L. Franks:
Der Mensch ist danach "ein zwei-eines Wesen: Mit seinem Körper
und seiner Psyche... gehört er der objekti-
ven Weltwirklichkeit an. Doch in seinem Selbstsein reicht er in die
unbegrenzte Tiefe der Realität; er erhebt
sich dadurch über die gegenständliche Wirklichkeit, so
dass er sie von einer 'überweltlichen' Instanz her wer-
ten und beurteilen kann" (296). Am Beispiel des Empfindens von
Angst macht HANS GOLLER auf den Zu-
sammenhang von Körper und Geist aufmerksam. Trotz moderner
Hirnforschung freilich könne dieser Zusam-
menhang bislang nur erlebt, nicht aber genau erkannt und begriffen werden.
Die in diesem Kontext heute häu-
fig - etwa von Gerhard Roth - vertretene These eines Cerebrozentrismus,
nach dem sowohl die von uns wahr-
genommene Wirklichkeit als auch unsere Identität allein in unserem
Gehirn konstruiert werde, wird von HANS-
LUDWIG OLLIG im Anschluss an Stephan Krause und Andreas Kemmerling einer
harschen Kritik unterzogen.
Im DRITTEN TEIL des Buches sind theologische Aufsätze
versammelt. Hierbei geht es zunächst um die theo-
logische Deutung von Gegenwart bzw. der "Gegenwart als
Ort der Erfahrung des Heiligen". VOLKER LEP-
PIN wirft ein Schlaglicht auf die verschiedenen Formen der Repräsentationsfrömmigkeit
im späten Mittelalter
und macht damit deutlich, wie sehr die Verehrung der geweihten Hostie,
der Reliquien, des Evangeliars usw., ja
bis hin zur Wahrnehmung des Amtsträgers und vor allem der Heiligen
als Repräsentanten Jesu Christi darauf an-
gelegt ist, die "Realpräsenz" des Gottessohnes und damit
sein Heil für den Menschen erfahr- und glaubbar zu ma-
chen und zu halten. LOTHAR LIES, der sich seit mehr als 25 Jahren mit
der Gegenwart Christi in der Kirche
beschäftigt, erläutert die eucharistische Feier als vierfach
differenzierten Sinnrahmen/Segen ("Eulogia"), der "ei-
nerseits (die) Gegenwart Gottes in Christus in seiner Schöpfung
und unter den Menschen..., andererseits die Ge-
genwart der gegenwärtigen Welt und ihrer Menschen bei Gott"
bedeutet (417). Hieran knüpft auch DOROTHEA
SATTLER an und diskutiert aktuelle Aspekte der sog. Realpräsenz
Jesu Christi in den eucharistischen Gestal-
ten. "Im multilateralen ökumenischen Dialog gibt es (zwar)
im Blick auf das Bekenntnis zur eucharistischen Re-
alpräsenz - entgegen mancher Fehlmeldung... - keine kirchentrennende
Kontroverse mehr...; umstritten sind viel-
mehr die theologischen Verstehensmodelle beim Zustandekommen der Realpräsenz"
(431), und damit "wie sich
die möglicherweise nicht gegebene gläubige Unterscheidungsgabe
zwischen dem Brot und dem Leib Christi bzw.
zwischen dem Wein und dem Blut Christi konkret auswirkt" (432).
Im Anschluss an Karl Rahner plädiert S. für
"eine stärkere Wertschätzung der personalen Dimension sakramentaler
Feiern" (441), welches dazu führt einzu-
sehen, dass "die Entfaltung der Wirksamkeit dieser Gegenwart (Jesu
Christi) auf die gläubige Aufmerksamkeit...
durch die Mahlhaltenden angewiesen" (441) ist.
Mit Bezug auf die Philosophie Heideggers und Gadamars
entwickelt MEDARD KEHL das Konzept der Dog-
matik als einer "theologischen Phänomenologie". Der
Bezug auf die gelebte Gegenwart des Glaubens solle
in den einzelnen theologischen Lehrstücken nicht nur - wie in den
neueren Lehrbüchern üblich - über den "Zu-
gang" und die - nach den "biblischen Grundlagen" und der
"dogmengeschichtlichen Entwicklung" - jeweils ab-
schließende "systematische Reflexion" genommen werden, sondern
die gegenwärtige Gestalt des christlichen
Glaubens solle als eigener "locus theologicus" wieder ausgeprägter
ernst genommen werden. Erst hiermit
werde die Theologie jener Hochschätzung des Glaubenssinns (sensus
fidei) gerecht, die das II. Vatikanum (vgl.
LG 12) ausdrücklich in Worte gefasst hat (410). Am Beispiel seiner
eigenen Schöpfungstheologie von 2006, in
der sowohl die Liturgie als auch die "externe Vernünftigkeit des
Schöpfungsglaubens" (413) eine bedeutende
Rolle spielt, verdeutlicht Kehl dieses sehr plausible und theologisch weiterführende
Konzept. JOSEF SCHMIDT
diskutiert die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele aus philosophisch-theologischer
Perspektive. Nach
einem Referat der einschlägigen historischen Positionen von Plato
bis Fichte kommt er zu folgendem Ergebnis:
"Philosophisch lässt sich festhalten: Der Mensch stößt
als Maßstab seiner geistigen Vollzüge auf ein Ewiges, Ab-
solutes. Dieses kann nicht nur Konstrukt sein, sondern muss als in sich
und aus sich selbst Seiendes begriffen wer-
den" (470). Und: "Der Bezug zur Theologie lässt sich...
so darstellen: Die Abhängigkeit vom Ewigen begreift
der biblische Glaube als Geschöpflichkeit... Der Mensch lebt von
der Präsenz Gottes in ihm. D.h.: das Geschaf-
fensein der Welt kommt in ihm besonders zum Ausdruck. Denn Gott ist
als letzte Macht der Welt auch die kon-
stitutive und tragende Präsenz in ihr" (470f). Überdies:
Der ewige Gott vollendet seine Präsenz in der Welt durch
seine Inkarnation in Jesus Christus. Und daraus folgt: "Nur in diesem
Geist, d.h. in Einheit mit dem so konkret
gewordenen Gott können wir unsere jeweilige Bestimmung als Menschen
erreichen. Einsgeworden mit ihm müs-
sen wir unsere Endlichkeit und Kontingenz nicht mehr fürchten"
(471). In Bezug auf die Frage nach einem den
biologischen Tod überdauernden Leben ergibt sich, dass "Tod und
Wiederbelebung der Person ein Geschehen
sein muss... Man kann also durchaus von einer Auferstehung im Tode
sprechen" (473). Die Rede von der kollek-
tiven Auferstehung betone den Gemeinschaftsbezug menschlicher Existenz
sowie die Tatsache, dass erst "am En-
de der Menschheitsgeschichte... über unser Handeln ein letztes
Urteil gesprochen werden" kann (474).
Ein letzter Abschnitt des Buches enthält Beiträge
zum Thema "Gegenwärtige Herausforderungen der The-
ologie". PETER NEUNER zeichnet unter der Überschrift "Dogma
und Erfahrung" den Weg von einem vor-
konziliaren, autoritätsgestützten, extrinsezistischen Offenbarungsverständnis,
das im I. Vatikanum seinen Hö-
hepunkt fand, hin zu einem erfahrungsgestützten Offenbarungsverständis
nach, das die Lehren des II. Vatika-
nums prägt. Dogmen, so N., können nach letzterem Modell verstanden
werden "als Berichte über Erfahrungen,
die Menschen jeweils in ihrer Zeit mit Erfahrungsberichten der Glaubensüberlieferung
gemacht haben und die
sie weiter erzählten, damit spätere Generationen aus ihnen
und mit ihnen nun ihrerseits Glaubenserfahrungen
machen könnten. So gesehen sind Dogmen Kommunikationsmittel von
Erfahrung zu Erfahrung" (520). Im Aus-
gang von einer chronologisch orientierten Darstellung der Tätigkeit
des "Ökumenischen Arbeitskreises" formu-
liert THEODOR SCHNEIDER einen flammenden Appell zu einem spirituellen
Aufbruch in der Ökumene;
und er schließt sich damit ausdrücklich den entsprechenden
Äußerungen Kardinal Walter Kaspers und Papst Be-
nedikts XVI. an: "Umkehrbereitschaft, erneutes Maßnehmen am Evangelium,
Wesentliches von Unwesentlichem
unterscheiden, angesichts der Brisanz unserer Glaubenssituation die
Angst überwinden, Vertrautes loslassen zu
sollen - dazu bedarf es... einer neuen Öffnung für Gottes
Heiligen Geist" (555). PAUL-WERNER SCHEELE
schließt sich ebenfalls diesem Appell an und verweist dabei auf
Pluralisierung, Globalisierung und Säkula-
risierung als bedeutsame Herausforderungen auch für die Arbeit
an der Ökumene.
Im Ganzen liegt ein Buch vor uns, das bei aller Unterschiedlichkeit
der bearbeiteten Themen mit seinem Ti-
tel das die Vielzahl der Beiträge Verbindende doch recht genau ausdrückt:
Es geht um unsere Gegenwart, de-
ren unabänderliche Eingebundenheit in den Fluss der Zeit und vor
allem den diese Gegenwart tragenden und
gestaltenden Ewigen. Als Festgabe, die wie üblich auch einen kurzen
Lebenslauf und eine Bibliographie des
Jubilars enthält, ist sie ein würdiges Geschenk für Gerd
Haeffner; gerne schließe ich mich von dieser Stelle
den vielfältigen Gratulationen an.
Herbert Frohnhofen, 11. April 2007