Theologie-Systematisch
Spiritualität
Zölibat
Texte

"Der Zölibat, die Ehelosigkeit der Priester, die in der ganzen Kirche aus Ost und West für die Bischö-
fe und
gemäß einer bis nah an die Apostelzeit heranreichenden Tradition in der lateinischen Kirche
für die Priester
überhaupt gilt, kann letztlich nur von hier aus (d.h. von der Hingabe des Priesters an
Gott) verstanden und
gelebt werden. Die bloß pragmatischen Begründungen, der Hinweis auf die grö-
ßere Verfügbarkeit reichen
nicht aus: Solches Verfügen über die Zeit könnte leicht auch zum Egois-
mus werden, der sich die Opfer und
Mühsale erspart, die das tägliche Einander-Annehmen und Er-
tragen in Ehe und Familie verlangt; es würde
dann zu geistlicher Verarmung oder zu seelischer Här-
te führen. Der wirkliche Grund für den Zölibat kann
nur in dem Satz liegen: Dominus pars - Du bist
mein Land. Er kann nur theozentrisch sein. Er kann nicht
bedeuten, der Liebe leer zu bleiben, son-/
dern muß bedeuten, sich von der Leidenschaft für Gott ergreifen zu
lassen und im innersten Sein mit
ihm dann zugleich den Menschen dienen zu lernen. Zölibat muß ein Zeug
nis des Glaubens sein:
Glaube an Gott wird konkret in der Lebensform, die nur von Gott her Sinn hat.
Das Leben auf ihn
setzen, unter Verzicht auf Ehe und Familie, das sagt aus, daß ich Gott als Wirklichkeit anneh
me und
erfahre und ihn deshalb zu den Menschen bringen kann. Unsere ganz positivistisch gewordene Welt,

in der Gott allenfalls als Hypothese, aber nicht als praktische Wirklichkeit ins Spiel kommt, braucht
dieses
Setzen auf Gott in der konkretesten und radikalsten Weise, die möglich ist. Sie braucht das Got-
teszeugnis des
Entscheids, Gott als Boden des eigenen Lebens anzunehmen. Darum ist der Zölibat ge-
rade heute in unserer
gegenwärtigen Welt wichtig, auch wenn seine Erfüllung in unserer Gegenwart
immerfort bedroht und gefähr
det ist. Es bedarf sorgfältiger Vorbereitung auf dem Weg dahin; immer-
währender Wegbegleitung durch den
Bischof, die priesterlichen Freunde und durch Laien, die dieses
priesterliche Zeugnis mittragen. Es bedarf
des Gebetes, das Gott immerfort als den lebendigen Gott
ruft und sich an ihn in Stunden der Verwirrung wie
in Stunden der Freude hält. So kann gegen den
kulturellen Trend, der uns unsere Fähigkeit zu solchen Ent
scheidungen ausreden will, dieses Zeugnis
gelebt und damit Gott als Realität in unserer Welt ins Spiel ge
bracht werden."


(P. Benedikt XVI., Ansprache an die Römische Kurie am 22.12.06, L’Osserv. Romano 5/1/07, 6-8, 7f)

"Der Körper wird zum Symbol der Selbstinszenierung in einer immer narzißtischer werdenden Gesell-
schaft. Die sexuelle Attraktivität wird dabei zum entscheidenden Kriterium für den eigenen Marktwert.
Die sexuelle Beziehung selbst ist dabei von untergeordneter Bedeutung, sie scheitert, wenn der Part-
ner nicht mehr die Bewunderung aufbringt, die das eigene Ego braucht. So produziert der neue Kör-
perkult zwar flächendeckendes millionenfaches Unglück, denn das ganze Projekt muß schon an der
banalen Tatsache scheitern, daß jeder Mensch altert. Doch gerade weil der Mensch diese Schattensei-
te seines emsigen, aber sinnlosen Bemühens verdrängt, ist eine Lebensform wie der Zölibat, der die
absurden Dogmen des allgemeinen Körperwahnsinns konsequent konterkarriert, eine einzige Provo-
kation.

So greift man, ohne das wirklich zu wissen, auf den alten Trick der Nazis zurück und diskriminiert
den Zölibat als 'unnatürlich', was einschließt, daß man sich sich selbst mit seinen ständig wechseln-
den stets unbefriedigenden sexuellen Beziehungen, dadurch indirekt für total 'natürlich' erklärt. So
ist der aggressive Angriff auf den Zölibat mit dem Kampfbegriff 'unnatürlich' geeignet, die neuroti-
sche Unzufriedenheit mit dem eigenen Lebensentwurf auszuagieren. Im Grunde könnte es einem ge-
sunden in sich ruhenden Menschen völlig egal sein, ob da andere Menschen freiwillig oder durch
Krankheiten oder ähniches gezwungen auf Sexualität verzichten. Das wäre doch eigentlich deren Sa-
che. Die massive Aggression, mit der solche Anwürfe bisweilen vorgetragen werden, sind aber ein
Hinweis darauf, daß der Aggressor selbst irgendein Problem mit dem konkreten Leben seiner Sexu-
alität haben könnte, das er sich nur nicht eingestehen will."

(M. LÜTZ, Ist der Zölibat unnatürlich? Gedanken über die Ver-
pflichtung zur Ehelosigkeit, in: L'Osservatore Romano 47/2009, 6)