Theologie-Systematisch
Spiritualität
Traum
Texte
"GOTT hat geträumt
von dir, dich gibt es nicht nochmal, du bist einzig"
(Andrea Schwarz)
"Ein Mensch
darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele,
was Nahrung
für den Körper bedeutet. Wir müssen häufig
in unserem Leben erfahren, wie unsere
Träume zerstört und unsere Wünsche nicht erfüllt werden,
dennoch dürfen wir nie
aufhören zu träumen, sonst stirbt unsere Seele, und die Agape
kann nicht in sie ein-
dringen... Der gute Kampf ist der, den wir im Namen unserer Träume
führen. Wenn
sie mit aller Macht in unserer Jugend aufflammen, haben wir zwar viel Mut,
doch wir
haben noch nicht zu kämpfen gelernt. Wenn wir aber unter vielen Mühen
zu kämpfen
gelernt haben, hat uns der Kampfesmut verlassen. Deshalb wenden wir uns
gegen uns
selber und werden zu unseren schlimmsten Feinden. Wir sagen, daß
unsere Träume
Kindereien, zu schwierig zu verwirklichen seien oder nur daher rührten,
daß wir von
den Realitäten des Lebens keine Ahnung hätten. Wir töten
unsere Träume, weil wir
Angst davor haben, den guten Kampf aufzunehmen...
Das erste Symptom dafür, daß wir unsere Träume töten,
ist, daß wir nie Zeit haben...
Die meistbeschäftigten Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt
habe, wa-
ren zugleich auch die, die immer für alles Zeit hatten. Diejenigen,
die nichts taten,
waren immer müde, bemerkten nicht, wie wenig sie schafften, und beklagten
sich
ständig darüber, daß der Tag zu kurz sei. In Wahrheit hatten
sie Angst davor, den
guten Kampf zu kämpfen.
Das zweite Symptom dafür, daß unsere Träume tot sind, sind
unsere Gewißheiten.
Weil wir das Leben nicht als ein großes Abenteuer sehen, das es zu
leben gilt, glau-
ben wir am Ende, daß wir uns in dem wenigen, was wir vom Leben erbeten
haben,
weise, gerecht und korrekt verhalten. Wir lugen nur über die Mauern
unseres All-
tags und hören das Geräusch der zerbrechenden Lanzen, riechen den
Geruch von
Schweiß und Pulver, sehen, wie die Krieger stürzen, blicken in
ihre eroberungshung-
rigen Augen. Doch die Freude, die unendliche Freude im Herzen dessen, der
diesen
Kampf kämpft, weil für ihn weder der Sieg noch die Niederlage zählt,
nur der Kampf
an sich, die bleibt uns fremd.
Das dritte Symptom für den Tod unserer Träume ist schließlich
der Friede. Das Le-
ben wird zu einem einzigen Sonntagnachmittag, verlangt nichts Großes
von uns, will
nie mehr von uns, als wir zu geben bereit sind. Wir halten uns dann für
reif, glauben,
daß wir unsere kindischen Phantasien überwunden und die Erfüllung
auf persönli-
cher und beruflicher Ebene erlangt haben. Wir reagieren überrascht,
wenn jemand
in unserem Alter sagt, daß er noch dies oder das vom Leben erwartet.
Aber in Wahr-
heit, ganz tief im Inneren unseres Herzens, wissen wir, daß wir es
in Wirklichkeit nur
aufgegeben haben, um unsere Träume zu kämpfen, den guten Kampf
zu führen...
Wenn wir auf unsere Träume verzichten und den Frieden finden... erleben
wir eine
kurze Zeit der Ruhe. Doch die toten Träume beginnen in uns zu verwesen,
und sie
verseuchen, was uns umgibt. Wir beginnen grausam zu den Menschen um uns her-
um zu werden, und am Ende richten wir diese Grausamkeit gegen uns selber.
Dann
tauchen Krankheiten und Psychosen auf. Was wir im Kampf vermeiden wollten
-
die Enttäuschung und die Niederlage -, wird zum einzigen Vermächtnis
unserer
Feigheit. Und eines schönen Tages haben die toten und verwesten Träume
die Luft
so verpestet, daß wir nicht mehr atmen können und nur noch den
Tod ersehnen,
den Tod, der uns von unseren Gewißheiten, unseren Sorgen und von diesem
fürch-
terlichen Sonntagnachmittagsfrieden erlöst."
(P. COELHO, Auf dem Jakobsweg. Tagebuch einer Pil-
gerreise nach Santiago de Compostela, Zürich 1999, 68-70)