Bardo Weiß, Jesus Christus bei den frühen
deutschen Mystikerinnen.
2 Bände, Paderborn 2009/10;
Diese beiden sehr voluminösen Bände mit zusammen
über 2600 Seiten vermitteln eine umfassende Dar-
stellung der Bezeichnungen (Band 1) und des Wirkens (Band 2) Jesu Christi
in den Schriften deutscher
Mystikerinnen ab der Mitte des 12. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts und
sind damit "ein Bestandteil
eines größeren Projektes über die Theologie der Mystikerinnen"
(I 14). Mit Verweis auf andere zeitge-
nössische und auch altkirchliche Autoren wird zu Beginn darauf aufmerksam
gemacht, dass die vielen
>Namen Christi< ein in der Theologiegeschichte immer wieder in den
Mittelpunkt gestelltes Thema sind,
welches es dem Autor erlaubt, die große Vielfalt der mit der Person
Jesu Christi verbundenen Gehalte
in aller Weite vorzustellen, ohne gleich zu Beginn eine durch die dogmatische
Lehre über Jesus Chris-
tus motivierte thematische Einschränkung vorzunehmen. Die bearbeitete
Textgrundlage bilden sieben
unter den Namen von Mystikerinnen, allerdings in der Regel mit fremder
Hilfe, verfasste Schriften, so-
wie darüberhinaus vor allem Lebensbeschreibungen von Frauen, "in
denen von fremder Hand ihr Le-
ben, ihre Ekstasen und Visionen geschildert werden" (I 17). Des
Weiteren diskutiert der Autor in der
Einleitung Fragen der Historizität der in den Schriften dargestellten
Erfahrungen, dem mit ihnen ver-
bundenen Offenbarungsanspruch sowie ihren theologischen und philologischen
Hintergrund.
Die im ERSTEN BAND zusammengestellten verwendeten "Namen",
besser Bezeichnungen, für Jesus
Christus sind ungeheuer zahlreich und vielfältig. Da gibt's solche,
die eher sein >Wesen< umschreiben
(Weisheit, Güte, Glanz, Bild usw.) und im ersten Kapitel gesammelt
sind, und daneben solche, die eher
sein Heilswirken benennen (Erlöser, Heiland, Priester, Lamm usw.)
und ein zweites Kapitel füllen. An-
dere Bezeichnungen haben die Vollendung des Menschen im Blick (Hoffnung,
Sehnsucht, Glück usw.),
sind Ausdruck für persönliche Beziehungen (Bräutigam, Kuss)
oder werden einfach als "seltene Namen"
(Engel, Mahner, Erwählter) oder "Bilder und Metaphern" (Wolke,
Weinstock, Hirt u.a.) kapitelmäßig
zusammengefasst. Ein zweiter sehr viel kleinerer Teil des Bandes benennt
zahlreiche alttestamentliche
Gestalten und neutestamentliche Textstellen, auf die die Autorinnen im
Hinblick auf Jesus Christus Be-
zug nehmen. Im Ganzen bedeutet dies eine ungeheure Fleißarbeit,
die den riesigen Rahmen der Bezeich-
nungen für Jesus Christus in der weiblichen Mystik in ein sehr helles
Licht stellt. Schwierig weil wenig
trennscharf ist natürlich die Kategorisierung der verschiedenen Bezeichnungen;
denn z.B.: Sind "Bilder
und Metaphern" nicht fast alle der benannten Ausdrücke? Ist
es sinnvoll, im Kapitel 3 eine Unterkatego-
rie "Seltene Namen" auszuzeichnen, wenn auch das gesamte 5. Kapitel
diese Überschrift trägt? Warum
wird der Ausdruck "Helfer" im 4. Kapitel unter "persönliche
Beziehung" benannt, die Begriffe "Hei-
land", "Arzt" und "Tröster" aber im 2. Kapiteil unter
der Überschrift "Das Wirken Jesu"?
Der theologisch weitaus interessantere ZWEITE BAND nimmt in fünf
Kapiteln das "Wirken" Jesu
Christi in engerem Sinne in den Blick: (1) der Ratschluss zur Erlösung,
(2) die Menschwerdung, (3)
das Leben Jesu, (4) das Leiden, das Sterben und die Auferstehung sowie
(5) die Christusfrömmigkeit.
Auffällig ist dabei der große Umfang des vierten Abschnitts
der fast die Hälfte des Gesamtumfangs
einnimmt. Mit dem Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi haben sich
die Mystikerinnen "näm-
lich... am häufigsten beschäftigt" (II 11). Nun: was
lernen wir aus diesen immens zahlreichen Seiten
bedruckten Papieres? Zum Beispiel, dass "die Heiligen des Alten Bundes
die Jungfrauengeburt (Jesu
bereits) vorausahn(t)en", dass Gott "wie der Tau auf die Blume"
zu Maria gekommen sei (beide 294),
dass die Jungfräulichkeit Mariens bei der Empfängnis so wenig
verletzt worden sei, "wie die Sonne
das Glas beschädigt, durch welches sie scheint" (295), "daß
Maria schon vor ihrer Empfängnis das
Gelübde der Enthaltsamkeit abgelegt" habe, dass "eine Zeugung
zwischen Mann und Frau... seit der
Sünde nicht mehr rein, sondern verderbt (sei), weil sie in der
sexuellen Libido geschieht" (beide 296),
dass der "von der Jungfrau geborene Jesus... selbst ohne sexuelle Erregung
oder Leidenschaft" (297)
geblieben sei und vieles vieles andere. Auch wenn man sich dabei über
so Manches sehr wundern mag:
jedenfalls - um es mal positiv auszudrücken - gibt das Buch einen intensiven
Einblick in Wertungen
und Perspektiven mittelalterlichen Glaubens.
Herbert Frohnhofen, 21. Januar 2012