"Die christliche
Mystik soll, in einem Teilbereich, in ihrer geschichtlichen Eigenart dargestellt
und analysiert
werden" (12). So beschreibt
die Autorin das Ziel ihrer umfangreichen und ambitionierten
Studie. Und weiter:
"Im Kontext der christlichen Mystik spielen seit dem 12. Jahrhundert
erstmals auch Frauen eine große Rolle;
das 13. Jahrhundert war die Hoch-Zeit der Frauenmystik. Diese ist
Gegenstand der folgenden Untersuchung,
und zwar als Gesamtphänomen. Um es erfassen zu könne, mussten
somit alle in diesem Zeitraum aufgetrete-
nen Autorinnen mystischer Werke verhandelt werden" (12). Allerdings
beschränkt sich die Untersuchung auf
jene Frauen, die ihre mystischen Erfahrungen schriftlich dokumentiert
haben; hierbei wird auf die
"jeweils zu-
verlässigsten Editionen" zurückgegriffen (14).
"Den
Untersuchungen zu den einzelnen Mystikerinnen wird ei-
ne Textauswahl in deutscher Sprache beigefügt. Ausgesucht",
so die Autorin,
"wurden... Beispiele, die die Art
des Schreibens, die Eigenart und Argumentation sowie zentrale Aussagen
einer 'Autorin' exemplarisch reprä-
sentieren können" (14).
Eine ausführliche
Einführung wird zunächst der
Mystik
im allgemeinen, sowie der
mittelalterlichen und
darin der
Frauenmystik im besonderen gewidmet. Der Mystik-Begriff
bezeichnet für die Autorin
"diejeni-
gen religiösen Erfahrungen, die nach der Meinung derer, die sie
machen, die normalen Möglichkeiten der Ver-
nunft oder des Bewusstseins übersteigen und zu einer unmittelbaren
Nähe oder Einigung des Individuums mit
'dem Heiligen', dem Göttlichen oder Gott führen - eine unio
mystica" (16f). Die Stufen auf dem Weg zu dieser
Begegnung, so die Autorin, würden von den Mystikern oft als leidvoll
erfahren und könnten detailliert darge-
legt werden; diese selbst aber vermittle eine Glückserfahrung, die
sich jeder Beschreibbarkeit entziehe. Deswe-
gen griffen Mystiker oft auf Bilder und auf eine poetische Sprache zurück
(18). - Den Entstehungskontext der
mittelalterlichen Mystik sieht die Autorin in der ausgeprägten Kloster-
und Ordensspiritualität; die Mystik der
männlichen Theologen erscheint als wesentlich geprägt durch den
Neuplatonismus und Dionysius Areopagita
sowie die Liebesmystik des
Bernhard
von Clairvaux und das hier verwendete
"dreifache Stufenschema, das
im
Christentum seit der Zeit des Origenes verbreitet war... - die Unterscheidung
in eine asketische Reinigung, ei-
ne tugendhafte Erleuchtung und eine liebende Einigung" (39). Die
Frauenmystik ist Teil einer religiösen Frau-
enbewegung, die ihrerseits mitgeprägt wird durch ein Leben im Kloster,
das dem Virginitätsideal der Zeit ent-
spricht und den Frauen erlaubt, sich nicht in die Abhängigkeit und
Zwänge der Ehe begeben zu müssen.
Ein
erstes Kapitel ist sodann der
europäischen Frauenmystik
im 12. Jahrhundert, d.h. insbesondere
Hil-
degard von Bingen und
Elisabeth von Schönau gewidmet.
Nach einer kurzen Vita, einer inhaltlichen Ein-
ordnung der jeweiligen Werke und einer Diskussion der Quellenlage stellt
die Autorin die Visionen der beiden
Mystikerinnen mit einigen knappen Textbeispielen aus deren Schriften und
Briefcorpus vor. Ganz ähnlich ver-
fährt sie im
zweiten Kapitel ("
Flämische Beginen-Mystikerinnen
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhun-
derts") in Bezug auf die Beginenschülerin
Beatrijs von Nazareth;
kompliziert ist hingegen die Situation bei
jener "
Hadewijch" genannten Person, die ein bedeutendes literarisches
Zeugnis hinterließ, zu der eine Vita aber
nicht überliefert ist. Vermutlich war sie eine Begine, kam aus der
Nähe von Antwerpen, war überaus gut gebil-
det und stand mit wichtigen Theologen ihrer Zeit in Kontakt. In ihren mystischen
Visionen
"scheint die Anglei-
chung an Gott im Vordergrund zu stehen, während die Briefe dann
eher das Menschsein betonen und im Sinne
der lateinischen christlichen Tradition auffordern, um Christi willen
zu leiden und sich erniedrigen zu lassen,
auch wenn dabei viel erduldet werden muss" (128). Insgesamt steht
die Mystik Hadewijchs
"in Vielem der Ge-
dankenwelt der Mystikerinnen des 12. Jahrhunderts... nahe, ist aber entschieden
'subjektiver'" (129). Neu ist ge-
genüber der Frauenmystik des 12. Jahrhunderts auch
"die Betonung
des konkreten Dienstes für die Armen und
Kranken, die Handarbeit sowie für die Mitmenschen schlechthin"
(130).
Das
dritte Kapitel ist der
deutschen Mystik im 13. Jahrhundert,
und hier insbesondere der Begine
Mecht-
hild
von Magdeburg und vor allem der
Mystik von Helfta gewidmet.
Mechthilds bekanntes Werk
"Das flie-
ßende Licht der Gottheit" ist das erste mystische Werk von
hohem literarischem Rang, das in volkssprachlichem
Niederdeutsch geschrieben ist. Hildegard und Elisabeth hatten ihre Werke
lateinisch verfasst, Beatrijs und Hade-
wijch in der ihnen eigenen flämischen Umgangssprache. Mechthild stellt
das
"Fließen" der trinitarischen Gott-
heit in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen sowie die Auffassung, dass
"die
tiefste Gotteserkenntnis in mysti-
scher Versenkung nur mit dem 'dritten' (geistigen) Auge möglich
sei" (176). Die den beiden Klosterfrauen von
Helfta,
Mechthild von Hackeborn und
Gertrud von
Helfta, zugeschriebenen Werke werden heute als Gemein-
schaftsarbeiten angesehen,
"an deren Verschriftung und Endredaktion mehrere
Schreiberinnen beteiligt waren"
(215). In der Mystik Mechthilds von Hackeborn
"spielen die Motive eine
Rolle, die für das Leben in Frauen-
konventen dieser Zeit bestimmend waren. Sehr stark wird der Wert der
Keuschheit oder Reinheit hervorgehoben,
die Selbstaufopferung, der Gehorsam und der hohe Wert des Leidens, die
Zurücknahme allen Eigenwillens und
aller selbständigen Verhaltensweisen, ein immer neu betontes Sündenbewusstsein
auch in Bezug auf geringfügig-
ste 'Sünden'" (232). Auch Gertrud, die sich durch rasche Auffassungsgabe
und hohe Intelligenz auszeichnete, er-
fuhr ihre Berufung zur Mystikerin bereits in jungen Jahren. Hervorgehoben
wird die Christozentrik ihrer Lehre,
die eine
"Mittlerstellung Marias" als
"Mediatrix" zwischen
Christus und den Menschen ablehnt (280).
Der
vierte Abschnitt trägt die Überschrift: "
Französischsprachige
Mystik im späten 13. und zu Beginn des 14.
Jahrhunderts" und beschreibt vor allem die Mystik von
Marguerite
Porete, welche
"im Kontext der Mystike-
rinnen des 13. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht eine Sonderrolle ein(nimmt)"
(323). Anders als Hadewijch
von Antwerpen und Mechthild von Magdeburg geriet sie aufgrund ihrer Schriften
nicht nur unter Häresiever-
dacht, sondern wurde tatsächlich angeklagt, verhielt sich
"abweisend,
bisweilen sogar mit einer gewissen Arro-
ganz" gegenüber dem Gericht und starb im Jahr 1310 auf dem Scheiterhaufen
(324). Sie
"lebte", so drückt es
St. aus,
"nach den Vorgaben, die sie als Mystikerin theoretisch zu vermitteln
versucht hatte, und zeigt, wie an-
dere Frauen in der Geschichte, die der Gewalt durch die männliche
Obrigkeit widerstanden hatten, Charakter-
stärke und ein hohes Maß an Authentizität" (324f).
Anders als die bisher im Buch vorgestellten Mystikerinnen
schreibt Marguerite kein religiöses Bekenntnis- sondern ein mystagogisches
Lehrbuch mit dem etwas kompli-
zierten Titel
"Der Spiegel der einfachen zunichte gewordenen Seelen".
Marguerite vertritt hierin
"eine Liebes-
mystik, die das Thema 'Minne' oder Liebe nicht in der innerhalb der Frauenmystik
des 13. Jahrhunderts ge-
wohnten Weise behandelt: Es fehlt jede erotische Metaphorik" (325).
Stattdessen ist ihre Redeweise oft apo-
phatisch und abstrakt; selbst die Heilsmittel der Kirche scheint sie abzulehnen.
Das
fünfte und letzte
Kapitel behandelt die
franziskanische
Frauenmystik im 13. und zu Beginn des 14.
Jahrhunderts. Nach einem kurzen Blick auf
Klara von Assisi,
Douceline von Digne und Margareta von Corto-
na geht es hier vor allem um die Mystik der
Angela von
Foligno. Diese
"hat die Spiritualität weiter Kreise im
Spätmittelalter und in der Neuzeit beeinflusst. Ihre Schriften wurden
mehr als die anderer Mystikerinnen gele-
sen, wie die große Zahl von Handschriften und später Druckausgaben
zeigt" (451). Die Mystik Angelas ist ei-
ne intensive Liebesmystik; sie ist
"von einer leidenschaftlichen Liebe
zum Gekreuzigten, zu Gott, zum Heiligen
Geist oder auch zur ganzen Trinität bestimmt" (469).
Im Ganzen gibt das Buch einen hervorragenden Einblick in das Phänomen
der mittelalterlich-christlichen Mys-
tik von Frauen. Insbesondere die zahlreichen und ausführlichen Textbeispiele
lassen etwas von der unbändigen
Liebeskraft aufleuchten, die sich in den hier beschriebenen und sicherlich
auch in vielen anderen namenlosen
Frauen dieser Zeit auf die göttliche Trinität konzentiert hat.