Theologie-Systematisch
Spiritualität
Das Heilige/Heiligkeit/Heiligenverehrung
Texte
"Liebe Freunde, wie schön und tröstlich ist doch die Gemeinschaft der Heiligen!
Sie ist eine Wirklichkeit, die unserem Leben eine neue Dimension verleiht.
Wir sind nie allein! Wir sind Teil einer geistlichen 'Gesellschaft', in der tiefe Solidarität herrscht: das Wohl eines jeden einzelnen gereicht allen zum Vorteil,
und umgekehrt strahlt das gemeinsame Glück auf die einzelnen aus."

(P. Benedikt XVI., Ansprache am 1.11.2009, in: L'Osservatore Romano 45/2009, 1)


"Durch die Selig- und Heiligsprechungen dankt die Kirche... Gott für die Gabe dieser seiner Kinder, diegroßherzig auf die göttliche Gnade zu antworten wußten; sie ehrt sie und ruft sie als Fürsprecher an. Gleichzeitig bietet sie diese leuchtenden Vorbilder allen Gläubigen zur Nachahmung an; alle sind durch die Taufe zur Heiligkeit berufen, sie ist das jedem Lebensstand dargebotene Ziel. Die Heiligen und die Se-
ligen, die mit ihrem Leben Christus bekennen, seine Person und seine Lehre, und die eng mit ihm ver-
bunden bleiben, sind gleichsam ein lebendiges Bild sowohl des einen als auch des anderen Aspekts der
Vollkommenheit des göttlichen Meisters.

Gleichzeitig werden die kirchlichen Gemeinschaften, wenn sie auf so viele unserer Brüder und Schwestern
schauen, die in allen Zeiten sich selbst vollkommen an Gott für sein Reich hingegeben haben, zu dem Be-
wußtsein geführt, daß auch in unserer Zeit Zeugen notwendig sind, dazu fähig, im konkreten täglichen
Leben die ewige Wahrheit des Evangeliums zu verkörpern und daraus ein Heilswerkzeug für die ganze
Welt zu machen. Auch darauf wollte ich hinweisen, als ich in der kürzlich veröffentlichten Enzyklika Spe
salvi schrieb, »daß unser Tun nicht gleichgültig ist vor Gott und daher nicht gleichgültig für den Gang
der Geschichte. Wir können uns und die Welt öffnen für das Hineintreten Gottes: der Wahrheit, der Lie-
be, des Guten. Das ist es, was die Heiligen taten, die als ›Mitarbeiter Gottes‹ zum Heil der Welt beigetra-
gen haben« (Nr. 35). In den letzten Jahrzehnten gibt es ein zunehmendes religiöses und kulturelles Inter-
esse an den Vorbildern der christlichen Heiligkeit, die das wahre Antlitz der Kirche zeigen, der Braut
Christi »ohne Flecken oder Falten« (vgl. Eph 5,27). Wenn sie richtig in ihrer geistlichen Dynamik und in
ihrer geschichtlichen Realität dargestellt werden, tragen die Heiligen dazu bei, das Wort des Evangeliums
und die Sendung der Kirche glaubwürdiger und anziehender zu machen. Die Berührung mit ihnen öffnet
den Weg für wahre geistliche Auferstehungen, dauerhafte Bekehrungen und eine Blüte neuer Heiliger.
Die Heiligen bringen gewöhnlich andere Heilige hervor, und die Nähe zu ihnen oder auch nur zu ihren
Spuren ist stets heilsam: Sie reinigt und erhebt den Geist und öffnet das Herz für die Liebe zu Gott und
den Brüdern. Die Heiligkeit sät Freude und Hoffnung, sie antwortet auf den Durst nach Glück, den die
Menschen auch heute verspüren.


Die kirchliche und soziale Bedeutung, die in der Tatsache liegt, immer neue Vorbilder der Heiligkeit an-
zubieten, macht also die Arbeit derer, die bei den Heilig- und Seligsprechungsverfahren mitarbeiten, be-
sonders wertvoll. Sie alle sind berufen, wenn auch mit unterschiedlichen Rollen, sich ausschließlich in den Dienst der Wahrheit zu stellen. Aus diesem Grund müssen im Verlauf der Diözesanuntersuchung die Zeugen- und Urkundenbeweise gesammelt werden – sowohl die, die für die Heiligkeit und den Ruf der
Heiligkeit oder des Martyriums der Diener Gottes sprechen, als auch die, die dagegen sprechen. Auf die Objektivität und die Vollständigkeit der Beweise, die in dieser ersten – und in gewisser Hinsicht grundle-
genden – Phase des kanonischen Prozesses gesammelt werden, der unter der Verantwortlichkeit der Diöze-
sanbischöfe stattfindet, müssen natürlich die Objektivität und die Vollständigkeit der »Positiones« folgen, die die Relatoren der Kongregation unter Mitarbeit der Postulationen vorbereiten. Die Aufgabe der Postu-
latoren ist also grundlegend, sowohl in der diözesanen als auch in der apostolischen Phase des Prozesses; ihre Arbeit muß einwandfrei sein, geprägt von Aufrichtigkeit und absoluter Ehrlichkeit. Von den Postula-
toren wird fachliche Kompetenz, die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung und Aufrichtigkeit verlangt, wenn sie den Bischöfen helfen, sowohl unter formalem als auch unter materiellem Gesichtspunkt voll- ständige, sachliche und gültige Untersuchungen einzuleiten. Nicht weniger heikel und wichtig ist die Hil-
fe, die sie dem Dikasterium für die Heilig- und Seligsprechungsprozesse bei der verfahrensmäßigen Suche
nach der Wahrheit leisten. Diese muß durch eine angemessene Erörterung erlangt werden, die die zu er-
werbende moralische Gewißheit und die real zur Verfügung stehenden Beweismittel in Betracht zieht."


(P. Benedikt XVI., Ansprache an das Postulatorenkollegium der Kongregation
für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse am 17. Dezember 2007
)


"Der Mensch, der im Zentrum der Schöpfung steht, ist - so zeigt er (d.i. Gregor von Nyssa) uns - mit einer
Schönheit ausgestattet, die ein Abglanz der ursprünglichen Schönheit, der Schönheit Gottes selber ist. In
seinem Innern kann der Mensch den Widerschein des göttlichen Lichtes erkennen. Er muß freilich dazu
sein Herz reinigen, alle Krusten, die sich darüber gelegt haben, abtragen, dann sieht er in sich selber das
Licht des Schöpfers. Die volle Verwirklichung des Menschen besteht demgemäß eben darin, daß er die Krusten, die täglich sein Leben verdunkeln und verunstalten, abträgt und so ganz er selber und wirklich Gott ähnlich wird. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Aufgabe des Menschen ist es, heilig zu wer- den. Aber dann ist eben dies gemeint, ganz er selbst, ein wirklicher Mensch, Bild Gottes zu werden."


(P. Benedikt XVI., Ansprache bei der Generalaudienz am 29.8.07, in: L'Osserv. Rom. 35/07, 1)


"Heiligkeit ist zuerst einmal Leere, die man in sich vorfindet, die man akzeptiert
und die Gott in eben dem Maße ausfüllt, in dem man sich seiner Fülle öffnet."

(Franz von Assisi, nach: E. Leclerc, Weisheit eines Armen,
Franziskus gründet seinen Orden, 21981, 76)


"Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze
ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen
der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig ist."

(Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft V 122)


"Die Annäherung zwischen der Angemessenheit des Willens und dem moralischen Gesetz bzw. zwischen
Können und Sollen ist (nach Kant) als ein ins Unendliche verlaufender 'Progressus' zu verstehen. Die

Differenz zwischen dem Sollen und dem Können wird erst im Unendlichen, d.h. jenseits des Todes,

überwunden werden. Aus diesem Grunde muss die Unsterblichkeit der menschlichen Seele postuliert

werden. Die Unsterblichkeit der Seele wiederum hat das Dasein Gottes zur Voraussetzung. Gott lässt

uns im Unendlichen durch beständigen Fortschritt dem Ideal absoluter Gebotserfüllung immer nä-

her kommen, bis sich die völlige Adäquatheit zwischen Sollen und Können eingestellt haben wird."

(M. BEINTKER, "...es ist moralisch nothwendig, das Dasein Gottes anzunehmen".
Einige Erwägungen zu Kants
moralischem Gottesbeweis, in: I.U. DALFERTH u.a.
(Hg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gottesleh
re (FS E. Jüngel) Tübingen
2004, 23-39, 32f, mit Bezug auf Kant, Kritik der prakt. Vernunft V 122-124)


"Ubertin und Clara von Montefalco waren Heilige geblieben (obwohl
letztere von Sündern umgeben war), eben weil sie zu differenzieren
vermochten. Das nämlich und nichts anderes ist die wahre Heiligkeit."
 
(U. Eco, Der Name der Rose (Süddeutsche Zeitung Bibliothek 2) München-Wien 2004, 165)