"Ein anderer Zug,
an welchem ersichtlich wird, dass unsere geistige Naturanlage auf mehr verweist,
als sie in unmittelbarer Selbstrealisierung erreichen kann, ist unsere naturhafte
Sehnsucht nach Glück, nach umfassender Stillung unseres geistigen sinnorientierten
Hungers. Dieser Hunger kann nicht in Erfüllung überführt werden
durch das, was unser Geist in selbsttätigem Ausgriff auf die Wirklichkeit
zu erfassen vermag, denn immer bleibt angesichts der Weltdinge, die Wirkungen
einer Ursache sind,
die nicht mit ihnen identisch ist, das Staunen über das Dass und das
Sosein dieser Dinge, ein Staunen,
das kein Ziel und keine Ruhe findet, bis ihm die Ursache, das Von-Woher der
staunenerregenden Wir-
kungen so deutlich gegeben ist, dass kein quälendes Fragen mehr bleibt
(Was nur erreicht sein kann,
wenn ihm die allererste Ursache der kontingenten Realität als das aufgegangen
ist, das selber für sich
und sein Sein keine Ursache (als ihm vorhergehende Bedingung seiner selbst)
mehr braucht, weil das,
was es ist, ihm in einem und zugleich Grund dafür ist, dass es ist,
als Gott in seiner Göttlichkeit.).
Solange
nun Verwunderung als beunruhigendes Zeichen dafür in ihm wirkt und treibt,
dass der nach
dem Warum der Wirklichkeit fragende Mensch nicht zu abschließender
und unüberbietbarer Erkennt-
nis, zur Schau der allerersten Ursache als Evidenz von Sein vorgedrungen
ist, kann der Mensch nicht
wahrhaft und vollendet glücklich sein. Da der Mensch aber von sich
aus und für sich allein Sein nie
zur Evidenz bringen kann, müsste er unglücklich und damit ein mit
seiner Natur, seinem Sosein gege-
benes Streben frustriert bleiben, wenn ihm Gott, die allererste Ursache,
nicht so aufgehen würde, wie
der Mensch es selber nicht zu bewerkstelligen vermöchte. Folglich sind
Sehnsucht nach Glück und Sehnsucht nach Gott im menschlichen Selbstvollzug
von derselben Struktur: Sie sind beide im Men-
schen als Disposition, aber über den Menschen hinaus als real erreichtes
Ziel."
(M. Schulze, Das Problem der himmlischen
Gottesschau bei Thomas von Aquin: Ist die un-
mittelbare Anschauung Gottes dem Menschen als solchen möglich? in: G.
Augustin/K. Krä-
mer, Gott denken und bezeugen (FS W. Kasper) Freiburg u.a. 2. Aufl. 2008,
388-417, 409f)