Theologie-Systematisch
Spiritualität
Enthusiasmus
"In der Antike bedeutete Enthusiasmus Trance, Verzückung, Verbindung mit Gott. Der Enthusiasmus ist die auf eine
Idee, eine Sache gerichtete Agape... Wenn wir lieben und mit ganzer Seele an etwas glauben, fühlen wir uns stärker
als die Welt und sind von einer Gelassenheit erfüllt, die aus der Gewißheit herrührt, daß nichts unseren Glauben be-
siegen kann. Diese seltsame Kraft macht, daß wir immer zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen tref-
fen, und wenn wir unser Ziel erreicht haben, sind wir über unsere eigenen Fähigkeiten erstaunt. Denn während
des guten Kampfes ist alles andere unwichtig, wir werden vom Enthusiasmus zu unserem Ziel getragen.


Der Enthusiasmus ist am stärksten beim Kind. Als Kind sind wir noch eng mit der Gottheit verbunden und so begei-
stert beim Spielen, daß für uns die Puppen lebendig sind und unsere Zinnsoldaten marschieren können. Als Jesus
sagte, daß den Kindern das Himmelreich gehöre, bezog er sich auf Agape in der Form des Enthusiasmus. Die Kin-
der kamen zu ihm, ohne sich um seine Wunder, seine Weisheit, die Pharisäer und die Apostel zu scheren. Sie ka-
men fröhlich, und ihr Antrieb war die Begeisterung...

    Wir verlieren die Begeisterung wegen unserer kleinen und notwendigen Niederlagen während des guten Kampfes.
Und da wir nicht wissen, daß die Begeisterung eine höhere, auf den Sieg hin gerichtete Kraft ist, lassen wir zu, daß
sie unseren Fingern entgleitet. Und wir bemerken dabei nicht, daß uns damit auch der wahre Sinn unseres Lebens
entgleitet. Wir geben der Welt die Schuld an unserem Lebensüberdruß, an unseren Niederlagen und vergessen da-
bei, daß wir es waren, die diese alles rechtfertigende, überwältigende Kraft haben entwischen lassen, die Manifesta-
tion der Agape in der Form der Begeisterung."


(P. COELHO, Auf dem Jakobsweg. Tagebuch einer Pil-
gerreise nach Santiago de Compostela, Zürich 1999, 130f)