K. Lehmann, Einheit der Kirche und Gemeinschaft
im Herrenmahl. Zur neueren ökumeni-
schen Diskussion um Eucharistie- und Kirchengemeinschaft. Referat zur Eröffnung
der
Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 25.09.2000 in Fulda;
I. "Das Thema 'Einheit der
Kirche und Gemeinschaft im Herrenmahl' ist in jüngster Zeit vor allem
angestoßen worden
durch die Frage, welches denn die praktischen Folgen der Unterzeichnung
der Vereinbarung über die Rechtfertigung zwi-
schen dem Lutherischen Weltbund und der Katholischen Kirche, vertreten durch
den Päpst- lichen Rat zur Förderung der
Einheit der Christen, am 31.Oktober 1999 in Augsburg seien."
"Der Druck, der... in der Öffentlichkeit entstanden
ist, ist jedoch ineins mit einer festen Zeitangabe keine gute Vorausset-
zung auf dem Weg zu einer gedeihlichen Klärung dieser schwierigen Fragen."
II. "Am Anfang möchte
ich im Sinne eines Rahmens für das Ganze die besondere Dringlichkeit
unseres Themas in Er-
innerung rufen... Niemand, dem die Einheit der Kirche am Herzen liegt, kann
der Frage nach der vollen Realisierung in
der eucharistischen Gemeinschaft gleichgültig gegenüberstehen."
III. "Die neuzeitliche
Eucharistielehre ist über Jahrhunderte vor allem durch drei Grundthemen
bestimmt geblieben,
die das Konzil von Trient als katholische Lehre herausgestellt hat und die
verständlicherweise gerade deshalb in der Dis-
kussion mit der reformatorischen Theologie maßgeblich geblieben sind.
Es sind die drei Lehrstücke der Realpräsenz,
der Wandlung der Gaben von Brot und Wein in Fleisch und Blut des
Herrn (Transsubstantiation) und des Opfercha-
rakters der Eucharistie."
"Die Kirche selbst ist in ihrer Herkunft,
in ihrer Gegenwart und in ihrer Sendung eigentlich nichts anderes als eine
ein-
zige Antwort auf diesen Auftrag Jesu Christi. In diesem Sinne kann man sagen,
dass die Kirche Eucharistie ist."
IV. "Diese innere
Verbindung wird schon sichtbar in dem Ineinander der drei Bedeutungen von
'Leib Christi': der
Leib Jesu Christi am Kreuz als Hingabe, der Leib Jesu Christi als
Eucharistie, der Leib Jesu Christi als Kirche. Zugleich
gibt es eine Verbindung der Aspekte auch in der Formel 'Communio sanctorum',
die einerseits die Teilhabe am Heili-
gen, das heißt an den Heilsgaben von Wort und Sakrament, und andererseits
zugleich die Gemeinschaft der Glaubenden
meint, also den personalen und sakramentalen Sinn gemeinsam betont."
V. "Die Eucharistie
bezieht sich also nicht auf ein isoliertes Einzelsakrament neben anderen Zeichen.
Vielmehr stehen Eucharistiegemeinschaft und Kirchengedanke in engstem
Zusammenhang. Unter den Teilnehmern an der Euchari-
stiefeier, durch welche diese 'ein Leib und ein Geist' werden, darf nichts
Trennendes bestehen."
VI. "Die Kirche
als konkrete Wirklichkeit erscheint zunächst in der konkreten Einzelgemeinde.
Aber sie darf nicht al-
lein darin gesehen werden... So ist die Kirche eine Gemeinschaft, die aus
einem Netz von Ortskirchen besteht... Dazu
gehört freilich auch, dass diese Verbundenheit untereinander
mit zum Ausdruck kommt durch die Amtsträger selbst
... Die 'Gemeinschaft der Gemeinschaften' findet ihren Ausdruck auch in
der gegenseitigen Anerkennung der sie reprä- sentierenden Amtsträger."
VII. "Aus diesem
Befund ergibt sich eine schwer lösbare Aufgabe. Die Kirche kann von sich
aus nicht einfach Abend- mahlsgemeinschaft 'herstellen', ohne dass sie die
verlorene Einheit in ausreichender Weise wiederfindet."
"Es ist auch widersprüchlich, wenn so etwas
wie 'Zwischenlösungen' angepeilt werden, die zwar im Einzelfall
eine ge-
meinsame Feier des Herrenmahles zulassen, aber dennoch nicht wesentlich die
verletzte Kircheneinheit wiederherstellen.
VIII. "Taufe,
Eucharistie, Kirche: Gerade die Unterzeichnung des Augsburger Rechtfertigungsdokumentes
vom 31.
Oktober 1999 stützt einen Gedanken, dessen volle Tragweite für
unser Thema nicht immer reflektiert worden ist. Wenn
in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre keine eigentlich kirchentrennenden
Hindernisse mehr gegeben sind, hat
die Anerkennung der Taufe unter Christen ein großes Gewicht."
IX. "Der katholische
Theologe kennt nicht nur einen 'Typ' von Sakrament, der maßgebend
inhaltlich die Rechtfer-
tigung umfasst... Es gibt hier verschiedene Zuordnungen der Sakramente untereinander,
z. B. im Blick auf die Heilsnot-
wendigkeit, die Vollkommenheit, den Intensitätsgrad usw."
"Die Ausführungen in UR 22 machen bei aller
etwas formalisierten Sprache aufmerksam auf die notwendige Entfaltung
und Dynamik, die bleibend aus der Taufe hervorgehen... Der Gedanke, dass
die Taufe der Anfang und die Tür des
Heils ist, die Eucharistie aber so etwas wie die Vollendung,
hat ja mannigfache Dimensionen."
"Am deutlichsten ist mir dieser Gedanke in der Aussage
des Thomas von Aquin geworden, ..., dass nämlich die Eucha-
ristie für die Kirche so etwas wie das spirituelle Gemeinwohl der
ganzen Kirche darstellt."
X. "Die Abendmahlsgemeinschaft
realisiert sich dann am tiefsten, wenn sie aus einem umfassenden Integrationspro-
zess christlichen Tuns und kirchlichen Miteinanderseins herkommt und
selbst solche Einigung wieder voranbringt.
Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass die Einheit der Kirche durch den
Vollzug der eucharistischen Gemeinschaft sich
nur dann vollgültig realisiert, wenn zugleich die anderen Bereiche
des kirchlichen Lebens positiv und fruchtbar in eine
solche Einigung eingebracht werden."
"Ich glaube nicht, dass die Eucharistie selbst 'Mittel'
zum Zweck der Einigung werden darf, wenn dies im Sinne einer
isolierten Instrumentalisierung verstanden würde. Allein kann sie
auch kaum die Einheit der Kirche verstärken oder
gar bewirken. Aber zusammen mit dem Gelingen und Vertiefen der anderen
Lebensvollzüge kann sie selbst als
innerer Motor so etwas wie eine Mitte und auch... ein Mittel werden zu einer
immer tieferen Einigung. "
"Darum hat eine wirklich gemeinsame Eucharistiefeier
der Christen... eigentlich immer die Notwendigkeit in sich,
dass eine Art Versöhnung stattfindet, die uns wirklich nicht nur
punktuell und momentan näher zusammenführt, son-
dern uns tiefer und bleibend aneinander bindet."
XI. Differenzierung
der Begriffe "Kommunion", "begrenzte Zulassung", "allgemeine Zulassung", "gegenseitige
Zu-
lassung = Interkommunion", "Konzelebration", "Interzelebration" nach der
Kommission für Glauben und Kirchenver-
fassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (vgl. Ökumenische Rundschau
18 (1969) 574-592);
XII. "Bis zum Beginn
der 70er Jahre war es deutlich, dass vor allem eine Situation physischer
Lebensbedrohung
dazu führen konnte, eine Zulassung zum Eucharistieempfang auch von
Christen aus getrennten Kirchen zuzulassen...
Wenn nun der Begriff einer 'geistlichen Notlage' eingeführt
wird, wird eine wichtige Grenzlinie überschritten. Denn
... die Zulassung einer spirituellen Notlage bedeutet zusätzlich eine
gewisse Berufung auf einen inneren Notstand,
vor allem des Gewissens."
"Der CIC verzichtet ebenso wie das Ökumenische
Direktorium von 1993, Beispiele für die Notlagensituation zu nen-
nen. Freilich kann der einzelne Diözesanbischof nach Absprache mit
den örtlichen ökumenischen Partnern
(Can 844 §5) normative Präzisierungen vornehmen. "
XIII. "Unerledigte
Differenzen in der Zuordnung von Eucharistie, Kirche und Amt: Es ist deutlich
geworden, dass
hier gerade im ekklesiologischen Grundgefüge noch erhebliche Schwierigkeiten
bestehen... Es besteht kein Zweifel,
dass die Bestimmungen über die Zulassung von Christen, die von den
reformatorischen Kirchen herkommen, deren
ekklesialen Status weitgehend ausblenden. Vielmehr sind nur die einzelnen
Christen individuell im Blick... Der indi-
viduelle Aspekt, für sich allein betrachtet, widerspricht aber letztlich
dem Eucharistie-Verständnis, weil zu diesem
der Grundbezug zur kirchlichen Gemeinschaft gehört."
XIV. Ohne Anspruch
auf Vollständigkeit soll versucht werden, wenigstens in einigen Umrissen
die Regelungen ver-
schiedener Bischofskonferenzen hinsichtlich einer möglichen Zulassung
reformatorischer Christen zur katholischen Eu-
charistie darzulegen, die über den Fall der Todesgefahr und vergleichbare
Situationen hinausgehen (vgl. Ökumenisches
Direktorium 1993, Nr. 130)."
XV. "Es gibt Entwürfe,
die ganz bewusst weitergehen. Sie kritisieren die auf Not und Ausnahmefälle
begrenzte Zu-
lassung in den kirchlichen Dokumenten und plädieren für eine Erweiterung
der bisher begrenzten Zulassungspraxis."
XVI. Hindernisse:
"In der Frage der Eucharistie scheinen mir die Differenzen vor allem mit
den lutherischen
Kirchen nicht mehr so groß zu sein. Gewiss machen die Aussagen
zum Opfer-Charakter der Eucharistie und die Fra-
gen nach den konsekrierten Gaben noch einige Beschwer. Aber es gibt dazu
eine ganze Reihe von gediegenen Studien,
deren Ergebnisse freilich der Rezeption harren. Im Grunde glaube ich dies
auch von der Amtsfrage."
"In der Mitte steckt gewiss die Frage nach der
Amtsstruktur im ganzen. Wenn ich also durchaus zuversichtlich bin
im Blick auf weite Teile einer Theorie des geistlichen Amtes - es braucht
freilich noch viel Bewegung -, dann ist es
schwieriger mit der Einordnung des Amtes in die Kirche. Es ist die Frage,
wie weit das Amt zu den konstituti-
ven Elementen und Kriterien für das Kirchesein und zur Einheit der
Kirche gehört."
"Ich bin der Meinung, dass das Konzept 'Einheit
in versöhnter Verschiedenheit' zwar einige Vorteile hat, weil so
auch die kirchlichen Traditionen in der einen Kirche als legitim angesehen
werden können, dass aber zugleich die An-
forderung der 'Einheit' hier darunter leidet, dass die vielförmigen
Zielvorstellungen relativ weit auseinander laufen
können, sodass die Einheit ihre konkrete Bestimmtheit und Unteilbarkeit
verliert."
"Ähnlich ist es auch mit dem Begriff der 'Kirchengemeinschaft',
der ab 1950 bis in die Mitte der 70er Jahre geprägt
und ausgestaltet wird. Für mich ist dies ein ambivalenter Begriff.
Einerseits ist er sehr hilfreich, weil er von evangeli-
scher Seite aus an die klassischen Überlegungen zur Communio-Struktur
der Kirche anknüpft und hier in der Tat man-
ches wiedergewinnt; auf der anderen Seite huldigt der Begriff der eben erwähnten
Tendenz, die konfessionellen Struk-
turen und Identitäten zu fixieren, so dass nur schwerlich eine umgreifende
Übereinstimmung gefunden werden kann.
Die verschiedenen Gestalten des Zeugnisses, der Lehre und des Bekenntnisses
werden legitimiert, findet aber auch ei-
ne ähnliche Bemühung statt um den notwendigen Konsens, die Einheit?"
XVII. "Fazit:
Wie soll man weiterkommen? Was können wir vorschlagen? Was können
wir leisten?
1. In der konkreten seelsorglichen Praxis wird man
immer wieder auf einzelne Situationen stoßen, die man im
Sinne der kirchlichen Bestimmungen angehen und auch beantworten
kann. Hier gibt es gewiss die Möglichkeit
einer seelsorglichen Einzelhilfe für das Individuum,
die in vielen Situationen auch weiterführen kann.
2. Es scheint mir jedoch nicht möglich zu sein,
auf breiter Ebene und in hoher Zahl das Problem der Zulassung zur
Eucharistie ausschließlich mit den individuellen
Heilshilfen zu lösen...
3. Wir finden wohl kaum in hinreichend klarer Form
weitere Kriterien, die das Vorliegen einer 'schweren Notlage'
klären helfen können...Eine Ausnahme stellt
die Situation der konfessionsverschiedenen Ehen dar, die einer
erneuten Überprüfung bedarf.
4. Aufgrund der dargestellten Situation kann ich
nur davor warnen, einen gewissen Gleichklang und ein Miteinander
von Kircheneinheit und Gemeinschaft im Herrenmahl aufzulösen
und gleichsam zu zerstückeln... Das gemeinsame
Mahl gehört an das Ende und nicht an den Anfang
ökumenischer Bestrebungen. 'Gerade weil das Mahl unüberbiet-
barer Ausdruck des gemeinsamen Heils ist, kann man nicht
sonntags Mahl feiern und Montagmorgen mit getrenn-
tem Religionsunterricht fortfahren. Missachten wir das
Mahl nicht, streben wir alle danach, dass es wirklich ehrlich
als das eine Mahl gefeiert wird.' (Klaus Berger, in: Abendmahl.
Fest der Hoffnung, Gütersloh 2000, 72)
5. Dies mag enttäuschend klingen. Aber eigentlich
nur so lange, bis wir voll entdecken, wie viel wir ökumenisch
schon jetzt gemeinsam tun können, und zwar ohne
jeden Aufschub... Es gibt so vieles, was wir sofort gemeinsam
anpacken können. Niemand hindert uns. Es wäre
der beste Beitrag zu einer baldigen gemeinsamen Abendmahlsfei-
er. Wir sollten nichts enthusiastisch überspringen.
6. Ich kann mir letztlich nur vorstellen, dass die
Theologie mit allen Kräften die aufgezeigten und alle anderen The-
men mit großer Energie aufgreift und voranbringt...
7. Die Trennung der Kirche ist vor dem Gebot des
Herrn nach Einheit ein bleibender Skandal. Die vielen bekenntnis-
verschiedenen Ehen mahnen uns, dass wir eine noch entschiedenere
Suche nach Gemeinsamkeit nicht verzögern.
Der Herr ist ungeduldig mit uns, aber er verlangt auch
eine sorgfältige Arbeit, die sich nicht beirren lässt."
XVIII. "Es gibt eine
Ökumene, die ich nicht fördern möchte. Es ist die Gemeinsamkeit
auf dem kleinsten und ge-
ringsten Nenner. Unter solchen Voraussetzungen können wir nur alle gemeinsam
ärmer werden. Dies ist gerade bei
der Eucharistie als dem Lebensgeheimnis des Herrn nicht erlaubt. Hier müssen
wir gemeinsam, indem wir aufeinander
zugehen, auch nach vorne noch viel mehr in das eucharistische Geheimnis
Jesu Christi hineinwachsen ... Wenn wir
gemeinsam zum Tisch des Herrn gehen wollen, müssen wir auch zuvor jeweils
eigen und gemeinsam die eucharisti-
sche Praxis in unseren Kirchen grundlegend verbessern. Sonst könnten
wir uns gemeinsam am Herrn versündigen.
Deshalb ist die Ökumene am Thema "Herrenmahl" in besonderer Weise herausgefordert.
Mit dieser Reform können
wir sofort in unseren Kirchen beginnen. Niemand hindert uns daran. Im Gegenteil,
der Gottesgeist wird unser gemein-
sames Bemühen segnen."