Theologie-Systematisch
Sakramentenlehre
§ 4. Taufe
Texte-Historisch

"In der frühen Kirche wurde die Taufe auch 'Erleuchtung' genannt,
weil dieses Sakrament das Licht schenkt und wirklich sehen läßt."


(P. Benedikt XVI., Das Damaskuserlebnis des heiligen Paulus. Generalaudienz in der
Vatikanischen Audienzhalle am 3. September 2008, in: L'Osservatore Romano 37/2008, 2)


Die Taufe ist "das wichtigste 'Heilmittel' für den Menschen, um das sich der
Mensch bemühen soll,
weil es ihn wahrhaft retten wird... Die Taufe reinigt den Menschen von den bisher begangenen Sünden und richtet den Menschen wie-
der auf Gott hin aus... Er
(Gregor von Nazianz) betont,
dass in der Taufe der
Täufling die gesamte Heilungskraft Jesu erfährt."

(M. DÖRNEMANN, Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen
Kirchenväter (Studien und Texte zu Antike und Christentum 20) Tübingen
2003, 232, mit Bezug auf GREGOR VON NAZIANZ, Or. XL 11f.32.34.45)


"Den engen Zusammenhang zwischen Taufe und Buße, die nach der ersten der 95 Thesen das gan-
ze Leben des
Christen über währen soll, hat Luther schon 1520 in seiner Schrift über die babyloni-
sche Gefangenschaft der
Kirche betont: Einmal bist du sakramental getauft, doch immerfort müssen
wir getauft werden im Glauben,
so daß es immer wieder gilt zu sterben, um dadurch zu leben. Die Einmaligkeit des Taufaktes und seine Beziehung auf den ganzen Weg des christlichen Lebens er-
scheinen dabei als ein zusammengehöriges Ganzes. Ent
sprechend heißt es 1529 im Kleinen Katechis-
mus von der Taufe, sie bedeute, 'daß der alte Adam in uns durch
tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten, und wiederump täglich erauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit für Gott ewiglich lebe'. Der Große Katechismus betont stärker das Kontinuierliche dieses Vorgangs, wenn es dort von 'Kraft und Werk
der Taufe' heißt, es handle sich dabei um 'die Tötung des alten Adams, darnach die Auferstehung
des
neuen Menschens, welche beide unser Leben lang in uns gehen sollen, also daß ein christlich
Leben nichts an
ders ist denn eine tägliche Taufe, einmal angefangen und immer darin gegangen'.
In diesem Prozeß, meinte
Luther, nehme der alte Mensch, 'täglich abe, solang bis er gar untergehet', während der neue Mensch in uns wächst. Beide Katechismen verbinden also einerseits die Buße, an-
dererseits die Heiligung mit dem Prozeß der
täglich zu erneuernden Aneignung der Taufe. Zumal die Buße war in Luthers Sicht nichts anderes als die lebenslange Aneignung des ein für allemal in der
Taufe Geschehenen. 'Denn was heißet Buße anders, denn den
alten Menschen mit Ernst angreifen
und in ein neues Leben treten? Darümp wenn Du in der Buße lebst, so ge
hest Du in der Taufe, wel-
che solch neues Leben nicht allein deutet, sondern auch wirkt, anhebt und treibt; denn
darin wird
geben Gnade, Geist und Kraft, den alten Menschen zu unterdrücken, daß der neue erfurkomme und

stark werde. Darümp bleibt die Taufe immerdar stehen, und obgleich jemand davon fället und sün-
digt, haben
wir doch immer ein Zugang dazu, daß man den alten Menschen wieder unter sich werfe.'

Mit dieser an Röm 6,3-14 orientierten Beziehung der Taufe auf den ganzen Weg des Christenlebens
setzte sich
Luther nun allerdings in Widerspruch zur traditionellen Verhältnisbestimmung von Buße
und Taufe, wie sie in
der abendländischen Theologie entwickelt worden war. Er wendete sich näm-
lich gegen die Auffassung des Hiero
nymus, daß durch schwere Sünden des Christen die Taufgnade
verlorengehe und die Buße gleichsam eine zweite
rettende Planke für den schiffbrüchigen Sünder sei,
nachdem ihm die erste (die Taufe) abhanden gekommen ist.
Die scholastische Theologie hat das Bild
dann auf die Institution der privaten Beichte und Buße übertragen. Tho
mas von Aquin widmete der
Frage einen eigenen Artikel. Darin deutete er das Bild vom Schiffbruch nun so, daß
die erste Rettungs-
planke das Schiff selbst darstellt, während nur die zweite sich auf die Errettung vom Schiffbruch
be-
zieht. Gegen diese Deutung des Bildes richtete sich Luthers Kritik: 'Damit ist nun der Brauch der Tau-
fe wegge
nommen, daß sie uns nicht mehr nützen kann. Darümp ists nicht recht geredt, denn das Schiff
zerbricht nicht,
weil es... Gottes Ordnung und nicht unser Ding ist'. Es 'geschieht wohl, daß wir glei-
ten und erausfallen, fället
aber imand eraus, der sehe, daß er wieder hinzuschwimme und sich dran
halte bis er wieder hineinkomme und
darin gehe, wie vorhin angefangen'.

Das Konzil von Trient hat Luthers Kritik an der traditionellen Verhältnisbestimmung von Taufe und
Buße und
seine These der Einheit von Taufe und Buße zurückgewiesen (DS 1702). War dabei der Ein-
druck oder die Sorge
maßgebend, daß in der Sicht der reformatorischen Theologie nach der Taufe gar
keine weitere Beichte und Buße
für notwendig gehalten sein könnte? Das wird nahegelegt durch die
Verurteilung der Auffassung, wonach alle
nach der Taufe begangenen Sünden bereits durch bloßes
Gedenken an die Taufe und durch Vertrauen auf sie
erlassen oder in läßliche Sünden verwandelt sei-
en. Sollte die Zurückweisung von Luthers Zusammenschau von
Taufe und Buße damit zusammen-
hängen, so wäre das sachlich unbegründet: Erstens hat Luther das tägliche
'Hineinkriechen' in die
Taufe und 'Ersäufen' des alten Adam durchaus als echte Reue (contritio) über die Sün
de aufgefaßt,
freilich nicht als Tun des Menschen, sondern als von ihm 'passiv' zu erleidendes und im Glauben
an-
zunehmendes Werk Gottes an ihm durch Gesetz und Evangelium. Zweitens aber hat Luther ebenso
wie die
Augsburger Konfession (CA 11 und 12) auch an der Notwendigkeit von Beichte und Buße für
die getauften
Christen festgehalten."

(W. Pannenberg, Systematische Theologie III, Göttingen 1993, 278-280)

"Mit der der Rechtfertigungslehre Luthers genau entsprechenden Exzentrizität der neuen Identität
des Getauften
im Verhältnis zur Ichzentriertheit des alten Menschen hängt es zusammen, daß nach
lutherischer Lehre die Erb
sünde in der empirischen Wirklichkeit des Menschen durch die Taufe nicht
schon gänzlich getilgt ist, sondern
dem durch die Taufe Wiedergeborenen nur nicht mehr zugerech-
net wird, wie schon Augustin gesagt hatte. Das
Konzil von Trient hingegen bestand darauf, daß durch
die Taufe alles beseitigt wird, was im eigentlichen Sinne
des Wortes Sünde ist. In dieser Frage haben
beide Seiten auf ihre Weise recht. Die in der Taufe begründete neue
Identität des Christen ist als sol-
che tatsächlich ohne Sünde. Es gibt nichts Verdammungswürdiges bei denen, die
in Christus wieder-
geboren sind (Röm 8,1). Doch diese neue Realität ist bis zur tatsächlichen Einholung unseres
in der
Taufe zeichenhaft vorweggenommenen Todes noch verbunden mit der durch die Selbstsucht bestimm-
ten
Realität des alten Menschen, und von dieser gilt, daß Gott sie dem durch die Taufe Wiedergebore-
nen nicht mehr
zurechnet. Auch nach der Lehre des Konzils von Trient verbleibt im Getauften noch
Konkupiszenz (DS 1515).
Wenn man diese Tatsache auf ein und derselben Ebene mit der sündlosen
Wirklichkeit des durch die Taufe Wie
dergeborenen zusammenschauen will, kommt es unvermeidlich
zu einer verharmlosenden Deutung der paulini
schen Aussagen über den im Getauften stattfindenden
Widerstreit zwischen Geist und Fleisch (Gal 5,16ff). Gäbe
es aber diesen Widerstreit nicht, warum soll-
te der Apostel dann die Getauften ermahnen, ihre Glieder nicht der
Sünde (!) zur Verfügung zu stel-
len (Röm 6,12f)? Luther hat nicht nur im Bann augustinischer Terminologie,
sondern doch auch in
Übereinstimmung mit Röm 6,12 und 7,7f die Konkupiszenz als Sünde im eigentlichen
Sinne des Wor-
tes aufgefaßt. Deshalb konnte er nicht zugeben, daß im Getauften schon in diesem Leben die
Sünde
gänzlich beseitigt sei. Aber sie wird der in der Taufe begründeten neuen Identität des Wiedergeborenen

unterworfen, so daß sie nicht mehr über ihn herrscht (Röm 6,12). Daß diese neue Identität als solche ohne Sünde ist, wird auch reformatorische Theologie angesichts Röm 8,1 nicht bestreiten dürfen.
Weil diese neue Identi
tät aber auf der Antizipation des in diesem irdischen Leben noch vor uns lie-
genden Todes beruht, darum muß
im Gang dieses irdischen Lebens der alte Mensch immer noch mit
Leib und Seele von dem neuen 'absorbiert'
werden, bis wir am jüngsten Tage das im 'Zeichen' der
Taufe bereits Vollzogene vollständig eingeholt und er
füllt haben werden.

Luther hat also keinswegs, wie die tridentinische Verurteilung der Lehre von einer bloßen Nichtan-
rechnung der
Sünde infolge der Taufe anzunehmen scheint, die den Menschen real verändernde
Wirkung der Taufe unter
schätzt oder gar bestritten. Er hat auch nicht den perfektischen Charakter
der in der Taufe vollzogenen Wieder
geburt in Zweifel gezogen. Seine Lehre hat lediglich den sakra-
mentalen, also zeichenhaften Charakter des Tauf
geschehens zur Geltung gebracht. Daß das Sakra-
ment seine Wirkung nicht mit einer unmittelbaren physischen
Kausalität verwechselt werden darf,
ist ein Gesichtspunkt, der auch der römisch-katholischen Sakramententheo
logie nicht fremd ist.
Daraus ergibt sich aber für das Verständnis der Taufe, daß die im Akt der Taufe vollzogene
Wie-
dergeburt des Menschen zwar auf der Ebene des sakramentalen Zeichnes schon definitiv raealisiert
ist, im ir
dischen Lebensvollzug des Getauften jedoch der glaubenden Aneignung bedarf, die im
Falle der Taufe nicht in
einem einzigen Augenblick abgeschlossen ist, sondern im ganzen Prozeß
seines irdischen Lebens stattfinden muß."


(W. Pannenberg, Systematische Theologie III, Göttingen 1993, 280f)