Perry Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine
christliche
und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh
2005;
Der vor einigen Jahren in Deutschland habilitierte und
nunmehr an der Universität Glasgow auf einem Lehr-
stuhl für "Weltreligionen und Friede" tätige Perry Schmidt-Leukel
ist inzwischen der renommierteste und
engagierteste deutschsprachige Vertreter einer sogenannten pluralistischen
Religionstheologie aus christlicher
Perspektive. Mit dem hier zu besprechenden Buch legt er eine umfassende
und beeindruckende Orientierung
zu dieser Thematik vor, welche sehr dazu angetan ist, Möglichkeiten
und Grenzen einer solchen Konzeption
aufzuzeigen. Eine kurze Einführung informiert zunächst über
die rund 20jährige Genese der pluralistischen
Religionstheologie sowie in einer kurzen Skizze über den Gedankengang
des vorliegenden Buches.
Der ERSTE TEIL enthält sodann
eine gut lesbare, übersichtliche und sehr systematisch
aufgebaute Darstel-
lung dessen, worum es der pluralistischen Religionstheologie geht und
wie diese zu verstehen ist. Zunächst
grenzt der Autor - und das ist offenbar aufgrund von Erfahrungen, Unterstellungen
und Missverständnissen
sehr notwendig - das Anliegen der pluralistischen Religionstheologie ausdrücklich
und sehr klar von jeder
Art eines postmodernen Relativismus ab. Demnach gehe es der pluralistischen
Religionstheologie nicht
darum, jeden Wahrheitsanspruch aufzugeben, um dann auf billige Weise jegliche
religiöse Richtung
als prinzipiell gleichgültig anzusehen, sondern es werde mit Thomas
von Aquin daran festgehalten, dass
Theologie - mithin auch Religionstheologie - eine Wissenschaft sei, die
konsequenterweise einen Wahrheits-
anspruch erhebt, welcher rational vertret- und kontrollierbar sei
(31-33). In einer christlichen Theologie der
Religionen, gehe es dabei um "eine möglichst plausible Erklärung
für das..., was uns in der Welt der Religio-
nen konkret begegnet" (33), genauer: um eine Beantwortung der Doppelfrage:
"Wie versteht und beurteilt das
Christentum andere Religionen?" und "Wie versteht und beurteilt
das Christentum sich selbst angesichts der
anderen Religionen?" (34).
Aus dogmatischer Sicht sei dabei zu
fragen, inwieweit es eine Heilsbedeutung auch nichtchristlicher Religio-
nen gebe (35-37), und aus praktischer Perspektive, wie den Anhängern
und Anhängerinnen anderer Religio-
nen zu begegnen sei (38-42). Wenn immer man aber der Auffassung sei, dass
Religionen untereinander nicht
vollständig und grundsätzlich unvergleichbar seien, komme es darauf
an, Kriterien zur Beurteilung von
Weltanschauungen bzw. Religionen zu entwickeln und diese dann auch anzuwenden.
Solche Kriterien sollten
nach Schmidt-Leukel rational, ethisch und soteriologisch orientiert sein
(43). Vor dem Hintergrund, dass -
mit John Hick - "die Umwandlung der menschlichen Existenz von der Selbstzentriertheit
zur Zentriertheit auf
das Wirkliche" das gemeinsame zentrale Thema von Religionen sei (48),
formuliert er als ein erstes (soterio-
logisch orientiertes) Kriterium zur Beurteilung von Religionen - und zwar
erneut John Hick zitierend - "Der
Wert religiöser Traditionen und ihrer verschiedenen Elemente...
bemißt sich daran, ob sie die erlösende
Transformation fördern oder behindern" (49). Allerdings bedürfe
"es weiterer Kriterien, die als Indikatoren
dafür fungieren... ob sich die heilshafte Transformation tatsächlich
vollzieht" (49). Im übrigen seien "die
Kriterien hierfür den Religionen selbst zu entnehmen, jedoch nicht
ihrem je spezifischen Sondergut, sondern
dem, was sie verbindet, weil nur so eine interreligiöse Anerkennung
dieser Kriterien gewährleistet ist" (49).
Der Vergleich zwischen Religionen solle nun so stattfinden: In einem ersten
Schritt sei "danach zu fragen,
von welchen Kriterien... die Akzeptanz der eigenen Religion getragen
ist" (52). In einem zweiten Schritt seien
"nach denselben Kriterien die Heils- und Wahrheitsansprüche anderer
Religionen zu beurteilen" (52) und in
einem dritten Schritt sei "schließlich nach der Übereinstimmung
und der Verschiedenheit zwischen den
innerhalb des Christentums und den in den anderen Religionen zur Anwendung
kommenden Kriterien zu fra-
gen" (53). Ein solcher Prozess sei "langwierig und mühevoll,
denn er setzt voraus, sich mit den Augen ande-
rer sehen zu lernen" (53).
In einer sehr schlüssigen
Darlegung erläutert der Autor danach das religionstheologische
Dreierschema (Ex-
klusivismus, Inklusivismus, Pluralismus), legt überzeugend dar,
dass dieses logisch umfassend ist, und setzt
sich in lucider und überzeugender Weise mit diversen Einwänden
hiergegen auseinander. EXKLUSIVIS-
MUS aus der Perspektive des Christentums bzw. christlicher Exklusivismus
besagt demnach, "dass sich
heilshafte Offenbarung/Transzendenzerkenntnis nur innerhalb des Christentums
findet" (69). Christlicher IN-
KLUSIVISMUS besagt, "dass sich heilshafte Offenbarung/Transzendenzerkenntnis
in defizitärer Form auch
in nichtchristlichen Religionen findet" (69). Christlicher PLURALISMUS
schließlich besagt, "dass sich
heilshafte Offenbarung/Transzendenzerkenntnis innerhalb nichtchristlicher
Religionen und innerhalb des
Christentums findet, ohne dass hierbei eine der unterschiedlichen
Formen, in denen sie bezeugt und vermittelt
wird, alle anderen überragt" (70). Wichtig ist, dass Schmidt-Leukel
an dieser Stelle noch weiter differen-
ziert. So stellt er fest, dass ihm niemand bekannt sei, der die
Gleichwertigkeit aller Religionen behaup-
te, mithin also einen umfassenden religiösen Pluralismus behaupte.
Christliche Pluralisten unterschieden
sich untereinander vielmehr darin, für einzelne oder ggf. mehrere Religionen
die Gleichwertigkeit mit dem
christlichen Glauben zu behaupten, "gegenüber bestimmten
Erscheinungsformen von Religion oder quasireli-
giösen Weltanschauungen (aber) eine exklusivistische oder
auch inklusivistische Haltung einzunehmen" (70).
Kommentar: Bis zu diesem Punkt erscheint
die Darlegung des Buches als eine ausgesprochen solide Beschrei-
bung und Differenzierung dessen, wie religionstheologisch
argumentiert und bewertet werden kann. Auch
und gerade das religionstheologische Dreierschema
leuchtet ein als ein differenziertes Bewertungsschema im
Kontext der Religionstheologie. Angesichts dessen,
dass Kriterien bzw. ein Verfahren zur Bewertung unter-
schiedlicher Religionen aus der Perspektive des christlichen
Glaubens benannt wurden, könnte man sich vor-
stellen, dass diese Kriterien nun im Hinblick auf
einzelne oder mehrere Religionen hin angelegt sowie als Er-
gebnis ein exklusivistisches, inklusivistisches oder
pluralistisches Verständnis im Hinblick auf diese Religion
formuliert würde. Offen und ungeklärt bleibt
freilich dabei die Frage, was denn eine pluralistische Perspekti-
ve gegenüber einer anderen Religion inhaltlich
tatsächlich bedeuten könnte. Müsste nicht die nach eingehen-
der Betrachtung aller Kriterien gewonnene Einschätzung,
dass eine Religion in gleichwertiger Weise Offen-
barung bzw. Transzendenzerkenntnis vermittele wie
der christliche Glaube, bedeuten, dass entweder Offen-
barung und Transzendenzerkenntnis
identisch sind (dann wären es aber nicht unterschiedliche Religionen,
sondern bestenfalls eine Religion,
die unterschiedlich inkulturiert ist) oder aber Offenbarung und Transzen-
denzerkenntnis sich inhaltlich einander
ergänzen? Letzteres freilich widerspräche christlichem
Selbstver-
ständnis, das bekanntlich davon ausgeht, dass
die Offenbarung Gottes in Jesus Christus für uns Menschen ab-
solut vollständig und schlechthin unüberbietbar
ist. Der von (christlichen) Religionspluralisten - auch von
Schmidt-Leukel - in diesem Zusammenhang regelmäßig in massiver
Weise vorgetragene Hinweis auf die
auch im Christentum sehr ausgepägte Tradition
einer negativen Theologie, deren Vertreter und Vertreterin-
nen sich dessen bewusst seien, dass der transzendente
Gott für Menschen nie vollständig, wenn überhaupt, zu
erkennen sei, übersieht, dass die christliche
Tradition sehr wohl und sehr genau differenziert zwischen der
grundsätzlichen Unbegreiflichkeit Gottes
(im Sinne des nie vollständig zu erlangenden Begreifens Gottes
durch den Menschen) einerseits wie der für
das Begreifen von Menschen in einem Höchstmaß erfolgten
Offenbarung dieses Gottes in Jesus Christus
andererseits. Da bleibt für eine von Jesus Christus bzw.
durch ihn ergangene Offenbarung inhaltlich
verschiedene und angeblich doch gleichwertige Offenba-
rung dieses einen Gottes auf andere Weise
aus christlicher Sicht logisch einfach kein Platz. Dies nicht
einzusehen und stattdessen über Jahre
hinweg das Gegenteil zu behaupten, ist das größte Manko christlicher
Religionspluralisten im Hinblick auf das Verständnis
der eigenen christlichen Tradition.
In der Folge geht Schmidt-Leukel nunmehr in umfassender
Weise auf die einzelnen Elemente dieses Dreier-
schemas in ihrer historischen Ausprägung und systematischen
Relevanz ein. Exklusivismus, Inklusivismus
und Pluralismus verändern dabei allerdings den ihnen zuvor zugeschriebenen
Charakter. Während sie ein-
gangs dem Leser vorgestellt wurden als rein kognitiv anzuwendende
religionstheologische Kategorisie-
rungen zur Bestimmung des jeweiligen Verhältnisses einer Religion
zu einer oder mehreren anderen,
die sinnvollerweise nach Anwendung einer Reihe von rationalen Kriterien
vorzunehmen sei, werden sie
nunmehr - der Wechsel geschieht intransparent und damit unwissenschaftlich
- zu generalisierten Haltun-
gen, die sich für das Verhältnis des christlichen Glaubens
zu anderen Religionen angeblich historisch
relativ genau festmachen und durch den Autor moralisierend einschätzen
lassen. Dabei geraten - wen
wundert dies bei der Präferenz des Autors - die christliche Haltung
des Exklusivismus und des Inklusivismus
gegenüber anderen Religionen in ständige Nähe von Gewaltexzessen
und anderen moralischen Verwerflich-
keiten, während einzig der religiöse Pluralismus selbstredend
als ethisch hochstehend bzw. religionspolitisch
korrekt und modern dargestellt wird.
So kann das Ergebnis dieses Durchgangs nicht verwundern, dass
da lautet, dass exklusivistische "Ansprüche
auf die Alleingültigkeit des Christentums und inklusivistische
Ansprüche auf singuläre Überlegenheit... zuneh-
mend unglaubwürdig geworden" seien (163) (warum eigentlich?)
und dass sowohl Exklusivismus als auch
Inklusivismus "an erheblichen und vermutlich nicht zu behebenden
Problemen" kranken, so dass nur der Plu-
ralismus "zu einer genuinen Wertschätzung religiöser Vielfalt
in der Lage" sei sowie schließlich "allein der
Pluralismus dem Umstand Rechnung (trage), dass nach dem Kriterium
der >Früchte des Geistes< eine Über-
legenheit der christlichen Vermittlung heilshafter Transzendenzerkenntnis
nicht erkennbar ist, sondern zumin-
dest die großen religiösen Traditionen in dieser
Hinsicht ebenbürtig zu sein scheinen" (190f).
Kommentar: Was aber ist das
für eine eigenartige "Argumentation"? Sie liegt etwa auf der
Linie dessen, dass
man behauptete, in der Mathematik sei die exklusivistische
Aussage, dass nur vier die Summe von zwei plus
zwei sei, angesichts dessen, dass es darum mal Streit
gegeben habe und dabei ein Schüler schwer verletzt
worden sei, nunmehr untragbar geworden; um weiteren potentiellen Gewaltexzessen
aus dem Weg zu gehen,
sollte nun stattdessen besser eine mathematik-pluralistische Auffassung
eingenommen werden: Da in einer
Klassenarbeit von den Schülern die Zahlen 3 bis 7 als Ergebnis für
die Additionsaufgabe 2+2 vorgeschlagen
worden seien, werde man dieser Vielfalt nur gerecht, indem man alle diese
Zahlen als in gleichem Maße
richtige Ergebnisse anerkenne. Was für eine
seltsame - und letztlich Oberflächlichkeit demonstrierende - Ka-
tegorienverwechslung von Wahrheitsanspruch und Respektierung
der Meinungsvielfalt!
Der Leser fragt sich an dieser Stelle auch:
Woher weiß der Autor denn, dass gerade "die großen religiösen
Traditionen" "dem christlichen
Glauben ebenbürtig" sind? Dies wäre doch - an Hand der benannten Kriterien
- gerade erst zu erarbeiten und nachzuweisen. Und im übrigen: warum eigentlich nur diese? Ist
es nicht wo-
möglich moralisch höchst verwerflich und einem (wirklich engagierten)
religiösen Pluralismus höchst zu-
widerlaufend, nur den großen religiösen
Traditionen Ebenbürtigkeit zuzusprechen, nicht aber irgendwelchen
Stammesreligionen aus Schwarzafrika oder auch politischen
Fanatismen wie dem Nationalsozialismus? Oder
- um im obigen Beispiel zu bleiben - warum sollen
nur die Zahlen 3 bis 7 als gleichwertige Ergebnisse für
die Additionsaufgabe 2+2 anerkannt und nicht etwa 9, 12 oder 14, die von
keinem oder vielleicht nur einem
Schüler als Ergebnis benannt wurden? Entscheidet
etwa die bloße Mehrheit der Anhänger darüber, welche
(religiöse oder mathematische) Auffassung die
richtige ist? Dann hätte dem christlichen Glauben am Beginn
seines Entstehens überhaupt kein Wahrheitsanspruch
zugebilligt werden brauchen.
Wenn es aber tatsächlich so ist, wie
Schmidt-Leukel oben ausgeführt hat, dass nach einer Reihe von Kriterien
in einem umfassenden interreligiösen Dialog
zu erarbeiten sei, welche Haltung aus christlicher Perspektive
gegenüber einzelnen anderen Religionen einzunehmen
sei, wieso kennt Schmidt-Leukel dann das Ergebnis
schon vorher, wieso weiß er dann bereits an dieser Stelle, dass
die großen religiösen Traditionen "dem christ-
lichen Glauben ebenbürtig" sind? Hat
er ein Geheimwissen, dass er niemandem offenbart? Hat er mit Vertre-
tern aller anderen Religionen alle hierzu notwendigen
Kriterien schon entwickelt und im "langwierigen und
mühevollen" Prozess (s.o.) des interreligiösen Dialogs diese
bereits abgearbeitet, der Öffentlichkeit dies nur
nicht mitgeteilt? Dies ist nicht sehr wahrscheinlich.
So liegt jedenfalls der Verdacht nahe, dass es dem Autor
letztlich nicht - wie von ihm vorgegeben - um die
Entscheidung der religiösen Wahrheitsfrage geht, sondern
allein oder doch vorrangig darum, denjenigen interreligiösen
Mitdiskutanten Willfährigkeit und Entgegen-
kommen zu demonstrieren, die ihm tagtäglich
im interreligiösen Dialog gegenübersitzen, die anderen aber
geflissentlich zu übersehen.
Sollten aber tatsächlich Exklusivismus
und Inklusivismus "an erheblichen und vermutlich nicht zu beheben-
den Problemen" kranken bzw. exklusivistische
"Ansprüche auf die Alleingültigkeit des Christentums und
in-
klusivistische Ansprüche auf seine singuläre
Überlegenheit... zunehmend unglaubwürdig geworden" sein
(163), warum nimmt dann selbst der christliche Religionspluralist
gegenüber einzelnen Religionen und Welt-
anschauungen eine (doch vermeintlich rückständige)
exklusivistische bzw. inklusivistische Haltung ein (John
Hick/70)? Wäre es dann nicht konsequenter, dass der christliche Religionspluralist,
um religionspolitisch völ-
lig korrekt zu handeln, einen undifferenzierten
religiösen Pluralismus gegenüber allen anderen Weltan-
schauungen und Religionen einnähme und damit
die Wahrheitsfrage für die Religionen auf postmo-
derne Weise eben doch suspendierte? Ein bisschen
Wahrheit und daneben ein bisschen religionspolitische
Willfährigkeit geht eben nicht. Das größte Manko des Buches
wie vielleicht des religionspluralistischen An-
satzes überhaupt ist es, dass die religiöse
Wahrheitsfrage auf moralisierende Weise mit der Frage nach
einer angemessenen oder religionstheologisch korrekten
Haltung gegenüber Andersgläubigen ver-
mischt wird.
Die Frage sei nun allerdings, so Schmidt-Leukel
weiter und mit Recht, "ob eine pluralistische Position über-
haupt eine christliche Möglichkeit" darstelle (191),
ob also - mit John Hick gesprochen - noch als >christ-
lich< zu formulieren legitim sei: "der Glaube, dass es eine unbedingte,
transzendente Wirklichkeit gibt, die
die Quelle und der Grund von allem ist; dass diese Wirklichkeit in
Bezug auf das menschliche Leben gut ist;
dass sich die universale Gegenwart dieser Wirklichkeit auf menschliche
Weise widerspiegelt (>inkarniert<)
im Leben der großen spirituellen Leitgestalten der Welt; und dass
wir unter diesen in Jesus unsere hauptsäch-
liche Offenbarung dieser Wirklichkeit sowie den hauptsächlichen
Wegweiser für unser Leben gefunden ha-
ben" (191).
Der ZWEITE TEIL beschäftigt sich sodann und daraufhin mit
den "Voraussetzungen einer christlichen und
pluralistischen Theologie der Religionen". Als grundlegende
Voraussetzung für eine pluralistische Theologie
der Religionen wird hier mit Verweis auf John Hick zunächst
die Tatsache benannt, dass "in allen großen re-
ligiösen Traditionen dieser Welt auf je eigene Weise bekräftigt
(wird), dass es eine letzte transzendente Wirk-
lichkeit gibt, die in ihrer Transzendenz alles menschliche
Begreifen und alle menschlichen Beschreibungsver-
suche übersteigt" (206).
Kommentar: Aus logischen Gründen
offensichtlich unzutreffend ist jedoch die hieraus gefolgerte These,
dass
es sich "bei dem, was die großen Religionen über die transzendente
Wirklichkeit sagen, nicht um gegensätzli-
che und einander ausschließende Beschreibungen
handeln (kann), sondern um unterschiedliche sprachliche
Annäherungen an eine Wirklichkeit, die nach
Auffassung dieser Religionen jede Beschreibbarkeit übersteigt"
(206). Unzulässig ist diese Folgerung deshalb,
weil aus rein formallogischen Gründen aus der Tatsache, dass
"in allen großen religiösen Traditionen"
dieser Welt eine nicht vollständige Beschreibbarkeit der "letzten
transzendenten Wirklichkeit" behauptet wird,
nicht notwendig folgt, dass die faktisch vorgenommenen Be-
schreibungen der transzendenten Wirklichkeit nicht
gegensätzlich oder einander ausschließend sein könnten.
Natürlich können sie das; und dies wird - um ein Beispiel zu
nennen - ganz einfach daran deutlich, dass z.B.
George W. Bush die letzte transzendente Wirklichkeit
als eine solche beschreibt, die darauf aus sei, dass der
US-Amerikaner in ihrem Namen die von Bush als
solche definierte "Achse des Bösen" bzw. die "Schurken-
staaten" vernichte, während bereits andere
Christen hierzu das Gegenteil behaupten. Natürlich werden also
-
unbeschadet der weithin anerkannten These, dass die letzte transzendente
Wirklichkeit nicht vollständig vom
Menschen zu begreifen bzw. zu beschreiben sei (was
eigentlich Besonderes ist das schon? gilt dies nicht auch
schon vom Elektron oder vom Menschen?) - gegenteilige Beschreibungen
der letzten transzendenten Wirk-
lichkeit vorgenommen, diese werden mit Wahrheitsansprüchen
versehen, und sie werden dann spirituell wie
politisch in hohem Maße handlungsleitend.
Hiervor die Augen zu verschließen und stattdessen die Behaup-
tung von gegensätzlichen Wahrheitsansprüchen
abfällig als "Tendenzen einer Dogmatisierung" zu diffamie-
ren (207), ist nicht nur naiv und undurchdacht,
sondern widerspricht dem vom Autor eingangs seiner Schrift
(31-35) selbst erhobenen Wahrheitsanspruch für
die Theologie. Oder gilt etwa für Schmidt-Leukel: Theolo-
gische Wahrheitsansprüche dürfen lediglich
christliche Religionspluralisten erheben, nicht aber exklusivis-
tisch oder inklusivistisch denkende bzw.
argumentierende christliche Theologen?
Eine weitere sehr seltsame Feststellung des Autors
besagt, dass sowohl Inklusivisten als auch Pluralisten
"grundsätzlich mit der Existenz religiöser Qualitätsunterschiede"
rechnen bzw. dass keineswegs "alle (religiö-
sen) Formen gleichermaßen gültig oder wirksam oder akzeptabel
sind." "Wie Inklusivisten nehmen (also)
auch Pluralisten an, dass es bei den Religionen Unterschiede hinsichtlich
der Qualität ihrer Vermittlung
heilshafter Transzendenzerkenntnis gibt". Woher wissen aber dann
die Pluralisten, "dass nicht eine einzige
Religion als die allen anderen überlegene Religion hervorsticht"?
(alle Zitate S. 261) Sie wissen es, weil sie
es als erwiesen ansehen, dass "unter dem Aspekt ihrer Heilswirksamkeit,
also ihrem Potential zur Beförderung
der menschlichen Heilssituation... allem menschlichen Ermessen nach
keine unter ihnen (d.s. die großen reli-
giösen Traditionen) (gibt), die den heilshaften Prozess auf eine
optimalere und deutlich effizientere Weise be-
günstigt hätte als alle anderen. Keine der großen Religionen...
(habe) sich diesbezüglich als die allen ande-
ren überlegene erwiesen" (266f).
Kommentar: Dies wäre aber
doch erst gerade zu zeigen. Wo gibt es einen Beweis hierfür?
Nirgends. Es
scheint also bloße Setzung, bloßer Positivismus, auf dem die
pluralistische These hier beruht. Außerdem:
Hier geht es lediglich um ein Argument der historischen
Effizienz. Das kann aber als Argument für die
Wahrheit der Transzendenzerkenntnismöglichkeit
durch eine Religion keinesfalls ausreichen. Denn: Denkbar
ist es sehr wohl, dass es eine religiöse Tradition
bzw. eine Religion gibt, die von ihrer Zugangsweise auf die
transzendente Wirklichkeit alle Voraussetzungen
erfüllt, auf außergewöhnlich positive Weise Heilserfahrung
den Menschen zu ermöglichen, dass es aber lediglich
ungünstigen gesellschaftlichen, politischen, historischen
oder kulturellen Bedingungen zuzuschreiben ist,
dass diese Entfaltung nicht oder nur schlecht gelungen ist.
(Oder um im obigen Beispiel zu bleiben: Allein aus der Tatsache, dass jener
Schüler, der für die Additions-
aufgabe 2+2 4 als Ergebnis angibt, gleichzeitig der
größte Schläger der Klasse ist, folgt noch nicht, dass
sei-
ne Antwort falsch oder nicht sogar die einzig richtige
ist.) Um eine abschließende Beurteilung der potentiel-
len Heilsqualität einer Religion vorzunehmen, genügt es mithin
keinesfalls, auf die faktische Heilsentwick-
lung zu schauen und diese zu beurteilen, selbst
wenn man angemessene Raster für eine solche Beurteilung
fände. Der religionspluralistische Standpunkt,
der sich allein auf diese bezieht, steht mithin auf sehr sehr
wackligem Terrain. Auch die im Anschluss
daran formulierte These, dass "weder im Hinblick auf die theore-
tischen Lehren der Religion noch unter
praktischen und historischen Aspekten Anlass für die Annahme (beste-
he), dass nur eine einzige unter ihnen
(d.s. die Religionen) die günstigsten Voraussetzungen für den
heilshaf-
ten Transformationsprozess" (268) biete,
erscheint als munter aus der Luft gegriffen, und ist genau jenes,
was vielleicht in einem interreligiösen Dialog allererst zu
untersuchen wäre.
Der DRITTE TEIL des Buches informiert kenntnisreich
über historische und systematische Aspekte des Ver-
hältnisses des christlichen Glaubens zu den anderen
großen religiösen Traditionen. Hierbei wird jeweils zum
Abschluss der Auseinandersetzung dargelegt, in welche Richtung ein
christlich-pluralistisches Religionsver-
ständnis im Hinblick auf diese religiöse Richtung zu denken
wäre. Knackpunkte im Verhältnis zum Judentum
bleiben demnach die Interpretation Jesu, im Verhältnis zum
Islam das Offenbarungsverständnis und die Wür-
digung Muhammads, hinsichtlich des Hinduismus sind es die Einschätzung
des Kastensystems und erneut der
Inkarnation Gottes, bzgl. des Buddhismus sind es die unterschiedlichen
Interpretationen der Wirklichkeit un-
ter der Perspektive der Vergänglichkeit und der interpersonalen
Bezogenheit, sowie die unterschiedlichen In-
terpretationen der transzenten Wirklichkeit und ihrer Inkarnationsmöglichkeiten
in der Welt.
Alles in allem zeigt sich,
dass die sogenannte religionspluralistische These noch vielfältiger
Klärungen
und vor allem schlüssigerer Argumentationen
bedarf, bevor sie ansatzweise ernstgenommen werden
kann. Vielleicht freilich löst sie
sich bei genauerem Hinsehen und Nachdenken aber auch in Luft auf.
Herbert Frohnhofen 10. Oktober 2005