Moses Mendelssohn, Schriften zum Judentum III,3. Pentateuchkommentare
in deutscher Über-
setzung, hg.v. Daniel Krochmalnik, übersetzt von Rainer Wenzel,
Stuttgart-Bad Cannstatt 2009;
Dieses Buch enthält augewählte, ins Deutsche
übersetzte Texte aus dem hebräischen Kommentar von
Moses
Mendelssohn und
einigen seiner Mitarbeiter zu der von diesen selbst zwischen 1780 und 1782
erschienenen
Pentateuchedition, die - so die Vorbemerkung des Herausgebers - als
"eines
der wirkmächtigsten Werke der
jüdischen Aufklärung" anzusehen ist (IX). Der Kommentar
- so sieht man auf den folgenden Seiten - ist aus-
gesprochen detailliert; an wichtigen Stellen geht er Wort für Wort
vor und bespricht diese ausführlich. Be-
trachten wir im Folgenden exemplarisch einige ausgewählte Stellen aus
diesem Kommentar.
Ausführlich besprochen wird der Baum der Erkenntnis
(zu Gen 2,9/S. 40-46). In Abgrenzung von ande-
ren Kommentatoren bezweifelt M., dass das Genießen der Frucht von diesem
Baum "das Begehren nach
Beischlaf erzeugt habe, weshalb sie (d.s. die Menschen) ihre Blöße
bedeckten" (40), sage die Schrift doch,
dass die Erkenntnis von Gut und Böse aus dem Genuss der Frucht folge
(Gen 3,5.22). Nach seiner Inter-
pretation bringt der Genuss der Frucht die Freiheit, Gutes oder Böses
zu tun, also die sogenannte Willkür-
oder Wahlfreiheit, die den Menschen zuvor noch nicht gegeben gewesen sei.
Dies sei einerseits eine gött-
liche Eigenschaft, zugleich aber ein Übel für die Menschen, da
er erst hierdurch "Trieb und Begehren"
bekommen habe (41). Kritisch setzt M. sich vor diesem Hintergrund mit der
Auffassung auseinander, dass
"Adam, bevor er sündigte, überhaupt keine Wahlfreiheit und
keinen Willen besessen... (habe), sondern (er)
war der Naturordnung gemäß in seinen Handlungen vorgeprägt,
darin den Himmelskörpern ähnlich" (43).
Demgegenüber sieht M. selbst die nachteilige Wirkung des Genießens
von der verbotenen Frucht darin,
dass der Mensch innerlich hinsichtlich des Verhältnisses von Vernunft
und Begehren in Unordnung gerät:
"Wenn jedoch diese Harmonie, die zwischen diesen Kräften besteht,
fehlt, gehen daraus schlechte und
schlimme Eigenschaften hervor. Wenn nämlich das Begehrungsvermögen
die Vernunft überwindet, neigt
es den Menschen zur Begierde nach Überflüssigem und zur Sinnenlust.
Er jagt dem scheinbar Angeneh-
men und Guten nach und verläßt das wahre Gute. Und manchmal
sieht er mit seinen Augen das wahre
Gute, das ihn zum Erfolg führt, und erkennt es mit seinem
Herzen, doch die Stärke des Begehrens, das
mit seiner Kraft das Urteil der Vernunft überwindet, verführt
ihn, der Wollust des Leibes nachzufolgen,
so daß er in der Jagd nach Sinnenlust versinkt" (44). M. tritt
also dafür ein, dass der Mensch bereits,
"bevor er sündigte, Wahlfreiheit und Willen besaß" (45)
und formuliert damit eine sehr moderne, ja
aktuelle Anthropologie.
Des Pharaos Verhärtung des Herzens (Ex 7,3;
8,28) wird ebenfalls ausführlich kommentiert (137ff).
Zur Diskussion steht für M. dabei die Frage, ob denn dem Pharao überhaupt
eine Sünde anzulasten sei,
wenn doch Gott sein Herz verhärtete. Dieses Tun Gottes, so interpretiert
M., geschieht erst in der Fol-
ge dessen, dass der Pharao zuvor aus freien Stücken das Schlechte tut.
Im Übrigen sei die Ankündigung
dieses Tuns (Ex 4,21) nur dazu da, Mose bereits über die bevorstehende
Zukunft zu informieren. Alle
Handlungen seien im Übrigen von Gott "bewirkt, einige mit absoluter
Vorherbestimmung und einige mit
Überlassung der Wahlfreiheit. Es gibt nämlich Wandlungen in
der Welt und Wandlungen in der Seele.
Die Wandlungen in der Welt entspringen nun der Bewegung, und die Bewegung
ist durch Vorherbestim-
mung determiniert; die Wandlungen in der Seele aber entspringen dem Begehren,
und das Begehren ist
frei, da ist kein Zwang und keine Notwendigkeit" (138f). Auch wenn
Gott das Herz des Pharao aber ver-
härtete, so tat er dies nach M. "um seine Wunderbeweise zu vermehren,
so daß die Mizrim erkennen, daß
er der Ewige ist" (139).
Auch das Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18)
nimmt M. genau unter die Lupe (346-351). M. erläu-
tert, dass hiermit keinesfalls gemeint sein könne, dass "einer jeden
Menschen so lieben soll, wie er sich
selbst liebt" (346), denn das liege aus verschiedenen Gründen
nicht im Vermögen des Menschen; und
auch andere Ausleger vor ihm hätten das Gebot so nicht verstanden. Vielmehr
gehe es darum, keinen
Mitmenschen gering zu schätzen bzw. zu verachten, weil auch er ein Ebenbild
Gottes ist. - Im Ganzen
sind die Kommentar also auch für Christen höchst interessant; dem
Herausgeber und dem Verlag ist zu
danken, dass sie diese auf die vorliegende Weise für die deutsche Sprachfamilie
leicht zugänglich ge-
macht hat.
Herbert Frohnhofen, 21. Juli 2009