Johann Habermann/Johannes Avenarius, Christliche Gebet für alle Not und Stende der gantzen
Christenheit (1567), kritisch herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen
von Johann
Anselm Steiger (Doctrina et pietas II/4) Stuttgart-Bad Cannstatt 2009;

Johann Habermann - so informieren die biographischen Bemerkungen des Herausgebers im Nachwort -
führte ein arbeitsreiches und bewegtes Leben zwischen kirchlicher Verkündigung als Diakon und Pfar-
rer, theologischer Wissenschaft als Professor an den Universitäten Jena und Wittenberg, kirchlicher Ver-
waltung als Superintendent von Naumburg und Zeitz und nicht zuletzt in Ehe und Familie als mehrfach
verheirateter Ehemann und vielfacher Vater. Unter seinen überdies verfassten zahlreichen Publikationen
aus unterschiedlichen Genres gilt das hier edierte Gebetbuch als die erfolgreichste; es hat "Generationen
von Gläubigen als geistlicher Begleiter im Leben und gewiß auch im Sterben zur Seite gestanden" (407).
Bis ins 20. Jahrhundert wurde das Gebetbuch immer wieder neu aufgelegt und in zahlreiche Sprachen
übersetzt; über Jahrhunderte galt es als DAS lutherische Gebetbuch schlechthin, wohl auch weil es sich
im Wortlaut oft an Luthers Kleinen Katechismus anlehnt. In zwei Teilen enthält es zunächst Gebete zu
den einzelnen Wochentagen und daran anschließend für unterschiedliche Personengruppen bzw. zu ein-
zelnen Anlässen. In der vorliegenden Edition werden die beiden frühesten greifbaren Drucke aufgrund
ihrer zum Teil großen Abweichungen voneinander durchgehend auf der linken zur rechten Seite paral-
lel dargestellt. Die Varianten weiterer drei Auflagen werden im kritischen Apaarat aufgeführt.

Inhaltlich fällt auf, dass in den Gebeten häufig die Bitte um Schutz vor den Listen und Tücken des Teu-
fels bzw. des bösen Feindes formuliert wird. Den Kindern möge die Gnade gegeben werden, "sich züch-
tigen und zihen (zu) lassen" (113), Gott möge hinwegnehmen "die Thorheit welche jungen Leuten im
Hertzen steckt das sie nicht der angeborn seuche un dem erbschaden zu vil einreumen in jren Mutwillen
vnd eigen sinnen auffwachssen widerspenstig vnd halstarrig werden" (115). Dazu passt die Überzeugung,
"das in meinem Fleisch nichts guts wohnet sintemal ich gantz in Sünden empfangen vnd aus sundlichem
Samen gezeuget bin dazu mein Fleisch vnd blut also verrückt ist dz ich aus eigener Vernunfft nichts kan
vernemen noch verstehen was des Geistes ist" (213). Das ist wahrlich starker Tobak: die erbsündlich ver-
ursachte Schädigung des Menschen führt - ganz in der Tradition Luthers - nicht nur zu körperlicher und
emotionale Verwirrung, sondern auch und vor allem zur dauerhaften Schädigung der Vernunft, so dass
Wahrheit nicht wirklich mehr erkannt werden kann und nurmehr eine von außen kommende Autorität
(Jesu Christi resp. der Schrift) mich auf den richtigen Weg der Erkenntnis und des Handelns zu zwingen
vermag. Dies führt das Gebet dann so weiter aus: "Jch ruffe zu dir Du wöllest mir offenbaren das rechte
Erkenntnis deines lieben Sons auff das ich dein heiligs Wort vnd geistliche ding nicht nach meinem
Fleischlichen Verstand richte oder vrteile auch nicht fleischlich gesinnet sey. Hilff das ich meinen Leib
beteube das böse Fleisch zwinge vnd es Creutzige sampt den lüsten vnd begierden auff das mich regiere
dein heiliger Geist" (213).

Im Rahmen der Gebete für einzelne Personen und Anlässe wird die Ehefrau angeleitet zu beten: "Hilff
das nach deinem Gebot mein Wille meinem Manne vnterworfen sey demselbigen zu gehorchen inn aller
billigkeit" (273), die jungen Menschen sollen z.B. beten: "Dempffe die bösen Lüste in meinem Hertzen
Lesche aus die flammen fleischlicher Begierde das ich mich nicht vmbsehe nach schönen Menschen"
(285), die schwangere Frau betet: "Wende meine Augen ab das ich mich nicht versehe an jrgend einer
gestalt dieselbige mir einzubildenamit nicht etwan meine Frucht im leib vnförmlich verstalt vnnd vnge-
schaffen möchte werden" (289). Im Gebet gegen die Türken heißt es: "du wöllest... vns behüten für der
grausamen Tyranney des Türckens vnnd seiner grossen Macht. Du sihest ja wie er in dein Erbe ist gefal-
len vnnd gedenckt deine Kirche vnnd Gemein zu verunreinigen vnd aus vnsern Stedten steinhaufen zu ma-
chen... Er hat der Christen Blut vergossen wie Wasser" (313).

Die wenigen Beispiele machen deutlich, wie sehr das Buch geprägt ist durch seine Entstehungszeit, wie
sehr es Einblick gibt in die Ängste und Nöte der Zeit, aber auch in die Kultur und das Selbstverständnis
der Menschen und nicht zuletzt in eine (christliche) Anthropologie, die aus heutiger Sicht zum Teil als
angreifbar erscheint.

Herbert Frohnhofen 11. August 2010