"Sehr schön hat Augustinus
in einer Predigt zum Ersten Johannes-Brief den inneren Zusammenhang
von Gebet und Hoffnung dargestellt. Er definiert das Gebet als Übung
der Sehnsucht. Der Mensch ist
zum Großen geschaffen – für Gott selbst, für das Erfülltwerden
von ihm. Aber sein Herz ist zu eng für das
Große, das ihm zugedacht ist. Es muß geweitet werden. 'Indem
Gott die Gabe [seiner selbst] aufschiebt,
verstärkt er unser Verlangen; durch das Verlangen weitet er unser Inneres;
indem er es ausweitet, macht
er es aufnahmefähiger [für ihn selbst].' Augustinus verweist auf
den heiligen Paulus, der von sich sagt,
daß er ausgestreckt auf das Kommende hin lebe (vgl. Phil 3, 13), und
gebraucht dann ein sehr schönes
Bild, um diesen Vorgang der Weitung und Bereitung des menschlichen Herzens
zu beschreiben. 'Stell dir
vor, Gott will dich mit Honig [Bild für die Zärtlichkeit Gottes
und seine Güte] anfüllen. Wenn du aber
ganz mit Essig angefüllt bist, wohin willst du den Honig tun?' Das Gefäß,
d.h. das Herz, muß zuerst
ausgeweitet und dann gereinigt werden: vom Essig und vom Essiggeschmack befreit
werden. Das kostet
Arbeit, das kostet Schmerz, aber nur so entsteht die Eignung für das,
wozu wir bestimmt sind.[26] Auch
wenn Augustin unmittelbar nur von der Aufnahmefähigkeit für Gott
spricht, wird doch ganz deutlich,
daß der Mensch in dieser Arbeit, in der er sich vom Essig und seinem
Essiggeschmack befreit, nicht nur
für Gott frei, sondern gerade auch für die anderen offen wird.
Denn nur indem wir Kinder Gottes werden,
können wir beim gemeinsamen Vater sein. Beten bedeutet nicht, aus der
Geschichte auszusteigen und sich
in den privaten Winkel des eigenen Glücks zurückzuziehen. Rechtes
Beten ist ein Vorgang der inneren
Reinigung, der uns gottfähig und so gerade auch menschenfähig macht.
Im Beten muß der Mensch
lernen, was er von Gott wirklich erbitten darf – was Gottes würdig ist.
Er muß lernen, daß er nicht gegen
den anderen beten kann. Er muß lernen, daß er nicht um die oberflächlichen
und bequemen Dinge bitten
darf, die er sich gerade wünscht – die falsche kleine Hoffnung, die
ihn von Gott wegführt. Er muß seine
Wünsche und Hoffnungen reinigen. Er muß sich von seinen stillen
Lügen befreien, mit denen er sich
selbst betrügt: Gott durchschaut sie, und die Konfrontation mit Gott
nötigt ihn, sie selbst zu erkennen.
'Wer bemerkt seine eigenen Fehler? Sprich mich frei von Schuld, die mir nicht
bewußt ist', betet der
Psalmist (Ps 19 [18], 13). Das Nichterkennen von Schuld, der Unschuldswahn,
rechtfertigt und rettet
mich nicht, denn ich bin selber schuld an der Abstumpfung meines Gewissens,
an meiner Unfähigkeit,
das Böse in mir als solches zu erkennen. Wenn es Gott nicht gibt, muß
ich mich vielleicht in solche Lügen
flüchten, weil es niemand gibt, der mir vergeben könnte, niemand,
der wirklich Maßstab ist. Aber die
Begegnung mit Gott weckt mein Gewissen, damit es nicht mehr Selbstrechtfertigung,
Spiegelung meiner
selbst und der mich prägenden Zeitgenossen ist, sondern Hörfähigkeit
für das Gute selber wird.
34. Damit das Gebet diese
reinigende Kraft entfaltet, muß es einerseits ganz persönlich
sein, Konfrontati-
on meines Ich mit Gott, dem lebendigen Gott. Es muß aber andererseits
immer wieder geführt und er-
leuchtet werden von den großen Gebetsworten der Kirche und der Heiligen,
vom liturgischen Gebet, in dem der Herr uns immer wieder recht zu beten lehrt...
Im Beten muß es immer dieses Ineinander von ge-
meinschaftlichem und persönlichem Gebet geben. So können wir mit
Gott reden, so redet Gott zu uns. So geschehen an uns die Reinigungen, durch
die wir gottfähig werden und die uns befähigen, den Menschen zu
dienen. So werden wir der großen Hoffnung fähig, und so werden
wir Diener der Hoffnung für die an-
deren: Hoffnung im christlichen Sinn ist immer auch Hoffnung für die
anderen. Und sie ist aktive Hoff-
nung, in der wir darum ringen, daß die Dinge nicht 'das verkehrte Ende'
nehmen. Sie ist aktive Hoffnung
gerade auch in dem Sinn, daß wir die Welt für Gott offenhalten.
Nur so bleibt sie auch wahrhaft mensch-
lich."
(P. Benedikt
XVI., Enzyklika
"Spe salvi" 33f)
"Schließlich steht Cyprian an den Ursprüngen jener
fruchtbaren theologisch-spiritu-
ellen Tradition, die im 'Herzen' den
bevorzugten Ort des Gebets sieht. Für die Bibel
und die Väter ist nämlich das
Herz das Innerste des Menschen, der Ort, wo Gott
wohnt. In ihm erfüllt
sich jene Begegnung, in der Gott zum Menschen spricht und der
Mensch Gott hört;
der Mensch spricht zu Gott, und Gott hört den Menschen: alles
durch das einzige göttliche
Wort. Genau in diesem Sinn bezeugt Smaragdus, Abt von
Saint-Mihiel an der Maas, in
den ersten Jahren des neunten Jahrhunderts - indem er
Cyprian anklingen läßt
-, daß das Gebet 'Werk des Herzens ist, nicht der Lippen, da
Gott nicht auf die Worte schaut,
sondern auf das Herz des Betenden' (Diadema mona-
chorum, 1)."