Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 3. Aufl. 2020 (zuerst: 2016);

Wer hätte das gedacht? Dass man einmal seinen Blick in Richtung der Soziologie wenden muss bzw.
kann, um etwas über das gute Leben zu erfahren? Zu Recht weist der Autor ja darauf hin, dass dieses
Thema in den einschlägigen akademischen Disziplinen (Philosophie und Soziologie, ja wir können er-
gänzen: weitgehend sogar in der Theologie) geradezu verpönt ist, so dass es privatisiert (18) und den
wahrscheinlich gerade deshalb so boomenden Spiritualitäts- und Psychologieratgebern überlassen wur-
de. Während die Philosophie (und oft auch die Theologie) historische und systematische Detailproble-
me (bis hin zur lächerlichen Frage, "ob es die Welt überhaupt gibt"/Markus Gabriel) diskutiert, verliert
sich ja die Soziologie seit Jahrzehnten in der Darstellung und Kritik der Ungleichverteilungen von Res-
sourcen und den dadurch (vermeintlich oder tatsächlich) verursachten Mißständen in der Gesellschaft.
Ebenso wie in den medialen Darstellungen unserer Zeit scheinen da viel eher die Probleme, das Fal-
sche, das Schlechte, das Böse und das Scheiternde oder bestenfalls ein viel zu kurz greifender Blick
auf die Mittel für ein gutes Leben (Geld, Gesundheit, Gemeinschaft) interessant zu sein, aber nicht
das gute Leben selbst. Warum eigentlich? Mit dem in Jena tätigen Hartmut Rosa jedenfalls hat end-
lich wieder ein Autor den Mut, mit wissenschaftlichem Anspruch und hier im Rahmen der Soziologie
über das gute Leben, über gelingendes Leben nachzudenken und zu schreiben. Er geht das Thema da-
bei direkt an und schaut darauf, was das menschliche Leben grundsätzlich und eben nicht nur im Ein-
zelfall gut und lebenswert macht. Dazu bemüht er den aus der Naturwissenschaft entlehnten Begriff
der Resonanz. Das ist interessant; das ist innovativ, das ist wertvoll.

Und das Negative? Da findet sich nicht viel. Wenn man etwas benennen will, so ist es natürlich die
Tatsache, dass bei der immensen Fülle des aus verschiedensten Fachgebieten verarbeiteten Materials
nicht immer alles genau belegt, manches eben einfach nur assoziativ zusammengestellt oder vermutet
werden kann. Insbesondere aber muss man die Frage stellen, wie tatsächlich der genauere Zusammen-
hang zwischen Phasen erlebter Resonanz (des Individuums, einer Gruppe von Menschen, eines Vol-
kes, vielleicht der gesamten Menschheit) und Phasen erlebter Entfremdung zu denken ist. Wenn näm-
lich tatsächlich einzukalkulieren wäre, dass, wie von R. behauptet, "Formen und Phasen der Entfrem-
dung als unhintergehbar und sogar als Vor
aussetzung für zukünftige Resonanzbeziehungen zu verste-
hen sind"
(73) oder sogar, dass "Resonanzfähigkeit... auf der vorgängigen Erfahrung von Fremdem,
 Irritierendem und Nichtangeeignetem..."
gründet (317), ließe sich damit nahezu jede (auch aufge-
zwungene) Entfremdungssituation rechtfertigen. Die Dialektik von Resonanz und Entfremdung
(316-328) bedarf also in jedem Fall einer konsistenteren Bearbeitung als sie hier vorgelegt wird.
Schließlich ist zu bemängeln, dass auch die Lösungsansätze für die konstatierte gesellschaftliche
Resonanzkrise unserer Tage, die ganz am Ende des Buches formuliert werden, überraschend knapp
und wenig operationalisiert erscheinen.

Doch gehen wir der Reihe nach vor: Was ist denn nun eigentlich Resonanz? Rosa versteht diesen
Grundbegriff seines Buches so: "Resonanz können wir... bestimmen als ein spezifisch kognitives, af-
fektives und leibliches Weltverhältnis, bei dem Subjekte auf
der einen Seite durch einen bestimmten
 Weltausschnitt berührt und bisweilen bis in ihre neuronale Basis 'erschüt
tert' werden, bei dem sie
aber auf der anderen Seite auch selbst 'antwortend', handelnd und einwirkend auf
Welt bezogen sind
und sich als wirksam erfahren - dies ist die Natur des Antwortverhältnisses oder des 'vi
brierenden
Drahtes' zwischen Subjekt und Welt"
(279). Der Begriff steht also für die beziehungshafte Wechsel-
wirkung, die ein Mensch zu der ihn umgebenden Mitwelt hat, und zwar auf allen Ebenen, auf denen
eine solche dem Menschen möglich ist: kognitiv, affektiv und leiblich-physisch. Eine etwas ausführ-
lichere ausdrücklich von R. so genannte Definition des Begriffs findet sich dann noch an anderer
Stelle (298); sie bringt aber nichts Zusätzliches an Information. Als Gegenbegriff zur Resonanz ver-
wendet Rosa den historisch einschlägig bekannten Begriff >Entfremdung<. Dieser bezeichnet für
ihn "einen Modus der Weltbeziehung..., in dem die... Welt dem Subjekt gleichgültig gegenüberzuste-
hen scheint... oder sogar feindlich entgegentritt"
 (306).

Und die Grundthese des Buches? Sie ist zweigeteilt und lautet: (1) Das gute Leben besteht für den
Menschen darin, in welchem Bereich auch immer (möglichst dauerhaft) Resonanz zu erleben. Oder
ausführlicher: "Das gute Leben... ist mehr als eine möglichst hohe Summe von Glücksmomenten...,
die es ermöglicht hat: Es
ist das Ergebnis einer Weltbeziehung, die durch die Etablierung und Er-
haltung stabiler Resonanzachsen
gekennzeichnet ist, welche es den Subjekten erlauben und ermög-
lichen, sich in einer antwortenden, ent
gegenkommenden Welt getragen oder sogar geborgen zu füh-
len"
(59). Und (2): Solch gutes Leben wird vielfach verhindert durch eine "einseitige Ressourenfixie-
rung"
(16), also durch das ständig in den Vordergrund tretende Bemühen der Menschen, über mög-
lichst viel Gesundheit, Geld und Gemeinschaft zu verfügen, also die persönliche "Ressourcenlage
zu optimieren"
(17), mithin also dasjenige zum Ziel des Bemühens zu machen, was eigentlich nur
die Mittel für ein gutes Leben bereitstellt (57f).

Aufgrund dieser Verwechslung von Mittel und Zweck in Bezug auf das gute Lebens entstehe ein "ziel-
loser und unabschließbarer Steigerungszwang", der "am Ende zu einer problematischen, ja gestörten
und pathologischen Weltbeziehung der Subjekte und der Gesellschaft als ganzer (führt). Diese Störung
lässt sich heute instruktiv studieren an den großen Krisentendenzen der Gegenwart; an der sogenann-
ten ökologischen Krise, an der Krise der Demokratie und an der 'Psychokrise', die sich beispielsweise
in wachsenden Burnoutraten manifestiert."
(14) Vor diesem Hintergrund wird der inzwischen viel zi-
tierte Eingangssatz des Buches verständlich: "Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz
vielleicht die Lösung"
(13). Soll heißen: Ein Exit aus der ressourcenfixierten, permanente Beschleuni-
gung und damit verschiedenste Krisenszenarien induzierenden Lebensweise der Moderne/Gegenwart
sei dadurch zu erlangen, dass der Mensch sich nicht einfach darum bemühe, sein Leben irgendwie zu
entschleunigen, sondern dass er sich positiv darauf besinne, was für ihn das gute Leben sei, nämlich
ein Leben in Resonanz mit seiner Mitwelt.

Und wie findet nun der Mensch zur Resonanz mit seiner Mitwelt, wie gelingt und wächst sie? Die Ant-
wort ist nicht überraschend, sondern im Grunde diejenige der kompletten zumindest abendländischen
philosophischen und theologischen Tradition: Es ist die Liebe: "Das Leben... gelingt,... wenn wir es
lieben. Wenn wir eine geradezu libidinöse Bindung an es haben... (So) entsteht so etwas wie ein vibrie-
render Draht zwischen uns und der Welt"
(24). Und dieser Draht der Wechselwirkung besteht seiner-
seits sowohl aus "intrinsischen Interessen" als auch aus intakten "Selbstwirksamkeitserwartungen".
Die Ausbildung von Beidem "korreliert mit der Erfahrung von sozialer Anerkennung... Ohne Liebe,
Achtung und Wertschät
zung bleibt der Draht zur Welt... starr und stumm" (25). Freilich kommt es da-
bei nicht nur auf das Individuum an, sondern auch auf die Verhältnisse, in denen es lebt. Ob deshalb
"Leben gelingt oder misslingt, hängt
daher einerseits von den soziokulturellen (Welt-) Verhältnissen
insgesamt, andererseits aber natürlich auch
vom Passungsverhältnis zwischen den individuellen Dis-
positionen und jenen Verhältnissen ab"
(34).

Die Lebensführung des einzelnen Menschen entwickelt sich hiernach "aus der Suche nach... konstitu-
tiven
Resonanzoasen und aus dem komplementären Bestreben, die Wiederholung der Wüstenerfahrun-
gen zu vermeiden"
(35). Grundsätzlich gilt: "Ob es zur Ausbildung und Aufrechterhaltung konstitutiver
Resonanzachsen kommt oder nicht, hängt zum Ersten von den... Dispositionen des Subjekts, zum Zwei-
ten von der... Konfiguration der jeweiligen Weltausschnitte und zum Dritten von der Art der Beziehung
zwischen diesen beiden ab"
(35). Liebe und Offenheit für die Welt auf seiten des Individuums sind also
nur die eine Voraussetzung für das Gelingen von Resonanz; ebenso bedeutsam ist, dass die dem Indivi-
duum gegenüberstehenden Weltverhältnisse so geartet sind, dass sie Resonanz auch erlauben, also z.B.
nicht völlig unwirtlich sind oder aber aufgrund von gesellschaftlich gewachsenen Beschleunigungen ei-
ne Synchronisation mit den biologischen Zeitrythmen der Individuen und damit Resonanz verunmögli-
chen (55).

Die "Krisentendenzen der Gegenwartsgesellschaft" - R. sieht sie in der Ökologie, der Demokratie/Po-
litik und im "rasante(n) Anstieg von Depressions- und Burnouterkrankungen" (77f) - weisen jedenfalls
nach R. darauf hin, dass Resonanzachsen vielfach zerbrochen sind und Resonanzfähigkeit oftmals ver-
loren gegangen ist. Es komme deshalb darauf an, "eine Modifikation unserer individuellen und kollekti-
ven Weltbeziehung ein
zuleiten - indem wir einen anderen als den gängigen Steigerungsmaßstab für die
Suche und die Beurtei
lung von Lebensqualität in Anschlag bringen" (79).

Zur Erläuterung seiner zweigeteilten Grundthese schlägt Rosa dann auf insgesamt knapp 800 Seiten
einen sehr weiten Bogen. Im Anschluß an eine die Grundthese vorstellende Einleitung beschreibt ein
erster Teil "Grundelemente menschlicher Weltbeziehung"; gemeint sind anthropologische Grundlagen
und Konstanten dessen, wie der Mensch sich auf die Welt bezieht (Körperlichkeit, Sinne, Medien, Ar-
beit, Gefühle usw.), aber auch welche Dissonanzen (Krankheiten aller Art, Desynchronisationen usw.)
und Medikationen, Prävention und Suchtmittel es dabei gibt, so dass Resonanz und Entfremdung als
Basiskategorien einer Weltbeziehungstheorie aufscheinen. Ein zweiter Teil umfasst die Vorstellung
und Diskussion sogenannter kultureller Resonanzräume oder Resonanzsphären, in denen die Mitglie-
der der Gesellschaft ihre je individuell geprägten Resonanzachsen (= R.) ausbilden können, das heißt
also dem Individuum angebotene oder zuwachsende Lebens- und Beziehungsräume, in denen er dau-
erhaft Resonanzerfahrungen machen kann. Dazu gehören Familie, Freundschaft und Politik (als hori-
zontale R.) ebenso wie Arbeit, Schule und Sport (als diagonale R.) sowie schließlich Religion, Natur,
Kunst und Geschichte (als vertikale R.). Dies alles wird vom Autor im Detail sowohl in seiner syste-
matischen Bedeutung als auch in seiner aktuellen Geprägtheit vorgestellt.

Der dritte Teil beinhaltet eine "Rekonstruktion der Moderne", nach welcher diese vor allem in ihren
Ängsten vor einem Misslingen von Resonanzen gedeutet wird, denn: "Die Sozialformation der Mo-
derne ist strukturell dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nur dynamisch zu stabilisieren vermag,
während ihr kulturelles Programm auf eine systematische Vergrößerung der individuellen und kul-
turellen Weltreichweite zielt" (518). Je mehr dabei freilich die Weltreichweite jedes Einzelnen und
der Gemeinschaft beschleunigt vergrößert werde, desto ausgeprägter würden auf der anderen Seite
Resonanzachsen für die Menschen brüchig und gingen ganz verloren. Die hieraus erwachsenden
Ängste der Menschen vor einem zunehmenden Verstummen der Welt, zeigten sich in vielfältigen
Erfahrungen von Verzweiflung, Burnout und Entfremdung und entsprechenden Beschreibungen
in Literatur und Philosophie. Interessant ist dabei vor allem, wie sehr von Fromm, Adorno, Marcu-
se und nun eben auch von Rosa mit einer je anderen Terminologie und Zugriffsweise im Kern aber
genau das reformuliert wird, was man in der Theologie seit Jahrtausenden als die durch die Erbsün-
de bzw. heute die universale Sündenverfallenheit geprägte Welt erklärt. Tatsächlich, so R., ist die
Moderne aber nicht nur als Resonanzkatastrophe, sondern auch als "ungeheure Resonanzsensibili-
sierung"
(596) zu verstehen.

Der vierte und letzte Teil des Buches behandelt nun, wie letztere für den Menschen heute fruchtbar
und damit in der Spätmoderne der Grundangst des modernen Menschen vor dem "Verstummen der
Welt"
entgegengewirkt werden kann. Dabei ist es für R. vor allem das "Modell Romantik", das "stil-
prägend (wird) für die Resonanzhoffnungen, die
Resonanzsehnsüchte... im modernen Konzept der
Liebe und der Freundschaft; in der Auffassung ei
ner weltbeziehungsstiftenden lebenspraktischen
Bedeutung von Kunst, Musik und Ästhetik; für die
Naturerfahrung der Moderne und... im Blick auf
die Idee einer Selbstverwirklichung in der Arbeit... auch in der... Vorstellung der religiösen Erfah-
rung, in der Konzeption einer Kinder... zur Entfaltung bringenden Erziehung... offenbart sich die...
Resonanzsensibilität und -hoffnung der Romantik"
(601). So sind es vor allem die populär gewor-
denen Begriffe "Heimat", als "das Resonanzverhältnis zu einem anverwandelten Stück Welt" (602)
und "Empfindsamkeit", die die gestiegene Resonanzsensibilität in der Moderne markieren.

Und im Ganzen? Der erste Teil der Grundthese des Buches, nämlich dass das von R. als Resonanz
bezeichnete Verhältnis des Menschen zu seiner Mitwelt die Basis eines guten Lebens ausmacht, er-
scheint unmittelbar plausibel. Unschwer ließen sich Parallelen zum klassischen monastischen Ideal
des "Ora et labora" oder zu anderen mystischen bzw. religiösen Traditionen aufzeigen. Auch an
Erich Fromms Klassiker "Haben oder Sein", auf den R. selbst verweist (53), erinnert die Gegen-
überstellung von "Resonanz" und "Entfremdung" in hohem Maße, wobei Gemeinsamkeiten und
Unterschiede natürlich im Detail herauszuarbeiten wären. Grundsätzlich plausibel erscheint auch
der zweite Teil der Hauptthese, nämlich dass die aktuellen Verwerfungen und Krisenszenarien un-
serer Welt mehr oder weniger vollständig darauf zurückzuführen seien, dass die Menschen eher der
 entfremdeten Ressourcenfixierung anhingen als die Resonanz zu suchen und dass die aus ersterem
sich ergebende Steigerungslogik zusätzliche Entfremdungserfahrungen produziere. Allein der von R.
angebotene Ausweg hieraus, nämlich dass ein "'Bewusstseinswandel' allein nicht ausreicht" (725)
sondern eine "Ersetzung der 'blindlaufenden' kapitalistischen Verwertungsmaschinerie durch wirt-
schaftsdemokratische Institutionen (stattfinden müsse), welche die Entscheidungen über Produkti-
onsziele ebenso wie über Produktionsformen und -mittel an die Maßstäbe gelingenden Lebens zu-
rückzubinden vermögen"
(726), müsste doch sehr viel genauer ausgearbeitet und sicherlich auch er-
gänzt werden, um nicht unmittelbar an die gescheiterten Ideale der früheren DDR zu erinnern.
Herbert Frohnhofen, 25. August 2020