Lorenz B. Puntel, Auf der Suche nach dem Gegenstand und dem Theoriestatus der Philosophie. Philosophiegeschichtlich-kritische Studien (Philosophische Untersuchungen 17) Tübingen 2007;

Dieser Aufsatzband des emeritierten Münchner Philosophen enthält acht bereits zuvor veröffentlichte Studi- en, die sämtlich im Kontext des seit Jahrzehnten andauernden Bemühens des Autors stehen, eine eigene syste- matische philosophische Konzeption zu erarbeiten, die freilich mit wesentlichen philosophiehistorischen Er- kenntnissen gut vermittelt ist bzw. auf diesen aufbaut. "Dieses Ziel", so der Autor, "ist - zumindest vorläufig - mit der Publikation seines systematischen Werkes Struktur und Sein. Ein Theorierahmen für eine systemati- sche Philosophie erreicht" (2). Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge sind "Zeugen einiger der wichtigsten Etappen des Weges, der zu diesem Resultat geführt hat... Es sind philosophiegeschichtlich-kriti- sche Studien, die in der expliziten Absicht unternommen wurden, Klarheit über die 'Sache der Philosophie' zu schaffen" (2) So ist sowohl der Entstehungszeitraum als auch der thematische Rahmen der Studien weit ge- steckt, entstanden sind sie zwischen 1969 (dem Jahr der Veröffentlichung der philosophischen Dissertation des Autors) und 2001; behandelt werden die Seinsmetaphysik des Thomas von Aquin ebenso wie Aspekte des Systembegriffs bei Kant und Fichte, die Metaphysikkritik bei Carnap und Heidegger ebenso wie die Rede von einer "formalen Semantik" bei Ernst Tugendhat. Greifen wir exemplarisch einige Beiträge heraus.

Im ersten Beitrag - er stammt aus dem Jahr 2001 - behandelt P. auf grundlegende, ja in der Tat gründliche Weise das komplexe Verhältnis der Philosophie zu ihrer Geschichte. Er unterscheidet sechs Ebenen dieses Verhältnisses und diskutiert detailliert deren Zusammenhang. Eine hervorgehobene Rolle spielt dabei der Be- griff einer (philosophischen) Interpretation, der von P. intensiv diskutiert wird. Unterschieden wird zwischen einer "immanenten" und eine "externen" Interpretation; während bei ersteren nur solche Elemente als Expli- kationsmittel berücksichtigt werden, "die zu den interpretierten Texten bzw. Konzeptionen eindeutig gehören" (26), rekurriert die externe Interpretation auf Gesichtspunkte und Faktoren, die dem Text bzw. der Konzepti- on gegenüber fremd sind, d.h. es werden Vergleiche mit anderen in der Philosophiegeschichte anzutreffenden Konzeptionen angestellt oder dem Text bzw. der Konzetion gegenüber externe Explikationsmittel angewandt, mit deren Hilfe der jeweilige Text oder die Konzeption "rekonstruiert" wird. Wichtig ist: "Die externe Inter- pretation reicht viel weiter als die rein immanente. Sie 'enthält' die immanente Interpretation, geht aber über diese insofern hinaus, als sie den dem Interpreten eigenen 'explikationstheoretischen Horizont' explizit ins Spiel bringt" (29). - Wichtig ist die Schlussbemerkung dieser Studie: Wenn und so weit - gerade im universi- tären Bereich - das Fach Philosophie häufig lediglich im Sinne einer immanenten Interpretation von philoso- phiegeschichtlichen Texten und Konzeptionen präsent ist, kann nicht in angemessener Weise davon die Rede sein, dass hier die "Philosophie im eigentlichen Sinne" bereits erreicht sei (32).

In einer Studie aus dem Jahr 1982 macht P. Bemerkungen zur Problematik der "Definition" in der Phi- losophie am Beispiel des Systembegriffs bei Kant und Fichte. Einleitend verweist P. darauf, dass Defini- tionen in der Philosophie traditionell als wichtig, aber auch als problematisch angesehen werden. So würden Definitionen einerseits oft als ein Ideal angesehen; auf der anderen Seite stehe aber oft "das deutliche Be- wußtsein der Unerreichbarkeit" (177); nicht alle Begriffe in der Philosophie, zumal die Grundbegriffe, könn- ten (zureichend) definiert werden. Überdies würden Definitionen auch als "eine defiziente, ungenügende, der Philosophie unangemessene Erkenntnis- bzw. Darstellungsart betrachtet" (177). Angesichts moderner beacht- licher Fortschritte in der Definitionstheorie und ihrer zentralen Bedeutung für die Diskussion philosophischer Fragen sei es aber lohnend, einige Aspekte dieser Thematik am Beispiel des Systembegriffs bei Kant und Fichte zu erörtern; und dies vor dem Hintergrund der in jüngerer Zeit recht verbreiteten sog. Systemtheorien.
Im Ausgang von Kant unterscheidet P. eine der Definition vorangehende (vorläufige) Explikation eines Be-
griffes, die jener hinsichtlich des Systembegriffs auf verschiedene Weise vorlegt; eine Definition hierzu fehlt aber bei Kant. Fichte hingegen definiert zwar den Systembegriff ("alle Sätze... hangen in einem einzigen Grundsatze zusammen, und vereinigen sich in ihm zu einem Ganzen"), einzelne Teile aus dieser Definition bleiben jedoch unterbestimmt. Hieran ist heute weiterzuarbeiten.

Eine dritte Studie von 1997 behandelt die Metaphysikkritik bei Carnap und Heidegger. Während Carnap Heidegger vorwirft, er begehe grobe logische Fehler und verwende bedeutungslose Worte, repliziert Heideg- ger, dass Carnap auf völlig unangemessene Weise "Mittel der Mathematik" auf Fragen der Metaphysik an- wende. Der Kernpunkt der Carnapschen Metaphysikkritik - so P. - ist "die These, daß metaphysische Begriffe sich nicht 'in einem erkenntnismäßigen Konstitutionssystem konstituieren' lassen" (263); solche Begriffe hät- ten einen nicht-rationalen Charakter. Überdies entbehrten die in der Metaphysik verwendeten Sätze einer lo- gischen Syntax; deshalb seien sie "Scheinsätze". Heideggers Kritik an der Metaphysik setzt hingegen inhalt- lich an der sog. Seinsfrage an und wirft der überkommenen Metaphysik ihre "Seinsvergessenheit" vor; sie ha- be sich allenthalben mit Seiendem beschäftigt, nicht jedoch mit dem Sein selbst. Demgegenüber müsse nach einem Denken und Sprechen gesucht werden, das "ursprünglicher" sei als alles Theoretische. P. verweist aber auf zwei Fehlschlüsse, die Heidegger unterlaufen, und urteilt bestimmt: "Statt ständig die Sprachnot zu ver- künden und zu beklagen, hätte Heidegger die logischen, begrifflichen und theoretischen Hausaufgaben eines jeden Philosophen in Angriff nehmen sollen" (280). Heidegger und Carnap kommen nach P. darin überein, dass sie jeweils wechselseitig wesentliche Bereiche nicht beachten: "In diesem Sinne ist Carnap durch ontolo- gische Leere und Heidegger durch logische Blindheit zu charakterisieren" (283). Für P. ergibt sich, "daß ech- te Philosophie nur dann gegeben ist, wenn beide Dimensionen gleichursprünglich und gleichintensiv berück- sichtigt und thematisiert... werden" (283).

Im Ganzen geben die Beiträge - so unterschiedlich sie auch sind, ja vielleicht gerade deshalb - einen hervor- ragenden Einblick in die Werkstatt des Philosophen, ja eines Philosophen, der eben nicht nur immanente In- terpretationen der verschiedenen philosophiehistorischen Konzepte vornimmt, sondern dieselben deutet und weiterführt im Sinne der oben genannten, von ihm selbst konzipierten systematischen Philosophie.

Herbert Frohnhofen, 11. August 2008