Fast dreißig Jahre sind vergangen, seit die vom
Autor zusammen mit Geo Siegwart entwickelte "Programm-
schrift" für eine systematische Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität
München - in "Hunderten
von Kopien" - kursierte und auch mich zum Studium nach München
anlockte. Bald war ich einer jener zahlrei-
chen Magistranden und Doktoranden, die der riesige Anspruch und Ehrgeiz
des jungen Professors faszinierte
und auch manches Mal ein wenig erschreckte. Sollte doch bereits damals
nicht weniger als ein System gebaut
werden, in dem allem, auch potentiellem, philosophischen Wissen sein
ihm angemessener Platz zugesprochen
werde. Und dies - so sehen wir heute - hat der inzwischen 71-jährige
Autor auf vielfache Weise weiterentwik-
kelt und in einem beeindruckenden Buch von fast 650 Seiten niedergelegt.
Die moderne analytische Philoso-
phie hat ihn in den vergangenen Jahrzehnten sehr beschäftigt; und
sein Anliegen ist es nun, grundlegende Ein-
sichten und Methoden hieraus aufzunehmen und diese mit der ihm aus früherer
Zeit sehr geläufigen Tradition
der philosophia perennis zu verbinden. Auch hierdurch soll
die Philosophie ihren "ureigenen systematischen
Status" wiedergewinnen (VII).
In der Einleitung informiert der Autor
am Beispiel eines Vortrags von M. Dummett darüber, worin er die
"beiden größten Defizite" moderner analytischer Sprachphilosophie
sieht: (i) zum einen im Mangel einer Refle-
xion darüber, welche Art von "Sprache für die Entwicklung
philosophischer bzw. wissenschaftlicher Theorien
adäquat und daher erforderlich ist" (7), (ii) zum zweiten
darin, dass "der fundamentale Bereich der Ontologie,
wenn überhaupt, so nur sehr dürftig berücksichtigt"
werde (8). "Welche Ontologie... vorausgesetzt und benutzt
wird, bleibt in der Regel ungesagt" (9). Vorausgesetzt werde
zwar "in der Regel eine bis auf Aristoteles zu-
rückgehende substantialistische Ontologie, der gemäß die
'Welt' als die Gesamtheit der Substanzen... konzi-
piert wird, die Eigenschaften haben und in Relationen zueinander stehen",
und zwar "in den allermeisten Fäl-
len im Sinne einer diffusen materialistischen Gesamtsicht; als solche wird sie
aber kaum expliziert, geschweige
denn einer ernsthaften theoretischen Prüfung unterzogen" (9). Um diesen
genannten Defiziten entgegenzu-
wirken, so Puntel, legt er sein Konzept einer systematischen Philosophie vor, wobei Philosophie
"in einer
vorläufigen Definition... als universale Wissenschaft verstanden (wird), genauer: als Theorie
der universalen
Strukturen des uneingeschränkten universe of discourse" (12). Der "universe
of discourse" (offenbar muss
auch hier - wie heute üblich
- alles Wichtige in englischer Sprache ausgedrückt werden, damit
es etwas gilt) ist
mithin "das umfassende Datum im buchstäblichen Sinne von: das zu begreifende oder zu
erklärende Gegebe-
ne der Philosophie" (13). Der systematische Philosoph müsse hieran anknüpfen und versuchen,
"alle diese
'Daten' in eine Gesamttheorie zu bringen" (14), wobei die Daten als "Theoriekandidaten" allererst
begriffen
und erklärt werden müssen. Im vorliegenden Werk sollen in sechs Kapiteln jene Voraussetzungen geklärt
werden, die eine in diesem Sinne verstandene Philosophie allererst möglich machen, die mithin - so
der Autor -
gemeinsam einen vollständigen Theorierahmen für die Philosophie bilden.
Das
erste Kapitel ("Globalsystematik") versucht
eine
"Standortbestimmung" der jetzt sogenannten
"struktu-
ralsystematischen Philosophie". Eingeführt und besprochen
werden hier die Begriffe
"Theorie", "Theorierah-
men", "Struktur", "universe of discourse", "universale Strukturen" und
"systematische Philosophie". Der Titel
des Buches "Struktur und Sein" wird dahingehend erklärt, dass es in diesem
Buch darum gehe,
"die Strukturen
bzw. die Strukturiertheit der Welt, des Seins, also des unbegrenzten
universe of discourse, herauszuarbeiten"
(51). Dabei wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass es
"eine
ursprüngliche Einheit von Sein/Welt/
Universum einerseits und sprachlichen/semantischen, begrifflichen und
formalen Strukturen andererseits" gibt
(53f), womit an die gesamte Tradition etwa eines christlichen Offenbarungsverständnisses
angeschlossen wird.
Reflektiert wird auch darauf, dass der in diesem Buch vorgeschlagene Theorierahmen
zur Deutung des uni-
verse of discourse nur einer vieler möglicher Theorierahmen ist, keinesfalls
aber der Anspruch erhoben werden
kann, den
"besten" oder gar einzigen Theorierahmen zu formulieren (54).
Darüberhinaus wird eine vierstufige
philosophische Methode vorgeschlagen und expliziert. Schließlich
wird die Frage nach einer
"(Selbst)Begrün-
dung der systematischen Philosophie" dahingehend erläutert und entschieden,
dass auf einer Metaebene ver-
schiedene (philosophische) Theorierahmen miteinander konkurrieren und sich bei dieser
Konkurrenz idealer-
weise jener Theorierahmen durchsetzt, der die je höhere Kohärenz aufweist
(93).
Das
zweite Kapitel ("Theoretizitätssystematik")
beschäftigt sich mit der Darstellungsdimension der Philoso-
phie. Hierbei wird der Sprache ein zentraler Platz zugewiesen. Ja
"an der Strukturiertheit der Sprache (sei) die
Strukturiertheit der Sache selbst abzulesen" (130). Im Ausgang
von verschiedenen - vom Autor detailliert er-
läuterten - Theoriebegriffen plädiert P. für einen von ihm
entwickelten
"strukturale(n) Theoriebegriff... als die
für
die systematische Philosophie geeignete Theorieform" (181).
Hierbei erweisen sich Sprache (L), Struktur
(S) und Universe of Discourse (U) als die drei Basiskomponenten dieses
Theoriebegriffs (182), wobei für de-
ren Zusammenhang untereinander der Wahrheitsbegriff eine wichtige Rolle
spielt. Die Bedeutung des Aus-
drucks "Wahrheit" wird dabei zunächst so festgehalten:
"Unter Voraussetzung,
dass Sprache als die Gesamt-
heit der deskriptiven Primärsätze, die Primärpropositionen ausdrücken,
verstanden wird, gilt: Das Wort
'Wahr(heit)' bzw. der Operator 'Es ist wahr dass' bezeichnet sowohl die Überführung
der Sprache von einem
indeterminierten oder unterdeter-minierten Status in einen volldeterminierten Status als
auch in einem das
Ergebnis einer solchen Überführung: die volldeterminierte Sprache" (205).
Das dritte Kapitel ("Struktursystematik")
behandelt die grundlegenden Strukturen unseres Denkens und Seins,
wobei unter einer Struktur ("intuitiv") ein "differenzierter
und geordneter Zusammenhang bzw. als Beziehung
und Wechselwirkung von Elementen einer Entität oder
eines Gebietes oder eines Prozesses usw." verstanden
wird (36). Es geht also letztlich um jene Arten unseres Denkens,
mit denen wir uns den Gegebenheiten begrei-
fend nähern und die in der Geschichte der Philosophie insbesondere
als "Kategorien" bezeichnet und bedacht
worden sind. Dabei steht traditionell als eine der Hauptfragen
im Fokus, inwieweit solche (Denk-)Strukturen
dem zu Begreifenden bereits inhärent sind bzw. inwieweit
sie durch das denkende Subjekt von außen an es
herangetragen werden. Logisch-mathematische Strukturen als solche,
die "die Formulierung von Theorien im
Sinne von abstrakten Modellen der Wirklichkeit (der Welt) betreffen" (288) und ontologische Strukturen, die
als "Strukturen der Welt" die sog. Primärtatsachen betreffen,
werden von P. zwar unterschieden aber in einen
engen Zusammenhang gebracht. Auch die logisch-mathematischen Strukturen
würden nämlich selbst zu onto-
logischen Strukturen, wenn sie denn nur ebenfalls im Hinblick
auf Primärtatsachen verwendet würden (289).
Dies erscheint zunächst trivial, macht aber deutlich, dass
P. die traditionelle Ontologie, nach der die (zu be-
greifende) Welt als eine Gesamtheit von Objekten/Substanzen
zu verstehen ist, nicht nur - wie er selbst sagt
- durch eine Ontologie ersetzt, nach der die zu begreifende
Welt durch Primärtatsachen konfiguriert wird,
sondern dass er zudem die Art und Weise des Begreifens, also
die Wahl der jeweiligen Strukturen ganz in
die Wahl des Begreifenden legen zu können meint. Die Primärtatsachen
scheinen für ihn also die ihnen an-
gemessenen Strukturen ihres Begreifens in keiner Weise bereits
mitzubringen. Der vom Autor - auch in an-
deren Schriften - sehr intensiv untersuchte Begriff "Wahrheit" wird hier "als der vollbestimmte Status (des
Zusammenhangs) der... fundamentalen Strukturen" erklärt
(298). Hierbei kommt zu Recht auch die hohe
Bedeutung einer gemäßigten Form des Wahrheitsrelativismus
in den Blick, der vor dem Hintergrund der
Operation mit unterschiedlichen Theorierahmen sehr plausibel
gemacht werden kann.
Mit dem vierten Kapitel ("Weltsystematik")
beginnt der Teil des Buches, in dem "die bisher herausgearbei-
tete Dimension der Struktur(en) auf die Dimension des Seins
'angewandt' wird" (329). Hierbei gilt der Begriff
"Welt" für P. nicht als Synonym für "universe
of discourse" oder "Sein (im Ganzen)" sondern er bezeichnet
"jene Dimension des universe of discourse bzw. des Seins (im
Ganzen), die als der Zusammenhang der in die-
sem Kapitel zu behandelnden 'Gebiete' aufzufassen ist" (332). Als solche Gebiete werden unterschieden: die
"Naturwelt", "um den sogenannten anorganischen
und organischen Bereich des Universums ohne den Men-
schen zu benennen" (335), die "menschliche Welt", die insbesondere unter den Aspekten des Personseins
des Menschen, seiner Intentionalität und seines Selbstbewusstseins
sowie seines sittlichen Handelns zu bespre-
chen ist, sowie schließlich die "ästhetische
Welt", in der es um Kunst und Schönheit zu tun ist. Umgriffen
wird dies alles von einer philosophischen Reflexion auf das "Weltganze",
welches schon immer - oft mittels
der Rede von der Kosmologie - zum Thema der Philosophie gemacht
worden ist. Hier ist die Rede vom Be-
ginn der Welt ("Schöpfung"?) ebenso wie vom Status
des Religiösen und der Pluralität der Religionen, bis
hin zur Deutung der Weltgeschichte, bzw. der Frage nach ihrem
"Sinn". Zu Recht wird in Bezug auf letzte-
res darauf verwiesen, dass die übliche Rede von einem "Sinn" des Lebens bzw. der Weltgeschichte nicht
ausreichend dadurch interpretiert ist, dass das entsprechende
Objekt begreifbar resp. erklärbar ist, sondern
auch dasjenige meint, dass es "sich als etwas eindeutig Positives...
(herausstellt): als etwas, was zustimmend
zu bewerten, als etwas, was zu bejahen und anzustreben ist" (457).
In diesem Zusammenhang freilich wäre noch
genauer darüber zu handeln, wie mit der zitierten Auffassung
von Thomas Nagel umzugehen ist, dass "die Annahme eines letzten
Sinns als eine Angelegenheit des" Reli-
giösen zu bezeichnen sei (462). Einerseits erscheint es nämlich
durchaus richtig, dass die Untersuchung und
Erläuterung der sog. Sinnfrage der Philosophie obliegt, andererseits
geschieht ihre Beantwortung oft sehr in-
dividuell und ist eine Sache der religiösen bzw. weltanschaulichen
Orientierung des Menschen, die immer
auch eine aktive, eine setzende Dimension hat. In einer noch ausstehenden
Theorie des Absoluten, die von
P. aber bereits angekündigt ist, wäre nun noch darzutun,
in welcher Weise diese religiöse bzw. weltanschau-
liche Orientierung des Menschen ebenfalls noch einmal philosophisch einzuholen
ist bzw. - anders formuliert
- es eben doch gute Gründe gibt, für eine bestimmte Weltanschauung/Religion
gegenüber einer anderen einzu-
treten bzw. dass eine Weltanschauung/Religion mehr Wahrheit bzw. Kohärenz
enthält als eine andere.
Das
fünfte Kapitel ("Gesamtsystematik") zielt
eine
"Theorie des Seins als solchen und im Ganzen" (477)
an. Bei allem Vorbehalt gegen die Verwendung des traditionellen
Ausdrucks
"Metaphysik" soll eine
"struk-
turale Metaphysik" entwickelt werden, "für die es in
der Philosophiegeschichte keine Vorbilder gibt", die
aber
"in signifikanter Weise an fundamentale Institutionen
und Themenstellungen anknüpft, die in der
Philosophiegeschichte zur 'Metaphysik' gerechnet wurden"
(479). Dem grundsätzlichen Problem einer -
auf Kant zurückgehenden -
"Kluft zwischen der Dimension
des Subjekts und der Dimension der Realität"
(481) wird von P. die These der
"Ausdrückbarkeit" als einem grundlegenden
"Strukturmoment der Sei-
enden und des Seins" (495) gegenübergestellt. Hierbei
werden Sprachen mit überabzählbar unendlich vie-
len Ausdrücken als wesentliche Voraussetzung für die
universelle Ausdrückbarkeit der Welt angesehen.
Überwunden wird die genannte Kluft dadurch, dass
"die
ganze theoretische Dimension ontologisiert"
(537) wird, worunter zu verstehen ist, dass nicht
"nur die
erkennenden Subjekte, die Theoretiker, sondern
auch die ganze theoretische Dimension... als Teile der Natur...
gesehen werden" (537). Zuletzt entwik-
kelt P. in diesem Kapitel im Anschluss an Thomas von Aquin die
These von einer
absolutnotwendigen
Seinsdimension, die überdies geistig verfasst ist,
was für ihn bedeutet,
"dass sie genauer als absolutnot-
wendiges geistiges personales Sein zu bestimmen ist" (609).
Das sechste und letzte Kapitel
("Metasystematik") ist das mit Abstand kürzeste des Buches.
Hier wird
von einer Metaphilosophie als der Theorie der Philosophie sowie
von einer Metasystematik als derjeni-
gen Metaphilosophie gesprochen, die gegeben ist, "wenn das
'Reden über die Philosophie' ganz präzise
verstanden und geklärt wird" (614). Als wichtige Kriterien
für die Beurteilung der Qualität der Philoso-
phie werden "maximale Kohärenz und Intelligibilität"
benannt (616). Maximale Kohärenz für eine syste-
matische Philosophie ist dann gegeben, wenn "jedes 'Element'
(Begriff, Aussage, Theorie usw.) in das
Ganze des Systems eingeordnet wird" (617), maximale Intelligibilität
ist dann gegeben, wenn "der 'Sta-
tus' einer 'Sache' derart charakterisiert werden (kann), dass
er theoretischen Kriterien voll genügt" (618).
Da Intelligibilität und Kohärenz immer nur relativ
in Bezug auf den verwendeten Theorierahmen fest-
gestellt werden können, kann es keine absolute Intelligibilität
und Kohärenz für P. geben. Während un-
ter der "immanenten Metasystematik" die "Architektonik
der systematischen Philosophie" verstanden
wird (621), meint der Ausdruck "externe Metasystematik", dass "die vorgelegte struktural-systemati-
sche Philosophie (selbst) zum Thema oder Gegenstand" der
theoretischen Betrachtung gemacht wird
(625), wobei natürlich der Vergleich zu anderen Philosophien
eine große Rolle spielt. Dieser Ver-
gleich, so P., ist als Qualitätsvergleich zwischen den jeweils
verwendeten Theorierahmen vorzuneh-
men, wobei der Vergleich grundsätzlich vier verschiedene
Ergebnisse zeitigen könne: jeweilige Über-
legenheit eines der Theorierahmen, Gleichwertigkeit beider und
Feststellung der Defizienz beider
(627). Voraussetzung für die Durchführung und vor allem
Akzeptanz solcher Vergleiche ist natür-
lich, dass Philosophie grundsätzlich als Theorie, dass Philosophieren
als das Erstellen einer Theorie
verstanden wird (642). Voraussetzung ist auch, dass Rede und Konzept
des Theorierahmens
auch auf andere Philosophien anwendbar ist und ggf. von deren Autoren
akzeptiert wird.
Im Ganzen wird man nach der Lektüre vom
Anspruch und auch von der Durchführung dieser Vor-
lage eines Theorierahmens für eine systematische Philosophie
überwältigt sein. Selbst wenn der Spe-
zialist für ein einzelnes der vielen angesprochenen Themen
und Inhalte des philosophischen Diskur-
ses im Detail die eine oder andere Ergänzung oder Korrektur
anzubringen vermag, ist das vorgeleg-
te Konzept einer Gesamtschau auf die Philosophie - gerade vor dem
Hintergrund ihrer heute nahe-
zu unendlichen Differenziertheit - eine wahrhaft gigantische Leistung.
Die gleichwohl dem Autor
noch verbliebene Bescheidenheit wird daraus ersichtlich, dass er
auf den letzten Seiten des Buches
diskutiert, unter welchen Umständen seine hier vorgelegte
Lebensleistung lediglich als "eine Stufe
im Prozess der Entwicklung immer adäquaterer Theorierahmen
im Hinblick auf eine Erfassung und
Artikulation der 'Sache des Denkens' und damit der 'Sache der
Philosophie'" (646) anzusehen sei.
Herbert Frohnhofen, 5. November 2006