Tobias Kläden/Michael Schüßler (Hg.), Zu schnell für Gott? Theologische
Kontroversen zu Beschleunigung und Resonanz (QD 286), Freiburg/Bg. 2017

Dieses Buch geht zurück auf ein Fachgespräch, das von der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische
Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz 2015 in Erfurt veranstaltet wurde. Es bietet eine Auseinander-
setzung mit verschiedenen Arbeiten des Soziologen Hartmut Rosa, sowohl über sein Buch "Beschleuni-
gung" (Frankfurt/Main 2005) als auch und vor allem zu seinem Buch "Resonanz". Fragehorizont  ist, ob
und inwieweit die Analysen des Soziologen etwas dazu beitragen können, wichtige Schlaglichter auf die
missionarische Pastoral in den aktuellen Kirchen zu werfen.

Den Auftakt bildet eine von Hartmut Rosa selbst verfasste Kurz-Darstellung seiner anderweitig sehr viel
ausführlicher bereits veröffentlichten Thesen. Im Wesentlichen formuliert er Folgendes: (1) "Eine Gesell-
schaft ist modern, wenn sie sich nur (noch) dynamisch zu stabilisieren vermag, wenn sie also systematisch
auf Wachstum, Innovationsverdichtung und Beschleunigung angewiesen ist, um ihre Struktur zu erhalten
und zu reproduzieren" (20). (2) Die hiermit verbundene Fortschrittserwartung bricht derzeit "in den ent-
wickelten westlichen Staaten aber zusammen: Zum ersten Mal seit 250 Jahren hat die Elterngeneration
flächendeckend nicht mehr die Erwartung, dass es den Kindern einmal besser gehen wird als ihr selbst"

(29). (3) Auch für die in der Moderne zunehmend gewachsenen Autonomieerwartungen gilt: "Die indivi-
duellen und politischen Autonomiespielräume werden durch die Steigerungszwänge aufgezehrt" (30). (4)
Diese zunehmenden Autonomieerwartungen waren umgekehrt freilich auch Antriebsmotor der Beschleu-
nigungskultur: "Deshalb bedarf das moderne Autonomieverlangen dringend der Korrektur oder Ergän-
zung durch die Wiederentdeckung des 'Resonanzverlangens'" (30). (5) Zweiter wesentlicher Motor der
Beschleunigungsdynamik ist der allseits präsente Wettbewerbsdruck. (6) Die Kehrseite des Steigerungs-
spiels ist der sog. Burnout; dieser sei wesentlich verursacht "durch die Abwesenheit jeglicher Zielhorizon-
te... Dass man 'immer schneller laufen muss, nur um seinen Platz zu halten', macht die Menschen fertig"
(31). Burnout sei eine Extremform dieser Entfremdung. (7) Es treten derzeit Lebensmuster (Surfer, Drif-
ter, Terroristen) in Erscheinung, die als - problematische, weil nicht nachhaltige - Gegenmodelle zur Be-
schleunigungskultur angesehen werden können/müssen.

(8) Resumee: Die in der Beschleunigungslogik verursachten Entfremdungserfahrungen hindern uns daran,
ein gutes Leben zu führen. Nur durch "die Etablierung und Sicherung von Resonanzräumen können wir
uns wieder als ein Teil der Welt fühlen, in der wir leben" (33). Dabei meint Resonanz - als das Gegenstück
zu Entfremdung - "ein dynamisches, prozesshaftes Geschehen, eine zweiseitige Begegnung" (37), in der
auf unverfügbare Weise eine innere Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Gegenüber zustande
kommt, die als erfüllend erfahren wird und als eine solche, in der der Mensch sich auch als selbstwirksam
erlebt, so dass damit ein Stück "Anverwandlung von Welt" (38) geschieht. Wichtig dabei ist: "Während um
Anerkennung gekämpft werden kann, hat ein Kampf um Resonanz keinen Sinn; im Gegenteil, er zerstörte
das, was er zu erreichen suchte" (38). Den Resonanzbeziehungen haftet nämlich "ein Moment des Unver-
fügbaren an; Resonanz lässt sich niemals erzwingen oder instrumentell herstellen" (38). Resonanz lässt
sich damit als Gegenstück der Entfremdung begreifen, also jener Lebenssituation, in der "sich Subjekt und
Welt innerlich unverbunden gegenüberstehen, in... (der) die Anverwandlung eines Weltausschnitts miss-
lingt" (39). Bedeutsam ist, dass Resonanz für R. "zumindest einen Rest des Nicht-Anverwandelbaren, des
Widerspenstigen" enthält (41); nur dies gibt ihr die Energie für neues Schwingen und aufeinander Einpen-
deln. Und vor allem: Die religiöse Ansprechbarkeit und Beziehung des Menschen schafft eine "vertikale
Resonanzerfahrung" (46), die dem Menschen eine ganz neue Weltbeziehung ermöglicht.

Und die Reaktionen der Diskutanten hierauf? Im ersten Kapitel ("Kontroversen zur Resonanzkrise be-
schleunigten Lebens") stimmen HANS-JOACHIM HÖHN und OTTMAR JOHN der Beschleunigungs-
diagnose Rosas zu und unterstreichen die Notwendigkeit des Loslassens, um Freiheitserfahrungen zu er-
möglichen. MARTIN ROHNER und STEPHAN WINTER diagnostizieren eine "kirchliche Resonanz-
krise" gegenüber der modernen Gesellschaft und empfehlen eine Neuorientierung in der Pastoral (liturgi-
scher Katechumenat, Biographieorientierung, intensivierte Kommunikation), die diese Situation ernst
nimmt. OTTMAR FUCHS betont, dass in der kirchlichen Pastoral der entschleunigte Umgang mit der
Zeit der beschleunigten Zeit des Klienten bewusst gegenüber gestellt wird, um Reflexion zu ermöglichen
und Freiheit in Bezug auf das eigene Leben wieder zu gewinnen; gerade dadurch entstehe anfanghaft je-
ne Resonanz zwischen den betroffenen Menschen, in deren Angebot das II. Vatikanum die Aufgabe der
Kirche gesehen habe. Und: In diesen Resonanzraum träten oft jene Menschen zuerst ein, "deren Leben
weitgehend nicht 'resonant' ist und die in die Entfremdung gestoßen sind" (135). Für MICHAEL
SCHÜßLER erinnern Rosas Analysen "sehr an die theologischen Diskurse zur Apokalyptik" (159). Es
gehe ihm "um eine Moralisierung und Politisierung der Sozialtheorie mit den besten Absichten, nämlich
die Versprechen der Moderne im Moment ihrer größten Bedrohung zu retten" (160).

Im zweiten Kapitel ("Theologie und Kirche vor der Herausforderung der Beschleunigung") erläutert STE-
FAN GÄRTNER den paradoxen Zusammenhang von beschleunigtem Leben einerseits und entschleuni-
gender Pastoral andererseits. Seelsorge als "Ort der Entschleunigung" begebe sich "in die spannungsrei-
che Dialektik von Innehalten und Handeln, von Entschleunigung und Beschleunigung, von Kontemplation
und Engagement" (200). MARTIN SPAETH kommt der zugrundeliegenden Problematik wohl am Näch-
sten, wenn er jegliche unerträglich werdende Beschleunigungsphänomene in Gesellschaft und Pastoral als
Ausweis des Mangels an Erlösungsglauben und Vertrauen auf die Gnade Gottes diagnostiziert. KRISTIN
MERLE macht darauf aufmerksam, dass sich Paradoxien im Erleben und im Umgang mit der Zeit insbe-
sondere im Pfarrerberuf zeigen. HILDEGARD WUSTMANS verweist auf unterschiedliche Zeiterfahrun-
gen und -bewältigungen von Frauen und Männern. BERNHARD GRÜMME positioniert sehr vorsichtig
die Religionspädagogik als eine solche, "die zwar die Beschleunigungsprozesse nicht unterbrechen kann,
die sich aber als ein Beitrag zur Urteils- und Handlungsfähigkeit der Subjekte versteht" (260). Die kirchli-
chen Verbände werden von HUBERT WISSING in den Interpretationskontext Hartmut Rosas hineinge-
stellt. Ein anderer Umgang mit Zeit, so die These von GEORG HORNTRICH, würde mehr Resonanzer-
fahrung ermöglichen und dem Ewigen Raum lassen. FRIEDHELM HENGSBACH schließlich erörtert
die beschleunigte Wirtschaftsweise in Deutschland und diskutiert Möglichkeiten der Entschleunigung.

Theologisch am Intensivsten durchdringt RAINER BUCHER im einzigen Beitrag des dritten Kapitels
("Fundamentalpastorale Reprise") die Thematik. Er betont mit Recht die Singularität der umfassenden
rosa'schen Theorie des gelingenden Lebens, einer Theorie, wie sie selbst in der Theologie schon lange
nicht mehr gewagt worden ist (310). Die Theologie blicke hier "nicht ohne Faszination auf einen Ent-
wurf, in dem brillant gemacht wird, was sie so lange auch gemacht hat und, als wissenschaftlichen Ent-
wurf zumindest, nicht mehr wirklich wagt" (312). Bucher deutet dabei das Beschleunigungs- und Reso-
nanz-Buch Rosas "als die beiden klassischen Teile einer (natürlich: säkularen) Soteriologie" (313). Die-
se habe gegenüber der christlichen aber zwei grundlegende Leerstellen: das Böse und den Tod; dazu
komme noch, dass auch Schmerz und Leid des Menschen zu wenig Beachtung fänden. So vermittle die
Erlösungstheorie Rosas einerseits zwar eine höchst detaillierte und sensibel wahrgenommene Diagnose
der oft unzureichend verbleibenden Weltbeziehung des Menschen, hinsichtlich der Therapie aber grabe
Rosa bei weitem nicht tief genug. Angesichts des Leids, des Bösen und vor allem auch des Todes könne
es dem Menschen zu einem gelingenden Leben einfach nicht ausreichen, mehr und bessere Resonanzer-
fahrungen für eine post-kapitalistische Entwicklungsphase in Aussicht zu stellen, vielmehr benötige der
Mensch einen Interpretationsrahmen für sein Leben und die Welt, in dem auch das Leid, das Böse und
der Tod noch einmal heilvoll (von Gott) umfangen werden, und dies könne eben nur der christliche
Glaube vermitteln.

Herbert Frohnhofen, 27. Mai 2021