Christian Schäfer (Hg.), Platon-Lexikon.
Begriffswörterbuch
zu Platon und der platonischen Tradition, Darmstadt 2007;
In der umfangreichen Einleitung
dieses Lexikons führt der Herausgeber, Inhaber des Lehrstuhls für
Christli- che Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München,
aus, dass die platonische Philosophie es grundsätzlich recht schwer
mache, ein entsprechendes Lexikon hierzu zu erstellen; bekommen doch die
ver- wendeten Begriffe ihre jeweiligen Bedeutungen allzu sehr aus dem je unterschiedlichen
Kontext. Überdies sei zu beachten, dass die platonischen Schriften es
nicht erwarten lassen, "dass es immer >Platon selbst< ist, der da
spricht" (21). Die Dialogsituation und Gesprächsdynamik, schließlich
auch die Eigenständigkeit der Dia- logcharaktere stünden so einer
platten Annahme entgegen. Als Ausweg aus diesen Problemen fand der Her-
ausgeber folgendes: "Den Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen
wurden zumeist je nach ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Schwerpunktsetzung
solche Lemmata angetragen, die miteinander in inne- rem Zusammenhang stehen,
damit sie diese nicht isoliert, sondern als Gesamt und sachlich untereinander
in Verbindung stehend behandeln können, damit sie oder er die Verweisungszusammenhänge
selbst herstellen und wo nötig quantitative Verschiebungen von einem
Stichwort zum anderen bei gleichbleibender Gesamtsei- tenzahl aller ihrer
oder seiner Artikel selbst in der Hand habe" (22/welch ein Satz!). Solche
Lemmatagrup- pen mit gemeinsamem Autor seien z.B. DÄMON-JENSEITS-UNSTERBLICHKEIT
oder DEMIURG-MA- TERIE-RAUM-ZEIT. Das ist fürwahr eine originelle Lösung.
Der Konzentration auf die genügende Erläu- terung der besonders
bedeutsamen Lemmata wurde gegenüber dem Ziel einer möglichst großen
Zahl der Vorzug gegeben; zu einem kleinen Teil wurden auch Begriffe aufgenommen,
die selbst bei Platon so nicht vorkommen, allerdings bedeutsam sind für
eine heutige Interpretation seiner Schriften: UNGESCHRIEBE- NE LEHRE, etwa,
oder RELIGION, DUALISMUS, DRITTER MENSCH. Betrachten wir exemplarisch ei-
nige Artikel des Lexikons.
Der
von Hans Otto Seitschek verfasste Artikel Bildung/Erziehung (paideia)
umfasst gut zwei Seiten, geht vom Höhlengleichnis aus und erläutert
das Ziel des menschlichen Lebens als die Erkenntnis und das Tun des Guten.
"Der Philosoph, der die WAHRHEIT erkannt hat, muss in die Höhle hinabsteigen
und lehren, was er geschaut hat, auch wenn ihn dort seine Umwelt, die POLIS,
nicht versteht und er seinen Abstieg sogar mit dem Leben bezahlt" (61).
Die Höhlenbewohner sollen dabei durch mühsame Arbeit von den Schattenbildern
weg, hin zur Wahrheit gewendet werden; nur so können sie selbst die
Wahrheit erkennen. Die Paideia als die Erziehung des Menschen ist damit wesentlich
eine Formung des inneren Menschen, der Seele, mithin eine auf Ideale gerichtete
Bildung, nicht eine in erster Linie auf das Äußere und Praktische
gerichtete Ausbildung. Erst der in der idealen Bildung geformte Mensch ist
(ab dem Alter von 50 Jahren) reif für die Herrschaft im Staat, weil
nur dieser für wahre Gerechtigkeit und das Gemeinwohl aller Bürger
einzutreten weiß. Vorge- schrieben wird ein detailliertes Programm,
das zur wahren Bildung führt: Arithmetik, Geometrie, Astrono- mie und
Harmonielehre (später Quadrivium genannt), dem die Diakektik zur Schau
der Idee des Guten zuge- fügt wird, welche später zusammen mit
der Grammatik und Rhetorik als Trivium dem Quadrivium vorge- ordnet wird
(zusammen die >sieben freien Künste</septem artes liberales).
Auch die Tugend gehört zum Lehrprogramm; sie soll durch Gymnastik und
musische Bildung geschult werden, damit neben dem Körper auch die Seele
ein Ebenmaß erreicht.
Der gut drei Seiten umfassende Artikel Gott/Götter
(theos, theoi; daimon) wurde von Michael Bordt ver- fasst. Dieser
weist darauf hin, dass Platons Überlegungen zu Gott bzw. den Göttern
von der griechischen Po- lisreligion ausgehen, hierbei aber bereits an eine
kritische Tradition gegen die bei Homer und Hesiod mytho- logisch und als
Individuen dargestellten Göttern anknüpfen. Hauptkritikpunkt ist
das unmoralische Verhalten dieser Götter: "Man dürfe solche
Geschichten nicht weiter tradieren, weil sie einen verheerenden Einfluss
auf den Charakter derjenigen hätten, die diese Erzählungen hören,
und weil sie schlicht falsch seien" (138). Für ihn ist Gott wesentlich
gut - und damit Ursache nur der guten Dinge - und unveränderlich; besonders
ersteres ist neu und schlicht revolutionär gegenüber früheren
Positionen; umstritten ist, ob Platon den einen Gott tat- sächlich mit
der höchsten Idee des Guten identifiziert.
Christian Pietsch schließlich ist Autor des ebenfalls
drei Seiten umfassenden Artikels Weisheit (sophia). Vorplatonisch
meint sophia so viel wie Fähigkeit, Sachverstand, Geschick, also eine
Kompetenz, die auf si- cherem Wissen, einer Verbindung von Intelligenz und
praktischem Geschick beruht. Bei Platon gewinnt der Ausdruck eine mehrdimesionale
Bedeutung. Zunächst meint er die vollendete Einsicht in einen bestimmten
Sachverhalt und die Fähigkeit zur praktischen Umsetzung, sodann - im
sokratischen Sinn - die relativierende Einschätzung menschlichen Wissens
bzw. das Wissen über Art und Ausmaß des eigenen Unwissens. Schließ-
lich besteht wahre Weisheit in der "Kenntnis des Wesens bzw. desjenigen
Sachverhaltes, der jede einzelne, empirische Instanz zu eben dem macht, was
sie ist" (318). Die größte Weisheit besteht in der harmonischen
inneren Ordnung der menschlichen Seelen und infolgedessen auch der Gesellschaft.
Diese Ordnung beruht aber auf dem richtigen Verhältnis der verschiedenen
Seelenteile bzw. Stände zueinander, mithin auf der Ge-
rechtigkeit. Somit ist Weisheit in hohem Maße mit der Gerechtigkeit
verbunden; sie bedeutet wahre, innere Schönheit und Reichtum, das einzige
an sich Gute.
Im Ganzen gibt das Buch knappe, aber sehr informative Einblicke in die Verwendung
einzelner Begriffe bei Platon. Aufgrund der zahlreichen inhaltlichen Verweise
und Erklärungen werden die Zusammenhänge und unterschiedlichen Bedeutungen
der Begriffe sehr klar. Ausführliche Register (antike Autoren, kurz
erläutert jeweils mit ihrer Vita, Begriffsindex, zitierte Platonstellen,
differenzierte Bibliographie) erhöhen noch den Gebrauchswert des Buches
erheblich.
Herbert Frohnhofen, 1. Juni 2008