Otfried Höffe (Hg.), Aristoteles-Lexikon,
Stuttgart 2005;
Dieses Aristoteles-Lexikon schließt eine Lücke.
Denn: "Trotz der doppelten, sowohl philosophiegeschichtlich
als auch systematisch enormen Bedeutung", so der Herausgeber (Ordinarius
für Philosophie an der Universität
Tübingen), "gibt es derzeit kein Wörterbuch zu Aristoteles'
Terminologie" (VIII). Dabei sei dies gerade für Aris-
toteles besonders naheliegend: "Denn das Buch V seiner Metaphysik ist
das erste überlieferte und bis heute le-
senswerte Begriffslexikon, das nicht weniger als dreißig philosophische
Grundbegriffe in ihrer mehrfachen Be-
deutung vorstellt" (VIII). Vor diesem Hintergrund, so ist zu vermuten,
hält es der Herausgeber für bedeutsam,
dass gerade diese, aber auch andere von Aristoteles an zentraler Stelle
verwendete und wirkungsgeschichtlich
bedeutsame Begriffe für den heutigen Sprach- und Kulturkontext vorgestellt
und erläutert werden. Dabei "rich-
tet sich das Lexikon in erster Linie an Studenten und Dozenten der Philosophie,
der Alten Geschichte und der
Kulturgeschichte. Es kann aber auch den Klassischen Philologen noch Zusammenhänge
erschließen" (IX). Das
Lexikon enthält 350 Sachbegriffe (keine Eigennamen), die in lateinischer
Umschrift des Griechischen verzeich-
net und denen in der Regel auch die deutsche und ggf. lateinische Entsprechung
beigegeben ist. Knapp 30 Au-
toren und Autorinnen haben bei der Erstellung des Lexikons mitgearbeitet.
Betrachten wir einige Artikel als
Beispiele:
Im Artikel "aletheia" beschreibt ANTON
F. KOCH Wahrheit "als ein übergeordnetes Verhältnis von (1)
ver-
hältnisloser, ursprünglicher, das ganze Verhältnis übergreifender
W. (Unverborgenheit) und (2) einem nachge-
ordneten Verhältnis von (2.1) W. und (2.2.) Falschheit der Aussage"
(29). Gemeint ist also, dass "aletheia"
bei Aristoteles sowohl für einen (u.a. von Heidegger aufgearbeiteten)
erkenntnistheoretischen Realismus steht,
"dem zufolge die Sachen uns unverborgen sind" (28), als auch dafür,
das Zutreffen einer Aussage (als "wahr")
gegenüber dem Nichtzutreffen einer Aussage (als "falsch") darzutun.
Für den heutigen Kontext ist interessant,
dass offenbar weitgehend nur noch die letztgenannte Bedeutung hoch im Kurs
steht bzw. verwendet wird. Die
Rede von "Wahrheit" ist fast ausschließlich auf die Beurteilung
des Zutreffens von Aussagen reduziert. Dass es
darüberhinaus "Wahrheit" in der wahrnehmenden Beobachtung, Beschreibung
oder Darstellung von Sachen ge-
ben könne, diese Auffassung scheint dem postmodernen Relativismus unserer
Tage endgültig zum Opfer gefal-
len zu sein.
Den Artikel "dikaiosyne" (Gerechtigkeit)
hat OTFRIED HÖFFE selbst verfasst. Hier macht er darauf aufmerk-
sam, dass Aristoteles dieser ethischen Tugend eine eigene Abhandlung widmet:
das Buch V der Nikomachischen
Ethik. Hierin - so erläutert H. - gibt es "eine vielleicht nicht
vollständige, aber weitgehend zureichende Ausdiffe-
renzierung" des Begriffs (131). So meint d. zunächst eine allgemeine
Gerechtigkeit im Sinne einer umfassenden
Rechtschaffenheit in allen Lebenslagen. "Entsprechend ist die konträr
entgegengesetzte Ungerechtigkeit (adikia)
das ganze Laster" (131). Daneben gibt es eine partikulare Gerechtigkeit,
die sich auf einzelne Bereiche bzw. Gü-
ter (Ehre, Geld u.a.) und deren Zuteilung bezieht. "Als gemeinsames Kriterium
aller besonderen Gerechtigkeit
gilt das Gleiche" (132), d.h. das unter je gleichen Bedingungen das
je Gleiche gegeben werde. Wichtig ist, dass
der Mensch von sich aus oft nicht gerecht, sondern zu seinen Gunsten handelt,
dass es mithin Wächter der Ge-
rechtigkeit geben muss. Bedeutsam ist, dass die bis heute wichtige Unterscheidung
Naturrecht und positivem
Recht bei A. bereits vorgedacht ist.
In einem recht ausführlichen Artikel behandeln
CHRISTOF RAPP und TIM WAGNER das "eidos" als Gestalt,
Art und Form. Zum einen steht e. für die Art, die unter eine
Gattung fällt, extensiv betrachtet geht es also um
eine echte Teilmenge (z.B. Mensch) einer umfassenderen Menge (Lebewesen).
Daneben steht e. für die (substan-
tielle) Form als Gegenbegriff zu hyle (Materie). Hierbei ist die "Form
einer Sache... jedoch nicht mit deren sicht-
barem Umriß identisch, sondern meint vielmehr die innere Struktur,
bei Artefakten die Funktion oder bei Lebe-
wesen die Fähigkeiten, die sie besitzen" (151). Überdies
steht e. für eine sog. "Formursache", für die "Bestimmt-
heit", also den Zielpunkt einer Veränderung, bevorzugt für
die "untersten biologischen Arten" (155), die bei ei-
ner Sinneswahrnehmung "wahrgenommene Form", die platonische "Idee"
sowie schließlich als "spezifischer To-
pos in der Rhetorik". Dies alles wird im einzelnen erläutert
und durch Schriftstellen belegt.
Im Ganzen - dies machen bereits diese willkürlich
herausgegriffenen Artikel deutlich - liegt hier ein Lexikon in
(Kröner-typischem) Taschenbuchformat vor, das nicht nur in die Begriffswelt
des Aristoteles differenziert ein-
führt, sondern auch eine Reihe von Anknüpfungspunkten für
die gegenwärtige Interpretation formuliert. Es ist
also ein (mit hilfreichen Registern versehenes) Buch, das nicht nur Philosophen
und Theologen die Welt des
Aristoteles effektiv aufschließt.
Herbert Frohnhofen, 11. April 2007