Heinrich Dörrie u.a., Die philosophische Lehre des Platonismus. Theologia
Platonica (Der Platonismus in der Antike 7.1) Stuttgart-Bad Cannstatt 2008;

Dieses aufwändig und sehr ansehnlich gestaltete Buch gehört als erster Teilband des siebten Bandes zu
einer bereits von Heinrich Dörrie erdachten und initiierten "Übersicht über die Rezeption Platons vor
allem in der kaiserzeitlichen Antike" (XIII), die nach dessen Tod von Matthias Baltes weitergeführt wur-
de und numehr in den Händen von Christian Pietsch liegt. Dieser informiert in einem kurzen Vorwort
über die Gegebenheiten bei der Übernahme dieser Verantwortung; ohne inhaltliche Einleitung beginnt
danach die zweisprachige (altgriechisch-deutsche) Edition zahlreicher einschlägiger Texte, die jeweils
mit einem Kommentar versehen sind. Angeordnet wurden diese Texte nach verschiedenen Themenge-
bieten; nahezu alle Texte befassen sich zumindest mittelbar mit der Rezeption und Modifikation der pla-
tonischen Lehre vom Göttlichen. Einige dieser Texte seien hier kurz näher angesprochen.

In der Rubrik >Das Problem, Gott zu erkennen und von ihm zu sprechen< macht zum Beispiel Maximos
von Tyros darauf aufmerksam, dass das "Göttliche an sich... unsichtbar (ist) für die Augen, unsagbar für
die Stimme, unberührbar für das Fleisch, unhörbar für das Ohr, nur für den schönsten und reinsten, den
vernünftigsten, leichtesten und ursprünglichsten Teil der Seele (sei es) sichtbar aufgrund von Ähnlichkeit
und hörbar aufgrund von Verwandtschaft" (79). Vollständig werde man das Göttliche erst nach dem Tod
kennenlernen. Für uns noch Lebende weise vor allem die Schönheit auf das Göttliche hin (83). Ein erster
Weg, Gott über die Vernunft zu erkennen, so der Gelehrte Albinos, bestehe darin, "alles von ihm wegzu-
nehmen", ein zweiter darin, Analogien zu bilden; der dritte sei eine Art Aufstiegsweg: von der Betrach-
tung des körperlich zum seelisch Schönen, von dort zum Schönen (sprich Gerechten) in den Handlungen
und Gesetzen sowie schließlich von dort aus zum Guten selbst, das Gott genannt wird. Auf letztere Weise
sei dann Gott auch "aufgrund seiner überragenden Stellung in der Hierarchie der Werte" erkennbar (89).
Interessant erscheint hierbei, dass diese vorgeschlagenen Erkenntniswege Gottes, verbunden mit den Wei-
sen, über ihn zu sprechen, sehr ähnlich zu denen sind, die auch heute vorgeschlagen werden (vgl. mein
einschlägiges Skript zur Gotteslehre/§ 1. Philosophisches zur Gottesfrage).

Plotin etwa macht in der Weise der negativen Theologie darauf aufmerksam, dass "wir nicht in der La-
ge sind, dessen habhaft zu werden, was eigentlich von Jenem (d.i. dem Göttlichen/dem Einen) ausgesagt
werden müßte... denn alles Schöne und Erhabene ist später als Er" (91). Nicht nur alle Bezeichnungen
müssten für dieses Eine beiseite gelassen werden, sondern sogar dessen Selbständigkeit und dessen Wirk-
samkeit auf anderes, seien zunächst auszuklammern, da es beziehungslos gedacht werden müsse. Selbst
vom >Sein< des Einen sei nicht sinnvoll zu reden, da dieses als solches nur den einzelnen Seienden zu-
komme. Mithin müsse zuletzt über das Eine geschwiegen werden, weil nichts mehr zu fragen sei. Fra-
gen könne man nämlich nur bis zum Ursprung und bei diesem sei man mit dem Einen angekommen.
Im Übrigen sei jede Art von Fragen dem Einen gegenüber unangemessen. Da es uns mithin am Vermö-
gen zur unmittelbaren Erkenntnis Gottes mangele, so fügt ein anonymer Autor hinzu, seien diejenigen
eher im Recht, "die es vorziehen zu sagen, was Er nicht ist, (als) diejenigen..., die sagen, was Er ist"
(101).

Das >Denken< der Götter, so Plotin, geschieht immer "in ihrer affektionslosen, beständigen und reinen
Vernunft. Sie wissen und erkennen alle Dinge... alles, was die Vernunft sieht" (111). Zurückgewiesen
wird von Plutarch die Auffassung, "daß... Gott in der Materie existiert" (129). Vielmehr sei er "irgend-
wo oben im Bereich der Wirklichkeit, die sich immer selbig und gleich verhält, festgegründet auf heili-
gem Fundament" (129). Wie er in der Sonne am Himmel sein wunderschönes Abbild zeige, so habe er
in den Städten den Glanz der Gerechtigkeit und das Bemühen um die Erkenntnis seiner selbst verankert.
Die glückseligen und verständigen Philosophen erkennen dies und zeichnen es auf. Vieles könnte man
hier noch anfügen. Der vorliegende Band gibt so einen reichen Einblick in die an Platon anschließen-
den Gottesspekulationen. Unmittelbar erkennbar ist, wie sehr die angesprochenen Themen genau jene
sind, die auch heute die einschlägigen philosophischen und systematisch-theologischen Diskussionen be-
herrschen. Gerade deshalb ist es verdienstvoll, die überkommenen Lehren - auf die vorliegende Weise
gesammelt und geordnet - dem Fachpublikum neu zugänglich zu machen.

Herbert Frohnhofen, 1. November 2011