Martin Hailer, Gott und die
Götzen. Über Gottes Macht angesichts der lebensbestimmenden
Mächte (Forschungen zur systematischen und ökumenischen
Theologie 109) Göttingen 2006;
Dieses umfangreiche Buch von über
400 Seiten wurde im Sommersemester 2003 als Habilitationsschrift von
der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg
angenommen. Ausgangspunkt ist die "wohl
allgemein zugängliche Erfahrung, nach der es kollektive
Kräfte oder Größen gibt, die nicht als Summe von
je individuellen Gestimmtheiten erklärt werden können"
(10). Als solche "kollektiven Verblendungen" gelten
vielen z.B. der Nationalsozialismus oder aber die weite Teil der
Bevölkerung Ex-Jugoslawiens unter Slobo-
dan Milosevic ergriffene Vorstellung, dass die Zeit für ein
neues serbisches Reich reif sei und eine barbari-
sche Kriegführung rechtfertige. Auch nicht negative, sprich:
nicht andere Menschen zum Opfer machende Er-
lebnisse freilich - Verliebtheit z.B. oder die Erfahrung von Fußballfans
im (friedlich bleibenden) Siegesrausch
- scheinen in ähnlicher Weise kollektive Macht über Menschen
gewinnen zu können, die die Individuen mitreißt
und taumeln lässt. Ist jede dieser überindividuellen
Mächte nun "göttliche" Macht, wie Michael Tippett sie
zu
deuten scheint? Dies ist aus christlicher Perspektive eine Provokation,
fordert aber gerade dazu heraus, die Re-
de von der göttlichen Macht sowie deren Verhältnis zu
den irdischen "Mächten und Gewalten" aus christlicher
Sicht genauer zu klären. Und dies wird zum Anliegen der vorliegenden
Arbeit. Aktuelle Fragen um die Religi-
osität der gegenwärtigen Gesellschaft, um den Polytheismus und
den Monotheismus und nicht zuletzt um die
Macht oder Ohnmacht Gottes - so macht der Autor recht plausibel
deutlich - hängen mit der genannten leiten-
den Fragestellung eng zusammen und werden deshalb mit behandelt.
So geht es gleich im ERSTEN KAPITEL um Gottes
Macht aus jüdisch-christlicher Sicht. Dabei steht am An-
fang die heute weit verbreitete Erkenntnis: "Allmacht ist nicht
der selbstverständliche Ausgangspunkt der Got-
teslehre, sondern eines ihrer brennenden Probleme" (28).
Gleichwohl: "Der Allmachtsbegriff hat die Stürme
der Aufklärung, die über die Theologie hinwegfegten,
bemerkenswert unbeschadet überstanden" (29) und auch
unter der heute aktuellen Perspektive einer "Allmacht der Liebe"
wird an der Hoffnung festgehalten, "dass Gott
dereinst alles in allem und die Welt seinem Willen konform sein
werde" (31). Nach einigen Hinweisen auf die
zeitgenössischen Anfragen an den Allmachtsbegriff unter der
Perspektive der (z.B. in Auschwitz erfahrenen)
Ohnmacht Gottes erläutert H. einen sogenannten "Vorbegriff"
der Allmacht Gottes: Gottes Macht sei "schöp-
ferische Macht, die das Leben des Geschöpfs will und die
die Macht der Liebe ist" (71). Von Wolfhart Pannen-
berg sei zu übernehmen, den Heiligen Geist als "Kraft oder
Machtfeld Gottes" zu deuten (71); im übrigen er-
schwere dessen grundsätzliche Interpretation des biblischen
Gottes mit Hilfe des metaphysischen Gottesbildes
dem Problem gerecht zu werden, dass es heute nicht um die Frage geht,
"ob die Menschen keinen Gott haben
und wie dieser ihnen anzuplausibilisieren wäre, (sondern)
die Frage ist, ob sie nicht zu viele Götter haben, an
die sie... ihr Herz hängen" (72). Eberhard Jüngel,
der mit Pannenberg darin übereinstimmt Gottes Macht als
"Macht der Liebe" zu verstehen, weist die Gottesvorstellung
des Theismus zurück und verweist darauf, dass
Gott daraus zu erkennen ist, wie er sich dem Glaubenden zeigt, nämlich
als bleibendes Geheimnis der Welt.
Mit Blick auf Walter Dietrich und Christian Link betont H., dass
die theologische Rede von der (All-)Macht
Gottes "im Binnenraum der Rede von der Erwählung" zu
beginnen habe: "Gottes Macht angesichts der (welt-
lichen) Mächte müsste sich sprachlich entfalten lassen
als das Wie der Entmächtigung dieser Mächte" (101).
Und weiter: "Es würde nicht genügen, sich einer Eigenschaft
Gottes denkerisch zu versichern. Sie ist erst dann
zureichend angegangen, wenn sie in ihrer soteriologischen Qualität
ansatzweise beschrieben wird, wenn sie den
Deus pro nobis aussagt" (101). Das allerdings sind Sätze,
die in ihrer Bedeutung für die gesamte christliche Got-
teslehre kaum überschätzt werden können. Die Rede
von der (All-)Macht Gottes ist vor diesem Hintergrund zu
kombinieren mit dem Sich-Zeigen-Gottes in der Zeit, ja damit, dass
und wie er aller Zeit ihre Fülle gibt.
Das ZWEITE KAPITEL
behandelt "die Wiederkehr der Götter auf der Rückseite der
Metaphysik" und nimmt
hierzu den Ausgang von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie,
in welcher durch verschiedene Auto-
ren (Assmann, Boff, Hinkelammert u.a.) der Markt bzw. das Geld als
Gegenmacht zu Gott, sprich als Götze,
beschrieben wurde. Fragwürdig bleiben hierbei für H. sowohl
die Subjekthaftigkeit und die Erkennbarkeit der
göttlichen Gegenmächte als auch die angemessene Reaktion
auf diese. Götter und Göttliches, soviel ist jeden-
falls den Deutungen Georg Pichts zu entnehmen, erscheinen im Modus
der Schönheit und entwickeln gerade
daraus ihre Attraktivität für die Menschen. Beispielhaft
ist dies zu erkennen etwa am Götzen der Macht, der als
Potential (in der feierlichen Militärparade) ästhetisch brilliert;
in der Ausagierung seiner Gewalt hingegen (in
der Fratze des Krieges) bleibt von dieser Schönheit wenig übrig,
ja sie schlägt in ihr Gegenteil um. Picht inter-
pretiert die Mächte als "überproportionale Größen,
die in der Weise des Widerfahrnisses wahrgenommen wer-
den. Sie wirken, gleich ob beglückend oder bedrohend, in der
vorwillentlichen Sphäre des Menschen. Ihr näch-
stes begriffliches Analogat ist antik der pathos und modern der Affekt"
(168). Die befallenen Subjekte, einzelne
Menschen oder Gruppierungen, erfahren sich als übermächtigt
und bestimmt, Innen und Außen verschwimmen
für sie miteinander. - Das DRITTE KAPITEL schließt hieran
an und stellt unter der Überschrift "Polytheismus
als Theologiekritik" die aktuelle Renaissance polytheistischer
Sichtweisen vor sowie deren Kritik an dem, was
sie für den christlichen Monotheismus halten. Hierbei kommt zunächst
Odo Marquards "Lob des Polytheismus"
zur Darstellung sowie dessen erheblich eingeschränkte und verkürzte
Sicht dessen, was mit dem Christentum
und seinem trinitarischen Gottesverständnis überhaupt gemeint
ist. Schwerwiegender und erheblich kenntnisrei-
cher ist demgegenüber schon die Gegenüberstellung von Kosmotheismus
und biblischem Monotheismus durch
Jan Assmann und andere; die kosmotheistisch und polytheistisch wohlgeordnete
Kultur - so heißt es hier - wer-
de durch die "mosaische Unterscheidung" des Wahren und Unwahren
in der Religion aufgebrochen, ja "aufge-
rüstet". Die hierdurch entstehende Entzweiung sei "verantwortlich
für eine Welt voll Intoleranz, Gewalt und Kon-
flikten" (225). Der Monotheismus fundiere sowohl eine existentielle
Weltfremdheit als auch die notwendige Ver-
drängung von all jenem, das in sein Konzept nicht passt; er erfinde
und mache sich hierdurch seine Feinde selbst.
H. macht demgegenüber auf die in einer solchen Argumentation liegende
Gefahr aufmerksam, dem Antisemitis-
mus neue Nahrung zu geben, sowie darauf, dass Assmann mit seiner Gegenüberstellung
von Kosmo- und Mono-
theismus die kulturellen Hintergründe und Unterschiede nur sehr
unzureichend beschreibt.
Das sehr ausführliche VIERTE KAPITEL sucht nun
unter der Überschrift "Gottes Macht und die Mächte.
Zur Eigenschaftslehre" Grundzüge einer christlichen
Lehre von der Macht Gottes gegenüber den weltlichen
"Mächten und Gewalten" zu entwickeln. Hierbei stellt H. Karl
Barths Theologie in den Mittelpunkt und er-
läutert, dass für Barth "die Mächte wie selbstverständlich
zur gefallenen Welt gehören" (283). Die Aufgabe
des Theologen sei nicht, sie im Banne eines Entmythologisierungsdrucks
wegerklären zu müssen, als dürfe
es sie nicht geben, wenn es denn Gott gibt, sondern die Existenz der Mächte
sei gerade in ihrer fatalen Selbst-
verständlichkeit aufzuklären; zugleich gelte es die Vorstellung
von Gottes Allmacht als einer Allwirksamkeit
aufzugeben. Stattdessen müsse Gottes Macht "als die Macht des
freien Subjekts verstanden werden" (287). Got-
tes Macht sei eine Vollkommenheit seiner Freiheit, sein Wissen und Wollen,
"die Macht seiner Persönlichkeit"
(288). Er sei mithin die souveräne "Macht über den Mächten".
Gottes Macht sei zu verstehen als Selbstbegren-
zung und Gewährenlassen; bereits die Schöpfungstat sei Selbstzurücknahme
und Gewährung von Raum für, ne-
ben und bei sich. "Die Metaphorik, dass Gott gleichsam in sich Raum
gewährt, die Schöpfung also von Gott
umhegt sei, wird dafür seit neuerem wieder diskutiert" (306).
Im Übrigen zeigt Jesu Christi Wirken und Ge-
schick an, wie Gottes Macht vor der Welt wirksam wird. Insbesondere die
Tatsache, dass "Gott sich in Jesus
Christus selbst als eins mit der Vergänglichkeit festlegt, zeigt
einen grundlegenden Unterschied seiner Macht
zu allem, was sich unter uns als machtförmig geriert. Dieses nämlich
sucht gerade seine eigene Vergottung und
Unvermeidlichkeit, Gottes Macht aber ist die der Herabneigung und der
Durchkreuzung solcher Machtansprü-
che" (308).
Die biblisch sehr entfaltete Rede von der Einzigkeit
Gottes, so schildert es uns ein abschließender Ausblick,
ist mithin nicht als eine "Aussage über Gottes So-Sein" zu
verstehen, "sondern (ist) der Ausdruck einer hoffen-
den Gewissheit, die sich auf seine Selbstdurchsetzung richtet" (409).
Hierbei ist jener, in der Welt und ihrer Zeit
ablaufende Prozess gemeint, in welchem der biblisch und in Jesus Christus
sich manifestierende Gott mit den
Götzen und Mächten dieser Welt im Kampfe liegt und dereinst -
hoffentlich - zum einzig verbleibenden aller-
erst aufsteigt; wir selbst sind diejenigen, in denen dieser Kampf sich
ereignet. - Im Ganzen gibt das Buch einen
intensiven Einblick in die - auch heute - höchst wichtige Theologie
der Mächte und Gewalten; seine besondere
Idee ist die Verbindung dieser Theologie mit der - auch aktuellen - Diskussion
um das Verhältnis von Polythe-
ismus und Monotheismus.
Herbert Frohnhofen, 11. September 2007