Günter Frank, Die Vernunft des Gottesgedankens. Religionsphilosophische
Studien zur frühen Neuzeit
(Quaestiones 13) Stuttgart-Bad Cannstatt 2003;

"Der Frage nachzugehen, welche systematischen und historischen Perspektiven und Probleme sich mit der Dis-
soziierung von Theologie und Metaphysik in der frühen Neuzeit als Entstehungsbedingung für die Religionsphi-
losophie der Neuzeit verbinden, ist das Ziel der vorliegenden Studie" (11). Mit diesem programmatischen Satz
leitet der Autor seine rund 350 Seiten (plus Anhang) umfassende Studie ein, die aus seiner Habilitationsschrift
hervorgegangen ist, welche im Sommersemester 2001 vom Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften
der Freien Universität Berlin angenommen wurde. In der Einleitung macht der Autor deutlich, dass es ihm mit
seiner Studie nicht darum gehe, in die Diskussion um eine je neue Begriffsbestimmung der Religionsphilosophie
einzugreifen, sondern darum, die "Frage nach einer Denkbarkeit des Gottesgedankens" (14) zu traktieren. Dabei
steht im Hintergrund, dass in der Wirkungsgeschichte sowohl der aristotelischen als auch der platonischen Tradi-
tion bis ins 17. Jahrhundert die "Bestimmungen des Gottesgedankens in der Ontologie begründet waren: Auf der
einen Seite in der Wesensmetaphysik, auf der anderen Seite in der Geistphilosophie, die im Kern als ein geistphi-
losophischer Exemplarismus konzipiert war" (15f). Die vorliegende Untersuchung, so der Autor, verfolge "eine
systematische Perspektive, die sich aus der Theologie der Reformation ergeben hatte" (20). Luthers scheinbare
Verwerfung der Philosophie führe nämlich unweigerlich zu der bedeutsamen Frage: "Wie hältst Du's mit der
Denkbarkeit des Gottesgedankens?" (20). Vor dem Hintergrund nämlich, dass "Luther im Interesse der Autono-
mie und Superiorität der Theologie die aristotelische Wesensmetaphysik prinzipiell verworfen" und damit "den
in der Tradition allgemein anerkannten Zusammenhang von Theologie und Philosophie hinsichtlich der Gottes-
erkenntnis preisgegeben" hatte (21), stellt sich für den Autor die Frage, wie weitere nahmhafte Gelehrte der Re-
formation mit dieser Dissoziierung von Philosophie und Theologie in der Gottesfrage umgehen.

Im ERSTEN ABSCHNITT behandelt der Autor die "reformatische Theologie und das Postulat der Autono-
mie der Theologie". Martin Luther, so F., habe eine "anthropologische" bzw. "reformatorische Wende" in der
Gottesfrage eingeleitet: "Ausgangspunkt und Zentrum der Gottesfrage ist nach Luther die Situation des Men-
schen coram Deo" (26). Gesprochen wird in diesem Zusammenhang auch von einer Relationsontologie im Ge-
genüber zur Substanzontologie. Hintergrund der hierbei implizit - und häufig auch explizit - formulierten Kri-
tik am philosophischen Zugang zur Wirklichkeit Gottes ist der Vorwurf, dass ein solcher Zugang die (vollstän-
dige) Verderbtheit des Menschen durch die Sünde nicht ernst nehme, welche es nach Luther ja verhindert, dass
der Mensch überhaupt mit seinen ihm von Natur aus gegebenen Möglichkeiten noch einen irgendwie gearteten
Zugang zu Gott finden könne. Wenngleich Philipp Melanchthon auf den ersten Blick die grundlegenden Moti-
ve der Philosophiekritik durch Martin Luther teilt, setzt er sich doch bei näherem Hinsehen - gerade hinsicht-
lich der Lehre vom Verlust der Urstandsgnade bzw. deren Konsequenzen - auch von Luther ab. "In der Schöp-
fung (nämlich) habe Gott dasjenige, was in ihm selbst das Beste ist, dem Geist des Menschen mitgeteilt, näm-
lich Weisheit, Gerechtigkeit, Freude und Willensfreiheit" (65). Auch in der gefallenen Menschennatur bleibe
diese grundsätzliche Bezogenheit auf den Gottesgedanken erhalten und es sei erkennbar, dass "Gott ein geisti-
ges Wesen ist, intelligent, ewig, Ursache des Guten in der Natur, d.h. wahrhaft, gut, gerecht, allmächtiger Schöp-
fer aller guten Dinge etc." (66). Für Johannes Calvin wiederum, so F., "ist klar, daß der Sündenfall die Kräfte
des Menschen geschwächt hat... Aber gerade dieses Elend... drängt den Menschen dazu,... Gott zu suchen" (70f).
Und: Eine philosophische Erkenntnis der Existenz und des Wesens Gottes ist aus der Perspektive des menschli-
chen Geistes für Calvin möglich, "weil ihm Gotteskenntnisse als Ausdruck der Wesensverwandtschaft von gött-
lichem und menschlichem Geist eingeprägt sind" (73).

Der ZWEITE ABSCHNITT des Buches ist Johann Jacob Brucker Schegk (1511-1587) aus Tübingen ge-
widmet. Er ist in der Wissenschaft weithin vergessen, obwohl er ein umfangreiches Werk zur aristotelischen
Philosophie hinterließ, hierzu eine Professur an der Universität Leipzig bekleidete und nach Frank zu den be-
deutendsten Aristotelikern im protestantischen Deutschland zählte. In der Eucharistielehre ersetzte er die in
der protestantischen Theologie weithin abgelehnte Transsubstantiationslehre durch eine "Personalisationsleh-
re", nach welcher "Christus nicht als Wesen oder Substanz, sondern lediglich... in einer Wesensvollmacht om-
nipräsent sei" (95). Eine solche "Ubiquitätslehre" in Bezug auf Jesus Christus wurde aber weithin abgelehnt,
weil "eine Person nicht ohne ihre Realisierung durch den Leib existiert und... Christus (nach Schegks Lehre)
gerade nicht als Wesen oder Substanz omnipräsent ist" (98). Vielmehr - so lautete die durch einen gewissen
Simonius dem entgegengestellte Position - "sei Christus (hinsichtlich des Wesens seiner Gottheit) wesenhaft
allgegenwärtig und regiere und lenke alles; hinsichtlich der Menschheit oder des Wesens der Menschheit sei
er nicht allgegenwärtig, sondern an einem bestimmten Ort, nämlich nur in den Himmeln oder über den Him-
meln" (98). - Ein DRITTER ABSCHNITT des Buches ist Schegks wohl bedeutendstem Schüler Nikolaus
Taurellus (1547-1606) gewidmet, gegen den bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Atheismus-Vorwürfe erho-
ben wurden. Bereits früh wendet sich Taurellus gegen Luthers Formulierung einer doppelten Wahrheit in Phi-
losophie und Theologie und lehrt stattdessen, dass der Philosophie "dasjenige zugeschrieben werden (müsse),
was der menschliche Geist durch einen sicheren Diskurs der Vernunft erfaßt", der Theologie hingegen dasje-
nige, was "durch die Offenbarung allein gewußt werde" (133). Die Philosophie solle dabei aber als Glaubens-
fundament fungieren. Die philosophische Erkenntnis, die sich "ausdrücklich auf die Erkenntnis der Existenz
Gottes, seiner Macht, Gerechtigkeit, Güte, seines Wissens und seiner Tugenden bezieht, werde auch nicht durch
den Sündenfall aufgehoben, denn die facultas intelligendi ist eine unzerstörbare Substanz des menschlichen Geis-
tes, die durch die Sünde lediglich verdunkelt sei" (136). Die Meinung, die Seele des Menschen sei durch den
Sündenfall per se schlecht, verwirft er als absurd; die Erkenntnisfähigkeit betont er hingegen als bleibende Sub-
stanz des Geistes, die durch den Sündenfall nur geringfügig infiziert sei.

Der VIERTE ABSCHNITT des Buches behandelt unter der Überschrift "Theosophie als religionsphilosophi-
sche Superdisziplin" die Lehre des Bartholomäus Keckermann (1573-1609). Dieser entwirft die Metaphysik
als Lehre vom endlich Seienden: "Gegenstand der Metaphysik ist damit das Seiende oder das Ding und deren
Prinzipien, an erster Stelle deren Bestimmung als Substanz" (178). Das göttliche Wesen freilich, "welches die
erste und ursprüngliche von allen Substanzen ist,... (ist) so beschaffen, daß von ihr alle übrigen Substanzen ab-
hängen. Deshalb würde richtig gesagt, daß Gott eine Supersubstanz ist" (178). Gott ist damit nicht selbst Gegen-
stand der Untersuchung in der Metaphysik, sondern einer eigenen Disziplin, die er Theosophie nennt. Diese The-
osophie ist für K. die erste unter den "kontemplativen Disziplinen" und steht insofern auch über der Metaphysik
(180). Die Theologie hingegen ist ihm im engeren Sinn eine praktische Disziplin, da sie für das Ziel stehe, das
ewige Leben zu erstreben. Ihr Gegenstand sind deshalb die "Heilmittel, die Gott aufgerichtet habe, um die Men-
schen zum Heil zu führen, wie die Erkenntnis des menschlichen Elends, die durch Christus geschehene Befrei-
ung, die Wiederaufrichtung des Menschen und die guten Werke" (181). - Den FÜNFTEN ABSCHNITT wid-
met F. der "Religionsphilosophie des englischen Platonismus im 17. Jahrhundert". Hier geht es um eine "eher
heterodoxe(n) Gruppe von Theologen..., deren erklärtes Ziel in einer Aussöhnung der Theologie mit der Philo-
sophie auf der Grundlage platonischer und neuplatonischer Theoreme bestand, die in unterschiedlicher Intensität
und von verschiedenen Seiten des Platonismus her entwickelt wurden" (221). Zentrale Lehre dieser englischen
Platoniker war der Primat der Vernunft gegenüber dem Glauben. Benjamin Whichcote (1609-1683) spricht
zwar einerseits auch von einem hohen Grad der Sünde, ist aber andererseits davon überzeugt, dass es eine blei-
bende natürliche Erkenntnis von der Existenz Gottes gibt, die für ihn die Basis allen Glaubens ist. Vernunft und
Religion gehören für ihn unverbrüchlich zusammen. John Smith (1618-1652) hält die überlieferten Systeme und
Modelle für eine spekulative Gotteserkenntnis für unzureichend, schließt an Plotin an und verlangt das Hinabstei-
gen in die gereinigte Seele, um Gottes gewahr zu werden (248). Nathanael Culverwel (1618-1651) zuletzt ent-
wickelt eine Lichtmetaphysik, nach der das Licht des Erkennens ein durch die Erbsünde gebrochenes Erkenntnis-
medium ist, "in dem die ersten Erkenntnisprinzipien aller Wissenschaften allererst wahrgenommen und als wahr
erfaßt werden" (254). Eine eigene Offenbarungserkenntnis, die von ihm nicht ausgeführt wird, bleibt aber not-
wendig.

Der SECHSTE ABSCHNITT ist unter der Überschrift "Die Philosophy of Religion" Ralph Cudworth (1617-
1688) gewidmet. Dieser sucht nach einer spekulativen Widerlegung der Möglichkeit des Atheismus und legt hier-
zu erstmals (und zwar rund einhundert Jahre vor dem Wiener Jesuiten Siegmund von Storchenau (1731-1798),
der gemeinhin als Begründer dieser Disziplin gilt) ausdrücklich eine "Religionsphilosophie" vor. Ausgangspunkt
seiner Argumentation ist die zu seiner Zeit verbreitete These des zeitgenössischen Atheismus: "Da es keine Got-
tesidee im Geist des Menschen gibt, könne ein solches Wesen weder in Wirklichkeit existieren, noch sei eine Er-
kenntnis von diesem Wesen möglich" (265f). Cudworth hält dagegen, dass selbst die Leugnung einer Gottesidee
zumindest die Existenz einer solchen Idee voraussetze, und außerdem greift er das Argument des notwendigen
Daseins eines ersten unbewegten Bewegers auf: "Die einzige Frage sei mithin, was dieses notwendige Selbst-Ex-
istierende eigentlich ist" (266). Aus der daraufhin entwickelten allgemeinen Gottesidee im Sinne eines vollkom-
mensten Wesens resultieren dann jegliche bekannten göttlichen Wesensattribute wie All-Ursächlichkeit, Allmacht,
Allwissen, Allgüte usw. - Im SIEBTEN und letzten ABSCHNITT steht schließlich die "Locke-Leibniz-Debatte
als Parameter des strukturellen Dilemmas neuzeitlicher Religionsphilosophie" auf dem Programm. John Locke
formuliert bekanntlich als Ziel seiner Arbeit, "Ursprung, Gewißheit und Umfang der menschlichen Erkenntnis zu
untersuchen, nebst den Grundlagen und Abstufungen von Glauben, Meinung und Zustimmung" (301), und kommt
im wesentlichen zum Ergebnis, dass "der Gebrauch der natürlichen Fähigkeiten... des Verstandes ausreiche, um
zur Erkenntnisgewißheit zu gelangen, und daß zum Erreichen dieser Gewißheit die Annahme von angeborenen spe-
kulativen und praktischen Prinzipien nicht nur unnötig, sondern überhaupt unsinnig ist" (301). Gottfried Wil-
helm Leibniz (1646-1716) hingegen, der die Thesen Lockes kommentiert hatte, vertrat die Auffassung, "daß al-
le Ideen aus dem Innern der Seele entstammen" (318). Deshalb seien auch Gott selbst und das ewige Gesetz Got-
tes den Seelen der Menschen eingeschrieben. Obwohl also Leibniz "dem Verhältnis von Vernunft und Glauben...
in seiner Replik auf Locke eine andere Deutung" gibt (329), ist beiden die Kritik am instruktionstheoretischen
Offenbarungsmodell gemeinsam.

Im Ganzen gibt die Studie einen - hier nur in geringen Ansätzen angedeuteten - differenzierten Einblick in nach-
reformatorische protestantische Diskussion um das Verhältnis von Vernunft und Glaube. Hierbei überrascht, wie
sehr die von Luther aufgemachte Unterscheidung zweier - postlapsarisch ggf. sogar einander widersprechender
Wahrheiten - in der Folge variiert, wenn nicht gar überwunden wird.

Herbert Frohnhofen, 1. Juli 2007