R. FABER, Gott als Poet der Welt. Anliegen und Perspektiven der Prozesstheologie, Darmstadt 2003;


In der Einleitung informiert der Autor über die bereits rund einhundertjährige disparate und vielfältige Ent-
stehungsgeschichte der Prozesstheologie und formuliert abschließend folgende "theopoetische Kurzformel":
"Prozesstheologie ist Theopoetik, d.h. eine Theologie der Perichorese (der gegenseitigen Durchdringung von
allem), in welcher das Universum das kreative Abenteuer Gottes darstellt und Gott das Ereignis kreativer
Transformation der Welt. Im Netz der Verwobenheit - im Prozess - erscheint Gott als der 'Poet der Welt': ihr
überraschender Schöpfer (der Grund ihrer Neuheit), ihr mitfühlender Begleiter (der Grund ihrer Verwoben-
heit) und ihr rettender Glanz (der Grund ihrer Har
monie)" (18).

In einem ersten Kapitel (Gestalten) stellt der Autor die Entstehung und Verzweigung der Prozesstheologie
dar und schlägt vor, Prozesstheologie heute "als ein Unternehmen zu verstehen, das auf den Intentionen kon-
struktiver und dekonstruktiver Methoden in der Prozesstheologie aufbaut und zugleich die drei älteren metho-
dischen Ausformungen in den empiristischen, rationalistischen und spekulativen Prozesstheologien aufnimmt"
(42). Als "rekonstruktive" Theologie solle die Prozesstheologie nunmehr Gestalt gewinnen, indem (1.) jede
Systembildung aufgebrochen werde, (2.) eine "theologische Weite wieder sichtbar" werde, die "es erlaubt
der lebendigen Entwicklung Vorrang vor aller Systemstarre zu geben", sowie (3.) all ihre Vermittlungen und
Versöhnungen "nur im Durchgang durch eine postkonstruktivistische Relativierung der Vernunft geschehen"
solle (42). Dies sind alles ungeheuer blumige Formulierungen, deren Bedeutungsgehalt dem Leser zumindest
an dieser Stelle des Buches noch kaum einleuchten kann.

Das zweite Kapitel (Grundlagen) enthält verschiedene Hintergründe prozesstheologischer Theoriebildung.
Hierbei geht es um neue Deutungen des Zusammenspiels von Materie und Geist, Einmaligem und Allgemei-
nem, Raum und Zeit, Chaos und Kosmos und andere. "Den entscheidenden theoretischen Anstoß zur Entste-
hung der
Prozesstheologie", so heißt es hier, "gab die 'organische Philosophie' A.N. Whiteheads" (44), also
eine neue ökologische Weltsicht alles Lebendigen. Das überkommene Denkmodell des antagonistischen Ge-
genüberstehens der jeweiligen Elemente der genannten Gegensatzpaare werde in neueren Sichtweisen über-
wunden und eröffne so die Möglichkeit, das Zusammenspiel beider neu zu denken. Wir sehen hier, wie sehr
die Grundlagen der Pro
zesstheologie in enger Beziehung stehen zu denjenigen des New Age.

Im dritten Kapitel (Kontakte) diskutiert Faber, wie "sich Gott in Whiteheads organisches Denken ein(fügt)...
Wo ist der 'Ort' Gottes im Prozess und worin liegt Gottes Bedeutung für den Prozess?" (78). Zugeschrieben
wird Gott hier (lediglich) die Funktion der Rettung der Welt. "Gott spielt in der organischen Philosophie
nicht
eine welt-begründende (onto-theologische) Rolle, sondern Gott kommt eine welt-versöhnende (soterio-
logische)
Bedeutung zu" (78). Dabei erscheint Gott - wie bereits bei Moltmann und Pannenberg - als Quelle
echter Zukunft, als das selbst zeitlose (ewige) Potential alles in der Zeit Realisierbaren, als die Ermöglichung
auch jeder Ordnung in der Welt. Gott wird überdies verstanden als "der Anfang der Autonomie der Selbst-
Kreativität...
jedes Ereignisses und damit die Voraussetzung seiner Subjektivität" (91) sowie als "Schöpfer je-
des Sich-Ereig
nens der Welt" (92/creatio continua). Er verfolgt selbst keinen Zweck mit dem Weltprozess
und garantiert so die 'Würde' jedes Ereignisses in seiner ästhetischen Zweckfreiheit (97). Im Personsein des
Menschen "kumuliert göttliches Involviertsein in (die) Welt" (101). Deutlich wird in diesem Kapitel, wie sehr
das Verhältnis
Gottes zur Welt tatsächlich als ein dynamisches gedacht wird, und zwar als ein solches, das
Offenheit in der
Entwicklung nicht nur zulässt, sondern positiv ermöglicht.

Das vierte Kapitel (Horizonte) diskutiert prozesstheologische Zuordnungen von Gott und Welt. Hierbei wird
von dem Grundsatz ausgegangen, "dass alles, was nicht in Relation steht, nicht erkennbar ist; daher wird
Gott
prozesstheologisch als 'Gott-in-Relation' verstanden" (114). Gesprochen wird dabei von einer "Dipola-
rität Got
tes", insofern Gott - wie jedes geschöpfliche Ereignis - "in der Spannung von... Geistigkeit und Ma-
terialität"
stehe (115). Auch Gott sei "(in Bezug auf Welt) nicht abstrakter 'Geist' im Gegensatz zur Materia-
lität der Welt,
sondern in seiner Dipolarität mental und physisch, geistig und 'materiell'". Dipolarität inter-
pretiere "hier die Leibhaftigkeit jedes Ereignisses und" besage "somit die Leibhaftigkeit Gottes" (115). Auch
Gott konkretisiere "sich aus einem Möglichkeitsraum und der Realität der Welt, aus dem unendlichen Mög-
lichkeitsraum aller mög
lichen Welten und aus der Wahrnehmung aller realisierten Welten in ihrem tatsächli-
chen Gewordensein und ih
rer Wahrheit" (115). Versucht wird auf diese Weise, den biblischen "Horizont ei-
nes leibhaftigen, weltwahr
nehmbaren und zeitsensiblen Gottes" aufzunehmen und zeitgemäß zu interpretieren
(115). Detailliert wird Gottes Verhältnis zur Welt beschrieben in vier Phasen eines kreativen Prozesses der
Liebe. Zuerst schenkt Gott jedes Ereignis sich selbst, lässt es dann es selbst werden, nimmt anschließend das
Gewordene in sich auf, um schließlich neu auf die Welt zuzukommen und das Gottesreich auf der Erde aus-
zubreiten (145). Im Ganzen wird hier in diesem Kapitel eine Gott-Welt-Dynamik beschrieben, die mit den
hier zitierten Bestimmungen
auch nicht annähernd wiedergegeben werden kann und voller theodramatischer
Einsichten steckt.


Im fünften Kapitel (Zugriffe) erläutert Faber prozesstheologische Blicke auf Gott. Gott wird hier beschrie-
ben als "ein Ereignis, für das zunächst dieselbe Prozessstruktur gilt wie für jeden Weltprozess, nämlich jener
drei
faltige Charakter, durch den seine innere und äußere, die subjektive wie objektive, die physische wie geis-
tige
Komplexität zusammengefasst wird" (173). Allerdings gilt: "In seiner Urnatur hat Gott keine irgendwie
vor
gegebene Vergangenheit, überhaupt keine 'Vorgabe', ist... nicht-zeitlich... ewig, ohne Ende, ohne Verge-
hen,
ohne Begrenzung" (173). "Die Folgenatur Gottes", aber, "ist Gottes Weltgewandtheit, in der Gott die
Welt
wahrnimmt und heilsam aufnimmt, um sie fürsorglich sich selbst zu schenken" (174). Nach Fabers Ein-
schätzung entschlüsselt Whiteheads Gotteslehre "sich letztlich als Versuch, kritisch gegen metaphysische
Über
fremdungen dem biblischen Gott der Liebe neu Recht zu verschaffen. Gegen onto-theologische Konzepti-
o
nen Gottes als metaphysisches Prinzip, als transzendenten Moralisten oder als Willkürherrscher über die
Welt
setzt Whitehead ausdrücklich auf den 'galiläischen Ursprung des Christentums' mit seinem Gott der Lie-
be...
Gott als Wertprozess stiftet einen sinnerfüllten Prozess universaler Kommunikation - relational, intensiv
und
harmonisch" (174). Des weiteren finden sich hier ausführliche Überlegungen zur Dreifaltigkeit Gottes,
zum poetischen resp. schöpferischen Verhältnis Gottes zur Welt, zu Gnade, Sünde und Erlösung, zur pneu-
matologischen Christologie sowie zur Zukunftshoffnung unf zum Frieden. Dies ist zweifellos das spannend-
ste Kapi
tel des gesamten Buches, welches aufgrund seiner übergroßen Fülle auch nicht annäherend wiederge-
geben
werden kann. Es entwickelt die zentralen dogmatischen Deutungen der Prozesstheologie.

Das sechste
und letzte Kapitel (Grenzgänge) behandelt "Aspekte eines prozesstheologischen Alternativpro-
gramms".
Gemeint sind hiermit jene Perspektiven auf das Verhältnis von Gott und Welt, die durch die Pro-
zesstheologie in besonderem Maße verändert werden. Hierbei prägen drei "zentrale Intuitionen" die "Ver-
wobenheit der Prozesstheologie mit einer Theorie der Welt im Ganzen: Relationalität, Konkreszenz und
Kreativität"
(252). Hierdurch wehre sich das "prozesstheologische(n) Alternativprogramm... gegen den Du-
alismus von Materie und Geist ebenso... wie gegen die Gleichsetzung von struktureller Rationalität und le-
bendem Nexus"
(252). Dies alles ist eine ungeheure Ansammlung von Fremd- bzw. Schlagworten, die nun-
mehr im einzelnen aufgelöst und in ihren genauen theologischen Konsequenzen bedacht werden müssten.
Ein Riesenprogramm, das sich hier auftut, aber sicherlich spannende Konsequenzen zeitigt.

Herbert Frohnhofen, 14. November 2005