In der Einleitung informiert der Autor über die bereits
rund einhundertjährige disparate und vielfältige Ent-
stehungsgeschichte der Prozesstheologie und formuliert abschließend
folgende "theopoetische Kurzformel":
"Prozesstheologie ist Theopoetik, d.h. eine Theologie der Perichorese (der
gegenseitigen Durchdringung von
allem), in welcher das Universum das kreative Abenteuer Gottes darstellt
und Gott das Ereignis kreativer
Transformation der Welt. Im Netz der Verwobenheit - im Prozess - erscheint
Gott als der 'Poet der Welt': ihr
überraschender Schöpfer (der Grund ihrer Neuheit), ihr mitfühlender
Begleiter (der Grund ihrer Verwoben-
heit) und ihr rettender Glanz (der Grund ihrer Harmonie)" (18).
In einem ersten Kapitel (Gestalten) stellt der Autor
die Entstehung und Verzweigung der Prozesstheologie
dar und schlägt vor, Prozesstheologie heute "als ein Unternehmen
zu verstehen, das auf den Intentionen kon-
struktiver und dekonstruktiver Methoden in der Prozesstheologie aufbaut
und zugleich die drei älteren metho-
dischen Ausformungen in den empiristischen, rationalistischen und spekulativen
Prozesstheologien aufnimmt"
(42). Als "rekonstruktive" Theologie solle die Prozesstheologie nunmehr
Gestalt gewinnen, indem (1.) jede
Systembildung aufgebrochen werde, (2.) eine "theologische Weite wieder
sichtbar" werde, die "es erlaubt
der lebendigen Entwicklung Vorrang vor aller Systemstarre zu geben",
sowie (3.) all ihre Vermittlungen und
Versöhnungen "nur im Durchgang durch eine postkonstruktivistische
Relativierung der Vernunft geschehen"
solle (42). Dies sind alles ungeheuer blumige Formulierungen,
deren Bedeutungsgehalt dem Leser zumindest
an dieser Stelle des Buches noch kaum einleuchten kann.
Das zweite Kapitel (Grundlagen) enthält verschiedene
Hintergründe prozesstheologischer Theoriebildung.
Hierbei geht es um neue Deutungen des Zusammenspiels von Materie und Geist,
Einmaligem und Allgemei-
nem, Raum und Zeit, Chaos und Kosmos und andere.
"Den entscheidenden theoretischen
Anstoß zur Entste-
hung der Prozesstheologie", so heißt es hier,
"gab die
'organische Philosophie' A.N. Whiteheads" (44), also
eine neue ökologische Weltsicht alles Lebendigen. Das überkommene
Denkmodell des antagonistischen Ge-
genüberstehens der jeweiligen Elemente der genannten Gegensatzpaare
werde in neueren Sichtweisen über-
wunden und eröffne so die Möglichkeit, das Zusammenspiel beider
neu zu denken.
Wir sehen hier, wie sehr
die Grundlagen der Prozesstheologie in enger
Beziehung stehen zu denjenigen des New Age.
Im dritten Kapitel (Kontakte) diskutiert Faber, wie
"sich Gott in
Whiteheads organisches Denken ein(fügt)...
Wo ist der 'Ort' Gottes im Prozess und worin liegt Gottes Bedeutung für
den Prozess?" (78). Zugeschrieben
wird Gott hier (lediglich) die Funktion der Rettung der Welt.
"Gott
spielt in der organischen Philosophie
nicht eine welt-begründende (onto-theologische) Rolle, sondern
Gott kommt eine welt-versöhnende (soterio-
logische) Bedeutung zu" (78). Dabei erscheint Gott - wie bereits
bei Moltmann und Pannenberg - als Quelle
echter Zukunft, als das selbst zeitlose (ewige) Potential alles in der Zeit
Realisierbaren, als die Ermöglichung
auch jeder Ordnung in der Welt. Gott wird überdies verstanden als
"der
Anfang der Autonomie der Selbst-
Kreativität... jedes Ereignisses und damit die Voraussetzung
seiner Subjektivität" (91) sowie als
"Schöpfer je-
des Sich-Ereignens der Welt" (92/creatio continua). Er verfolgt
selbst keinen Zweck mit dem Weltprozess
und garantiert so die 'Würde' jedes Ereignisses in seiner ästhetischen
Zweckfreiheit (97). Im Personsein des
Menschen
"kumuliert göttliches Involviertsein in (die) Welt"
(101).
Deutlich wird in diesem Kapitel, wie sehr
das Verhältnis Gottes zur Welt tatsächlich
als ein dynamisches gedacht wird, und zwar als ein solches, das
Offenheit in der Entwicklung nicht nur zulässt,
sondern positiv ermöglicht.
Das vierte Kapitel (Horizonte) diskutiert prozesstheologische Zuordnungen
von Gott und Welt. Hierbei wird
von dem Grundsatz ausgegangen,
"dass alles, was nicht in Relation steht,
nicht erkennbar ist; daher wird
Gott prozesstheologisch als 'Gott-in-Relation' verstanden" (114).
Gesprochen wird dabei von einer
"Dipola-
rität Gottes", insofern Gott - wie jedes geschöpfliche
Ereignis -
"in der Spannung von... Geistigkeit und Ma-
terialität" stehe (115). Auch Gott sei
"(in Bezug auf Welt) nicht
abstrakter 'Geist' im Gegensatz zur Materia-
lität der Welt, sondern in seiner Dipolarität mental und
physisch, geistig und 'materiell'". Dipolarität inter-
pretiere
"hier die Leibhaftigkeit jedes Ereignisses und" besage
"somit die Leibhaftigkeit Gottes" (115). Auch
Gott konkretisiere
"sich aus einem Möglichkeitsraum und der Realität
der Welt, aus dem unendlichen Mög-
lichkeitsraum aller möglichen Welten und aus der Wahrnehmung
aller realisierten Welten in ihrem tatsächli-
chen Gewordensein und ihrer Wahrheit" (115). Versucht wird auf
diese Weise, den biblischen
"Horizont ei-
nes leibhaftigen, weltwahrnehmbaren und zeitsensiblen Gottes"
aufzunehmen und zeitgemäß zu interpretieren
(115). Detailliert wird Gottes Verhältnis zur Welt beschrieben in vier
Phasen eines kreativen Prozesses der
Liebe. Zuerst schenkt Gott jedes Ereignis
sich selbst, lässt es dann es selbst werden, nimmt anschließend
das
Gewordene in sich auf, um schließlich neu auf die Welt zuzukommen und
das Gottesreich auf der Erde aus-
zubreiten (145).
Im Ganzen wird hier in diesem Kapitel eine Gott-Welt-Dynamik beschrieben,
die mit den
hier zitierten Bestimmungen auch nicht annähernd
wiedergegeben werden kann und voller theodramatischer
Einsichten steckt.
Im fünften Kapitel
(Zugriffe) erläutert Faber prozesstheologische Blicke auf Gott. Gott
wird hier beschrie-
ben als
"ein Ereignis, für das zunächst dieselbe Prozessstruktur
gilt wie für jeden Weltprozess, nämlich jener
dreifaltige Charakter, durch den seine innere und äußere,
die subjektive wie objektive, die physische wie geis-
tige Komplexität zusammengefasst wird" (173). Allerdings
gilt:
"In seiner Urnatur hat Gott keine irgendwie
vorgegebene Vergangenheit, überhaupt keine 'Vorgabe', ist...
nicht-zeitlich... ewig, ohne Ende, ohne Verge-
hen, ohne Begrenzung" (173).
"Die Folgenatur Gottes", aber,
"ist Gottes Weltgewandtheit, in der Gott die
Welt wahrnimmt und heilsam aufnimmt, um sie fürsorglich sich
selbst zu schenken" (174). Nach Fabers Ein-
schätzung entschlüsselt Whiteheads Gotteslehre
"sich letztlich
als Versuch, kritisch gegen metaphysische
Überfremdungen dem biblischen Gott der Liebe neu Recht zu verschaffen.
Gegen onto-theologische Konzepti-
onen Gottes als metaphysisches Prinzip, als transzendenten Moralisten
oder als Willkürherrscher über die
Welt setzt Whitehead ausdrücklich auf den 'galiläischen
Ursprung des Christentums' mit seinem Gott der Lie-
be... Gott als Wertprozess stiftet einen sinnerfüllten Prozess
universaler Kommunikation - relational, intensiv
und harmonisch" (174). Des weiteren finden sich hier ausführliche
Überlegungen zur Dreifaltigkeit Gottes,
zum poetischen resp. schöpferischen Verhältnis Gottes zur Welt,
zu Gnade, Sünde und Erlösung, zur pneu-
matologischen Christologie sowie zur Zukunftshoffnung unf zum Frieden.
Dies ist zweifellos das spannend-
ste Kapitel des gesamten Buches, welches aufgrund
seiner übergroßen Fülle auch nicht annäherend wiederge-
geben werden kann. Es entwickelt die zentralen
dogmatischen Deutungen der Prozesstheologie.
Das sechste und letzte Kapitel (Grenzgänge)
behandelt
"Aspekte eines prozesstheologischen Alternativpro-
gramms". Gemeint sind hiermit jene Perspektiven auf das Verhältnis
von Gott und Welt, die durch die Pro-
zesstheologie in besonderem Maße verändert werden. Hierbei
prägen drei
"zentrale Intuitionen" die
"Ver-
wobenheit der Prozesstheologie mit einer Theorie der Welt im Ganzen: Relationalität,
Konkreszenz und
Kreativität" (252). Hierdurch wehre sich das
"prozesstheologische(n)
Alternativprogramm... gegen den Du-
alismus von Materie und Geist ebenso... wie gegen die Gleichsetzung von
struktureller Rationalität und le-
bendem Nexus" (252).
Dies alles ist eine ungeheure
Ansammlung von Fremd- bzw. Schlagworten, die nun-
mehr im einzelnen aufgelöst und in ihren genauen theologischen Konsequenzen
bedacht werden müssten.
Ein Riesenprogramm, das sich hier
auftut, aber sicherlich spannende Konsequenzen zeitigt.
Herbert Frohnhofen, 14. November 2005