Theologie-Systematisch
Gotteslehre
§ 13. Allwissen/Vorauswissen Gottes
Texte

„Die Rede vom ‚Wissen Gottes‘ bedeutet also, daß nichts ihm entgeht in seiner ganzen
Schöpfung. Alles ist ihm gegenwärtig und wird von ihm in seiner Gegenwart festgehal-
ten. Solches Gegenwärtighalten ist nicht notwendigerweise ein Wissen im Sinne unseres
menschlichen Bewußtseins und Wissens. Wohl aber läßt sich umgekehrt sagen, daß auch
wir uns durch unser Wissen das Gewußte gegenwärtig sein lassen. Dabei werden sofort
die engen Schranken deutlich, die solchem Gegenwärtighalten beim Menschen gesetzt
sind. Es ist weitgehend gebunden an Gedächtnis und Erwartung, also eher ein Ersatz für
die wirkliche Gegenwart des Gewußten bei uns. Aber auch das der Wahrnehmung Gegen-
wärtige bleibt uns in seinem Wesen mehr oder weniger verborgen. Unsere Erfahrung von
Bewußtsein und Wissen vermag also nur eine schwache Andeutung davon zu geben, was
gemeint ist, wenn vom ‚Wissen Gottes‘ gesprochen wird.“


(W. Pannenberg, Systematische Theologie I, Göttingen 1988, 411)

"Die verbleibende und sicher schwierigste Frage, ob nun Gottes Allwissenheit nicht
doch auch - was ich ja schon mehrfach bestritten habe - sein Vorherwissen der mensch-
lichen Freiheitsakte einschließe - sie weist dann endgültig auf die grundlegende Frage
nach der Verhältnis der Ewigkeit Gottes zur Zeit. Denn so wenig die Parteien des klassi-
schen Gnadenstreits die Freiheit und das Vorausgewußtsein jedes (tatsächlichen oder be-
dingt-künftigen) freien Geschehens zu vereinbaren wußten, so wenig wäre doch auch für
die menschliche Freiheit schon mit dem bloßen Rekurs auf Gottes Gleichzeitigkeit zu al-
len Zeiten gewonnen. Und so sehe ich wie schon andere keinen besseren Weg, als die
Perspektive Karl Barths aufzunehmen, der die uralte bloße Entgegensetzung der Ewig-
keit zur Zeit energisch revidierte und auch über Boethius noch hinausging, indem er un-
sere Gegenwart als Voranschreiten 'vom Gewesenen zum Zukünftigen', auf den ewigen
Gott hin beschrieb und von Gott selbst als 'der Quelle, dem Inbegriff und Grund aller
Zeit' sprach (KD III/2, 639f). Dies würde bedeuten, die Zeit, in der wir leben, als uns zu-
kommende, unser Dasein als je neu empfangenes zu verstehen und Gott selbst, der 'kei-
ne Zukunft außer sich hat', als den Ewigen, der 'die Zukunft seiner selbst und alles von
ihm Verschiedenen' ist: als vollkommene Freiheit 'Ursprung seiner selbst und seiner Ge-
schöpfe'. Nur so scheint es mir denkbar, daß Gott alle gestifteten Zeiten umgreift, um je-
des Wirkliche und Mögliche weiß, sogar das Vergangene bei sich bewahrt und doch eben-
so, wie er selbst in der Ursprünglichkeit seiner Freiheit unangetastet bleibt, auch die Akte
der menschlichen Freiheit, die der noch nicht gegründeten Zeit angehören, von ihm nicht
vorher gewußt und schon festgelegt, sondern ihres eigenen Ursprungs sind“

(Th. Pröpper, Theologische Anthropologie I, Freiburg 2. Aufl. 2012, 609)