Der erste Beitrag behandelt das Böse in der
JÜDISCHEN Tradition. In gewohnt akribischer Weise geht der an der Hochschule
für Jüdische Studien in Heidelberg
lehrende DANIEL KROCHMALNIK auf den Beginn des Pentateuch, die Kapitel 1
bis 11
des Buches Genesis, ein und interpretiert diese
unter Einbeziehung vieler einflußreicher Stimmen aus der jüdischen
Tradtion.
Der Mensch wird dabei als derjenige erkennbar
, der "mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das ihm gebotene
Maß moralisch, politisch, technisch, biologisch, kulturell überschreitet. Dabeileidet er nicht etwa
an einer unheilbaren Erbkrank-
heit, an einer von Generation zu generation übertragbaren Geschlechtskrankheit oder dgl.mehr, sondern er ist
schlicht ein un- belehrbarer Wiederholungstäter, Ja die Bibel ist so
weit entfernt, ihn aus seiner Verantwortung
zu entlassen,dass sie alle meta- physischen und physischen Übel dieser
Welt auf sein moralisches Übel zurückführt"
(28). Dass die Frau in der jüdischen und christlichen Tradition
oftmals für das Böse allein oder doch vorrangig verantwortlich
gemacht worden ist, hat nach dem Au-
tor keinerlei berechtigten Anknüpfungspunkt im biblischen Text, sondern
es gilt im Gegenteil: "Das Ideal des
Menschen ist...
nicht wie bei den platonischenPhilosophen der einsame Mann, der erfolgreich
seine weibliche, sinnliche Seite unterdrückt,
sondern nur Mann und Frau zusammen;der einsame Mann ist... ein halber Mensch
- und kein Gottesbild" (40f). Die den Men-
schen verführende Schlange schließlich steht als Bild für
"dieintimsten Wünsche des Menschen... und konnte so zum Sinnbild
seines bösen Triebes werden"
(42).
Der zweite, über das Böse in der CHRISTLICHEN
Tradition handelnde, Beitrag stammt von HERMANN HÄRING. Am Be-
ginn seines Beitrags steht das heute ebenso
verbreitete wie undurchdachte Bekenntnis, dass es "keinen Anspruch auf
de-
finitive Wahrheit" gebe (64).
Dieses Bekenntnis freilich wird mit dem Anspruch darauf, Wahrheit zu formulieren,
vorgetra-
gen, - oder ist es etwa eine vom Autor selbst
nicht ernst genommene überflüssige Meinung? Unklar bleibt überdies,
was
"Wahrheit" von "definitiver Wahrheit" unterscheidet,
- oder ist °definitiv" hier nur ein überflüssiges Füllwort?
- Als Böses
definiert der Autor danach "zunächst alles, was bestehenden Dingen oder lebenden Wesen schadet, ihnen Unheil zufügt,
auf
die Dauer ihre Zerstörung bedeutet und von Betroffenen deshalb
abgelehnt und zurückgewiesen, eventuell verflucht
wird" (66). Demnach freilich sind auch Attentate gegen menschenverachtend
handelnde Diktatoren etwas Böses; ob dies
im Sinne des Au-
tors ist? Christlicher Umgang mit dem Bösen wird sodann in zutreffender
Weise im Ausgang vom Leben Jesu als ein Leben erläutert,
das "dem Bösen prinzipiell entgegentritt, ohne sich in Gegenreaktion
ins Böse verstricken zu lassen"
(69). Der christ-
liche Glaube unterscheide "sich von anderen Religionendadurch, dass am
Beginn seiner Geschichte kein erfolgreicher,
sondern
ein scheiternder Prophet steht" (74).
Im dritten Beitrag behandelt REINHARD SCHULZE das
Böse in der ISLAMISCHEN Tradition. Er betont zunächst, dass das
Böse in der islamischen Tradition immer
Tat eines Einzelnen bleibe (131). Das Bewußtsein um kollektive
Verstrickungen in
böse Handlungen sei hier nicht ausgeprägt.
Vor dem Hintergrund einer ricoeur'schen Unterscheidung von theogonisch-,
tra-
gisch- sowie adamitisch-mythischen Erklärungen
des Bösen tritt in der islamischen Religionsgeschichte der die Entstehung
des Bösen mit dem Ursprung des Menschen
verknüpfende adamitische Mythos in den Vordergrund (134f). "Das
Böse existiert
dabei stets als Handlungsqualität und nicht als autonome Kategorie, die durchHandlungen oder
Einstellungen geäußert werden kann" (135). Weder wird aber die Welt selbst durch das böse Handeln des Menschen beeinträchtigt
noch findet eine wirkliche Personalisierung des Bösen in der koranischen Offenbarung statt (141). Der Mensch ist "im Guten" geboren.
"Das Böse tritt
so nur als Deviation auf, als ein Versuch des Menschen, vom göttlichen Schöpfungsplan und damit von seiner
ihm ureigenen religiösen Identität durch Selbstfrevel abzuweichen.
Menschen, die sich dieser Identität
nicht (mehr) bewusst sind, sind entwe-
der 'Toren' oder,wenn sie sie bewusst verleugnen, 'Ungläubige'"
(145). Eine Prädestination zu Gutem oder Bösem
gibt es für
den Menschen nicht. Zumindest in der frühen Lehre gilt der Satz: "Der Mensch entscheidet selbst, ob er sündigt oder
sich an
die Weisung Gottes halten möchte" (151).
Der Autor des vierten Beitrags über das Böse
in der HINDUISTISCHEN Tradition ist AXEL MICHAELS. Hier bedeutet das
Böse "im Wesentlichen die Verletzung
einer kosmischen, religiösen, rituellen, sozialen oder natürlichen
Ordnung, die von Göt-
tern, Dämonen, Menschen oderdurch
das Schicksal (Zeit, Sterne etc.) herbeigeführt wurde" (201). Als Ursachen des Bösen
kommen - wegen der Wiedergeburtslehre - sowohl
die bösen Taten in Frage, die wir in einem früheren Leben begangen
ha-
ben, als auch diejenigen, die wir aus freien
Stücken jetzt tun. "Besonders bezeichnend für den Hinduismus
ist aber auch, dass
das Böse... ein Teil der Götter sein kann" (209). Aus diesem Grunde ist es auch möglich, dass
"die Götter erst das Böse des Menschen schaffen, indem sie das
eigene Übel auf sie abladen"
(210). Die Götter werden dann gut, weil die Menschen böse
sind; d.h. die Menschen verhelfen durch ihre Bosheit den Göttern dazu, gut zu sein. Auch hierdurch wird das Böse
"für den Menschen bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar,weil
es durch Götter bzw. Dämonen
(oder Geister) immer wieder neu geschaffen wird" (212). Diie Befreiung vom Bösen geschieht im wesentlichen durch Sündenbekenntnis, Nahrungsrestriktion
(Diät oder Fasten), rituelle Waschungen, Vedarezitation und Askese (235).
Der vom Herausgeber des Bandes, dem emeritierten
Professor für Japanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität
Mün-
chen JOHANNES LAUBE, verfaßte fünfte
und letzte Abschnitt behandelt das Böse in der BUDDHISTISCHEN Tradition,
und zwar aufgrund seiner bisherigen Zurücksetzung
sowie der spezifischen Kenntnisse des Autors in derjenigen des Mahaya-
na- Buddhismus (265). Als Böses wird dabei
all das begriffen, "was der Erlangung des buddhistischen Heils hinderlich
im
Wege steht, d.h. die volkommene Weisheit/Freiheit
nicht zum Durchbruchkommen lässt" (273).
Auslöser für solcherart Böses
sind: (1) die blinden Leidenschaften, (2) das
negative Karma, sowie (3) die Vergeltung für frühere Taten (281).
Da nun die Meditation dazu angetan ist, all diesen Ursachen und damit dem Bösen selbst entgegenzuwirken, ist es
bereits böse, die Me-
ditation nicht zu praktizieren und damit den Weg der Vollkommenheit nicht zu gehen bzw. zu suchen (310). Die
Erleuch-
tung selbst schließlich ist das "Nicht-Tun des Bösen" (317).
Im ganzen gibt das Buch einen guten Zugang zu den
sehr unterschiedlichen Sichtweisen des Bösen in den verschiedenen Weltreligionen. Um die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Positionen
noch zu erhöhen und damit auch die Verwendbar-
keit für das interreligiöse Gespräch
noch zu verbessern, wäre es hilfreich gewesen, den Autoren gleichartige
Vorgaben zur Gliederung ihrer Beiträge zu machen sowie dann auch ein vergleichendes bzw. systematisierendes
Resumee des Heraus-
gebers beizufügen.
Herbert Frohnhofen, 16. November 2003