J. LAUBE (Hg.), Das Böse in den Weltreligionen, Darmstadt 2003;

Anliegen dieses Buches ist nicht etwa eine "Verbrechensgeschichte" im Kontext der Weltreligionen, sondern die Darstellung
ihrer Auffassungen zum Bösen; darauf weist der Herausgeber, emeritierter Professor für Japanologie an der Ludwig-Maxi- milians-Universität München, einleitend ausdrücklich hin (9). Die insgesamt fünf Beiträge behandeln dann die Sichtweisen
des Bösen der hier aufgrund ihrer faktischen
globalen Verbreitung sogenannten Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Die Vielfalt dessen, was grundsätzlich zum "Bösen" gerechnet werden kann, wird vom Heraus-
geber in seiner großen Spannweite lediglich angedeutet (malum meta
physicum, physicum, cosmicum, morale, sociale, theolo-
gicum, protologicum, eschatologicum/11); was dann tatsächlich zum "Bösen" gerech
net wird und wie es jeweils gedeutet wird,
soll in den einzelnen Beiträgen zur Sprache kommen.

Der erste Beitrag behandelt das Böse in der JÜDISCHEN Tradition. In gewohnt akribischer Weise geht der an der Hochschule
für Jüdi
sche Studien in Heidelberg lehrende DANIEL KROCHMALNIK auf den Beginn des Pentateuch, die Kapitel 1 bis 11
des Buches Genesis,
ein und interpretiert diese unter Einbeziehung vieler einflußreicher Stimmen aus der jüdischen Tradtion.
Der Mensch wird dabei als derje
nige erkennbar , der "mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das ihm gebotene Maß moralisch, politisch, technisch, biologisch, kulturell überschreitet. Dabeileidet er nicht etwa an einer unheilbaren Erbkrank-
heit, an einer von Generation zu generation übertrag
baren Geschlechtskrankheit oder dgl.mehr, sondern er ist schlicht ein un- belehrbarer Wiederholungstäter, Ja die Bibel ist so weit entfernt, ihn aus seiner Verantwortung zu entlassen,dass sie alle meta- physischen und physischen Übel dieser Welt auf sein moralisches Übel zurückführt" (28). Dass die Frau in der jüdischen und christlichen Tradition oftmals für das Böse allein oder doch vorrangig verantwortlich gemacht worden ist, hat nach dem Au-
tor keinerlei berechtigten Anknüpfungspunkt im biblischen Text, sondern es gilt im Gegenteil: "Das Ide
al des Menschen ist...
nicht wie bei den platonischenPhilosophen der einsame Mann, der erfolgreich seine weibliche, sinnliche Seite unter
drückt,
sondern nur Mann und Frau zusammen;der einsame Mann ist... ein halber Mensch - und kein Gottesbild"
(40f). Die den Men-
schen verführende Schlange schließlich steht als Bild für "dieintimsten Wünsche des Menschen... und konnte so zum Sinnbild
seines bösen
Triebes werden" (42).

Der zweite, über das Böse in der CHRISTLICHEN Tradition handelnde, Beitrag stammt von HERMANN HÄRING. Am Be-
ginn seines
Beitrags steht das heute ebenso verbreitete wie undurchdachte Bekenntnis, dass es "keinen Anspruch auf de-
finitive Wahrheit"
gebe (64). Dieses Bekenntnis freilich wird mit dem Anspruch darauf, Wahrheit zu formulieren, vorgetra-
gen, - oder ist es etwa eine vom
Autor selbst nicht ernst genommene überflüssige Meinung? Unklar bleibt überdies, was
"Wahrheit" von "definitiver Wahrheit" unter
scheidet, - oder ist °definitiv" hier nur ein überflüssiges Füllwort? - Als Böses
definiert der Autor danach "zunächst alles, was bestehen
den Dingen oder lebenden Wesen schadet, ihnen Unheil zufügt, auf
die Dauer ihre Zerstörung bedeutet und von Betroffenen deshalb
abgelehnt und zurückgewiesen, eventuell verflucht wird" (66). Demnach freilich sind auch Attentate gegen menschenverachtend handelnde Diktatoren etwas Böses; ob dies im Sinne des Au-
tors ist? Christlicher Umgang mit dem Bösen wird sodann in zutreffender
Weise im Ausgang vom Leben Jesu als ein Leben erläutert, das "dem Bösen prinzipiell entgegentritt, ohne sich in Gegenreaktion ins Böse verstricken zu lassen" (69). Der christ-
liche Glaube unterscheide "sich von anderen Religionendadurch, dass am Beginn seiner
Geschichte kein erfolgreicher, sondern
ein scheiternder Prophet steht"
(74).

Im dritten Beitrag behandelt REINHARD SCHULZE das Böse in der ISLAMISCHEN Tradition. Er betont zunächst, dass das
Böse
in der islamischen Tradition immer Tat eines Einzelnen bleibe (131). Das Bewußtsein um kollektive Verstrickungen in
böse Handlun
gen sei hier nicht ausgeprägt. Vor dem Hintergrund einer ricoeur'schen Unterscheidung von theogonisch-, tra-
gisch- sowie adamitisch-
mythischen Erklärungen des Bösen tritt in der islamischen Religionsgeschichte der die Entstehung des Bösen mit dem Ursprung des Menschen verknüpfende adamitische Mythos in den Vordergrund (134f). "Das Böse existiert
dabei stets als Handlungsqualität und
nicht als autonome Kategorie, die durchHandlungen oder Einstellungen geäußert werden kann" (135). Weder wird aber die Welt selbst durch das böse Handeln des Menschen beeinträchtigt noch findet eine wirkliche Personalisierung des Bösen in der koranischen Offenbarung statt (141). Der Mensch ist "im Guten" geboren. "Das Böse tritt
so nur als Deviation auf, als ein Versuch des Menschen,
vom göttlichen Schöpfungsplan und damit von seiner ihm ureigenen religiösen Identität durch Selbstfrevel abzuweichen. Menschen, die sich dieser Identität nicht (mehr) bewusst sind, sind entwe-
der 'Toren' oder,wenn sie sie bewusst verleugnen, 'Ungläubige'"
(145). Eine Prädestination zu Gutem oder Bösem gibt es für
den Menschen nicht. Zumindest in der frühen Lehre gilt der Satz:
"Der Mensch entscheidet selbst, ob er sündigt oder sich an
die Weisung Gottes halten möchte"
(151).

Der Autor des vierten Beitrags über das Böse in der HINDUISTISCHEN Tradition ist AXEL MICHAELS. Hier bedeutet das
Böse
"im Wesentlichen die Verletzung einer kosmischen, religiösen, rituellen, sozialen oder natürlichen Ordnung, die von Göt-
tern, Dämo
nen, Menschen oderdurch das Schicksal (Zeit, Sterne etc.) herbeigeführt wurde" (201). Als Ursachen des Bösen
kommen - wegen
der Wiedergeburtslehre - sowohl die bösen Taten in Frage, die wir in einem früheren Leben begangen ha-
ben, als auch diejenigen, die wir
aus freien Stücken jetzt tun. "Besonders bezeichnend für den Hinduismus ist aber auch, dass
das Böse... ein Teil der Götter sein kann"
(209). Aus diesem Grunde ist es auch möglich, dass "die Götter erst das Böse des Menschen schaffen, indem sie das eigene Übel auf sie abladen" (210). Die Götter werden dann gut, weil die Menschen böse
sind; d.h. die Menschen verhelfen durch ihre Bosheit den Göttern
dazu, gut zu sein. Auch hierdurch wird das Böse "für den Menschen bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar,weil es durch Götter bzw. Dämonen (oder Geister) immer wieder neu geschaffen wird" (212). Diie Befreiung vom Bösen geschieht im wesentlichen durch Sündenbekenntnis, Nahrungsrestriktion
(Diät oder Fasten), rituelle Waschungen, Vedarezitation und Askese (235).

Der vom Herausgeber des Bandes, dem emeritierten Professor für Japanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität Mün-
chen JO
HANNES LAUBE, verfaßte fünfte und letzte Abschnitt behandelt das Böse in der BUDDHISTISCHEN Tradition,
und zwar aufgrund
seiner bisherigen Zurücksetzung sowie der spezifischen Kenntnisse des Autors in derjenigen des Mahaya-
na- Buddhismus (265). Als
Böses wird dabei all das begriffen, "was der Erlangung des buddhistischen Heils hinderlich im
Wege steht, d.h. die volkommene
Weisheit/Freiheit nicht zum Durchbruchkommen lässt" (273). Auslöser für solcherart Böses
sind: (1) die blinden Leidenschaften,
(2) das negative Karma, sowie (3) die Vergeltung für frühere Taten (281). Da nun die Meditation dazu angetan ist, all diesen Ursachen und damit dem Bösen selbst entgegenzuwirken, ist es bereits böse, die Me-
ditation nicht zu praktizieren
und damit den Weg der
Vollkommenheit nicht zu gehen bzw. zu suchen (310). Die Erleuch-
tung selbst schließlich ist das "Nicht-Tun des Bösen" (317).

Im ganzen gibt das Buch einen guten Zugang zu den sehr unterschiedlichen Sichtweisen des Bösen in den verschiedenen Weltreligionen. Um die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Positionen noch zu erhöhen und damit auch die Verwendbar-
keit für das interreligiöse
Gespräch noch zu verbessern, wäre es hilfreich gewesen, den Autoren gleichartige Vorgaben zur Gliederung ihrer Beiträge zu machen sowie dann auch ein vergleichendes bzw. systematisierendes Resumee des Heraus-
gebers beizufügen.
 

Herbert Frohnhofen, 16. November 2003