Michael Böhnke u.a. (Hgg.), Freiheit Gottes und der Menschen.
Festschrift für Thomas Pröpper, Regensburg 2006;

Diese - mit über 500 Seiten - recht umfangreiche Festschrift, kreist thematisch um das Phänomen der Frei-
heit, jener Thematik also, die der Jubilar - emeritierter systematischer Theologe an der Universität Münster
- Zeit seines bisherigen theologischen Denkens in den Mittelpunkt seiner Forschungen gestellt hat. Dabei
ist - so die Herausgeber im Vorwort - sein Denken "getragen von der Überzeugung, dass die Wahrheit die-
ser Freiheit er
schienen ist, dass sie als Güte offenbar wurde. Der glaubenden Erkenntnis, dass Gott in sei-
ner Liebe Freiheit
schenkt und erfüllen will, wird der Zusammenhang von Freiheit und Wahrheit offenbar:
Die liebende Freilas
sung der Menschen durch Gott ist die Wahrheit des Menschseins. Und in der Zustim-
mung zu dieser Wahrheit
findet die Freiheit der Menschen ihr Ziel" (5). Theologisch geht es darum, mensch-
liche Freiheit und göttliche Gnade miteinander zu versöhnen, aufzuzeigen, dass beides sich nicht widerspre-
chen muss, sondern wie beides ineinander greift. Auf diese Weise steht Pröppers Werk "für eine radikale
Aussöhnung der Dogmatik mit der
neuzeitlichen Wende zum Subjekt und zugleich für eine radikale Treue
zum christlichen Credo"
(Menke/6). Wichtig ist in der aktuellen Situation einer immer weiter ausgreifenden
Evaluiierung des gesamten Hochschulbereiches unter rein quantitativen und überdies merkantilen Gesichts-
punkten auch der Hinweis der Herausgeber darauf, dass in Bezug auf Thomas Pröpper "gerade seine präg-
nante Konzentration ein Grund seiner Wirk
samkeit" ist (6). Im Folgenden werden einzelne der 25 Beiträge
exemplarisch vorgestellt.

JÜRGEN WERBICK geht in seinem Beitrag "Zur Freiheit hat uns Christus befreit" (Gal 5,1) von Martin
 Luther und seiner Schrift "De servo arbitrio" aus und zeigt auf, wie sehr hier die Freiheit Gottes in den Mit-
telpunkt gestellt wird - und zwar so, "dass für den freien Willen der Menschen um des Heils des Menschen
 
willen kein Raum bleiben darf" (43). Dagegen hält W., dass das biblische Zeugnis eine solche Position
kaum deckt, sondern eher eine Beziehungsgeschichte zwischen Gott und den Menschen entfaltet, in wel-
cher "JHWH um sein Volk wirbt, dass Er 'mit ihm geht' und ihm so Zeit gibt, Seinen guten Willen kennen
zu lernen, sich
in Seinen Weg - in Seiner Spur einzufinden" (43). Mit Augustinus weist W. darauf hin, dass
die Sünde den Menschen unfähig macht, das Gute zu tun, ja "sie verhindert zuvor schon, vom Guten ange-
sprochen und her
ausgefordert zu werden" (45). Wie der Heilige Geist, der den Menschen zum Guten lok-
ken will, schaffen die "Aber-Geister" eine Geneigtheit des Menschen zum Bösen, der der Mensch sich
nicht einfach entziehen kann. So ist das Wollen des Menschen - mindestens nach Luther - ein nur beding-
tes Wollen, das von seiner inneren Geneigtheit (zum Guten oder Bösen) abhängt. Und doch - so die Posi-
tion eines modernen Kompatibilismus - versteht der Mensch sich selbst als frei, insoweit er im Geflecht der
ihn bestimmenden Wünsche und Geneigtheiten Entscheidungen trifft, für die er sich durchaus verantwort-
lich hält. Freiheit und Determinismus stehen damit nicht einander diametral gegenüber, sondern greifen in-
einander: "man kann offenbar nicht einen archimedischen Punkt identifizieren, von dem her das Entschei-
den seine Kraft bezieht, sich hinfort von guten Grün
den - von 'rationaler' Überlegung - und nicht nur von
undurchschauten Motiven bestimmen zu lassen"
(50). So wird die Freiheit für Pröpper im Anschluss an
Hermann Krings zur transzendentalen, zu etwas, das im Subjektsein des Menschen grundgelegt ist, "in der
reflexiven Struktur des Selbstbewusstseins. In ihr ist der Mensch
so mit sich identifiziert, dass er sich mit
sich identifiziert; in ihr gründet also auch jene formale Unbedingheit
der Freiheit, die sich material gewiss
immer nur bedingt (symbolisch) realisieren kann"
(55). Es bleibt aber die Frage offen, wie es dem Men-
schen gelingt, den Anfang aus seinem Gebundensein an die Sünde zu machen, "sich zugunsten des Gesoll-
ten vom bloß Gewollten zu distanzieren"
(59). Aus theologischer Sicht, so W., hat die Bestimmung eines
"gehaltvollen Freiheitsbegriffs" von dem Drang zur Selbstbehauptung und Selbstbejahung einerseits wie
von der - um über die eigene endliche Subjektivität hinauszugehen notwendige - Würdigung des Anderen
auszugehen. Das hierdurch sich ergebende "Gesollte als zugleich Gewolltes frei bejahen zu können und
 
darin erst das wirklich in jeder Hinsicht Bejahbare bejahen zum können", würde dann die wahre Freiheit
bedeuten (66). Diese ist gegeben, "wenn sie gefunden hat, wozu sie schlechthin und in jeder Hinsicht Ja
sagen kann"
(67).

PETER HÜNERMANN geht in seinem Beitrag "Gottes Handeln in der Geschichte" von der Tatsache
aus, dass in den Texten des II. Vatikanischen Konzils sehr häufig auf veränderte Zeitläufte verwiesen wird,
auf die das Konzil reagieren will, um "die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten
unseres
Zeitalters besser anzupassen" (SC 1/109). Dabei wird ein Handeln Gottes in der Geschichte voraus-
gesetzt und dargelegt, "ein Dialog zwischen der Kirche, die in Zeit und Raum auf ihrer Pilgerschaft ist, und
Gott selbst"
(111). Während nun in der dogmatischen Konstitution Dei Filius des I. Vatikanischen Konzils
ein "übernatürliches" Eingreifen Gottes in die Geschichte durch Wunder und Weissagungen gelehrt wurde,
gehen viele Menschen heute überhaupt nicht mehr von einem Handeln Gottes in der Geschichte aus. Wie ist
vor diesem Hintergrund heute vom Handeln Gottes in der Geschichte zu sprechen? Die Zeit ist es - so H. -,
die für die Selbstinterpretation des Menschen und seines Lebens grundlegende Bedeutung hat. Und da der
Mensch sich selbst auslegt in die Zukunft hinein, in der er seinem Leben Sinn und Wahrheit geben will,
wird die Welt, werden die Anderen ihm zum Begegnenden, an dem er sein Leben vollzieht. Erst der Blick
des Glaubens nun, der "die Wirklichkeit der Welt als Schöpfung Gottes und ihre(r) Geschichte als Weg, der
von Gott zum Heil gelenkt wird"
(121) interpretiert, ermöglicht es dem Menschen, ein Handeln Gottes in
der Geschichte wahrzunehmen. Dieses freilich ereignet sich nicht in Konkurrenz zum Handeln der Men-
schen oder zu den "natürlichen" Abläufen in der Welt, sondern es wird für den gläubigen Menschen als
solches Geschehen erlebbar, das in je neuer Weise Teil jener Heilsgeschichte ist, die biblisch verheißen und
von Jesus Christus und der Kirche bis heute verkündet wird. Die "Zeichen der Zeit" sind dabei "jene Phä-
nomene, die durch ihre Allgemeinheit und ihre große Häu
figkeit eine Epoche charakterisieren und durch
welche sich die Nöte und die Wünsche... der gegenwärtigen Mensch
heit ausdrücken" (126). Die Christen
und die Kirche sind deshalb "gefordert, sich solchen Merkmalen der Zeit in einer besonderen Weise zuzu-
wenden und sie im Licht des Evangeliums auszulegen"
(127), damit gerade angesichts dieser Merkmale auf
das heilshafte Handeln Gottes in der Geschichte verwiesen wird. Theologie wird vor diesem Hintergrund
zur Interpretation der Zeit, und zwar zu einer Interpretation der jeweiligen Zeit aus der Perspektive des zu
verkündigenden Heiles Gottes.

GEORG ESSEN kommt in seinem Beitrag "Im Glauben liegt ein böses Prinzip" auf die Feuerbachsche
Christentumskritik zurück und erbringt den Nachweis, dass auch diese bereits von der Idee infiziert war,
der christliche Glaube führe den Menschen zur Gewalttätigkeit. Religion nämlich "verfestigt Feuerbach
zufolge den Ge
gensatz zwischen Individuum und Gattung, und sie tut dies auf unheilvolle Weise. Alles
käme ja darauf an
, dass das einzelne Individuum den Egoismus überwinde und sich als Gattungswesen
begreife. Das aber setzt voraus,
dass er seine Besonderheit gegenüber der Gattung aufgeben würde" (257).
So lange nun aber der Mensch als Individuum die eigentlich der Gattung eigene Unendlichkeit auf einen
von Mensch und Welt unterschiedenen Gott projiziere, verfehle der Mensch seine Wesensbestimmung.
Überdies assimiliere sich der Glaube nur die Gläubigen, wende sich aber gegen die Ungläubigen; im
Glauben liege deshalb ein "böses Prinzip" (259). Essen betont vor diesem Hintergrund, dass die grund-
sätzliche Auseinandersetzung mit dieser Religionskritik "auf dem Felde der Anthropologie zu erfolgen
(habe) und zwar in der Instanz der Philosophie"
(262), formuliert dann aber doch 12 Thesen als Anmer-
kungen zu den Vorwürfen Feuerbachs. Hierin situiert er die Lehren Feuerbachs im Kontext aktueller De-
batten um die Gewaltträchtigkeit des Monotheismus und hält dagegen, dass alles darauf ankomme, wie
der monotheistisch verehrte Gott jeweils geglaubt werde. Denn: "Nur wenn Gott... in sich die ursprüng-
liche und vollkommene Liebe ist, kann ein Weltverhältnis Gottes gedacht werden, das selbst
den Schat-
ten drohender Gewalt nicht kennt"
(272). Weil nämlich in der durch Liebe bestimmten Allmacht Gottes
die jeder endlichen Macht überlegene Freiheit beschlossen liegt, andere Freiheit neben sich da sein lassen
zu können und diese selbst unbedingt anzuerkennen, sei im übrigen auch das Zerrbild einer nicht durch
die Liebe gebundenen Allmacht Gottes überwunden, das Feuerbach so scharf herausstellt.

Eine komplette christliche Schöpfungslehre skizziert HANS KESSLER in seinem Beitrag "Zu Anschluss-
higkeit und zum Überschuss schöpfungstheologischer Aussagen". Im Ausgang von einem kurzen
Blick auf die zum Teil singulär für den Schöpfergott verwendete Sprache der Bibel erwähnt K. nur kurz
die reichlich primitiven Weltentstehungstheorien der Kreationisten - heute oft in der Version des "Intelli-
gent design"
- und atheistischen Materialisten. Den aktuell recht zahlreichen - und oft recht aggressiv ih-
re Position vertretenen - Repräsentanten aus beiden Gruppen fällt trotz vielfältiger Hinweise bis heute of-
fenbar nicht auf, dass sie die biblischen Schöpfungstexte kategorienverwechselnd als Weltentstehungsbe-
richte verstehen und nicht - wie es die professionelle Exegese seit Jahrzehnten als sachgemäß empfiehlt -
als Schöpfungsmythen, mit Hilfe derer nicht etwas über das "Was" der Weltentstehung gesagt werden soll,
sondern über das "Warum". Mit der Rede von einer "Schichtentheorie der Wirklichkeit" (307) macht K. in
diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die "Wirklichkeit des Weltganzen... multidimensional und
... multiperspektivisch"
ist, so dass sie deshalb auch nur auf eine multidimensionale und multiperspektivi-
sche Weise angemessen zu erfassen ist; Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie (und vieles andere)
bieten deshalb komplementäre Zugänge zur Wirklichkeit und nicht miteinander kokurrierende, wie es im
primitiven, eindimensionalen Denken oft dargestellt wird. Der christliche Schöpfungsglaube bietet in die-
sem Konzert eine "existentielle Teilnehmer-Perspektive" (314), dessen wesentliche Ingredienzen sind: (1)
der gesamte kosmische Prozess geschieht in Gott, (2) der Kosmos und die Geschöpfe sind ins Eigene frei-
gegeben und bejaht, sowie (3) in allem Geschaffenen ist Gott - auf unterschiedliche Weise. Im übrigen ent-
hält das christliche Schöpfungsverständnis Aussagen sowohl zur (1) UrSchöpfung oder absoluten Begrün-
dung von Sein/Welt, zum (2) andauernden relativen Schöpferwirken Gottes sowie schließlich (3) zur radi-
kalen Neu-Schöpfung, d.h. zur Erlösung und Vollendung der Welt. Eins ist jedenfalls klar nach der Lektü-
re dieses Beitrags: Es gibt wohl kaum eine andere Veröffentlichung in deutscher Sprache - wenn nicht von
Kessler selbst -, die in dieser Prägnanz und Klarheit die wesentlichen Elemente christlicher Schöpfungsleh-
re exakt benennt und leicht verständlich erläutert sowie gleichzeitig von den grassierenden Primitivtheorien
der Gegenwart überzeugend abhebt.

Unter der Überschrift "Die Akademische Freiheit" gibt ARNOLD ANGENENDT im wesentlichen einen
Überblick über den Umgang mit Häresie und Häretikern in der Kirchengeschichte, mit einem Seitenblick
auf das einschlägige Verhalten des Islam und des Judentums im Mittelalter. Hierbei steht die Rolle der Uni-
versität besonders im Fokus. Diese nämlich, wie sie sich seit dem 12. Jahrhundert im kirchlichen Kontext in
Europa entwickelt hat, gewann mit ihren Idealen der "intellektuellen Redlichkeit, umfassendem Wissen und
gedanklicher
Klarheit" (475), Leistungen und Abschlüssen in der gesamten Welt universale Bedeutung.
Dies hatte wesentlich zur Ursache, dass das Christentum es bereits sehr früh unternommen hatte, "seine
Botschaft nicht nur als
'göttliche Wahrheit' zu verkünden, sondern zugleich als 'logische Philosophie' zu
interpretieren; es sollte an
Einsicht appelliert und somit die antike Spaltung zwischen gewohnheitsmäßi-
ger Religionspraxis und offenkun
digem Verstandesanspruch überwunden werden" (477). Häretiker-Ver-
urteilungen, so A., sind im nachantiken Westen "noch bis zur Jahrtausendwende Ausnahmen geblieben,
und eine Hinrichtung geschah vor 1000 über
haupt nur einmal, nämlich 385 am Kaiserhof zu Trier" (479).
Diese betraf den kirchlich verurteilten Priscillian aus Spanien und geschah trotz erheblichen Protestes ver-
schiedener einflussreicher Personen der Kirche, einschließlich des Papstes. Im Mittelalter gibt es nur weni-
ge Häresie-Verfahren gegen Theologen bzw. ihre Lehren. "Viel gravierender waren... die Massen-Häresi-
en der Katharer, Waldenser und Franziskaner-Spiritualen,
wo dann auch in die Tausende gehende Hin-
 richtungen geschahen"
(482f).

Im Ganzen bietet diese Festschrift eine höchst interessante Sammlung von Beiträgen, die thematisch auf
dem Stand derzeitiger theologischer Wissenschaft zumeist um den höchst schwierigen - und derzeit erneut
sehr aktuellen - Begriff "Freiheit" kreisen und diesen aus christlich theologischer Sicht beleuchten.

Herbert Frohnhofen, 21. August 2007