I.U. DALFERTH u.a. (Hg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre (FS E. Jüngel) Tübingen 2004;

Anders als in den meisten Festschriften für Theologen und Theologinnen wird in diesem Buch nur ein Thema ins Zen-
trum gestellt, aber es ist das zentrale Thema der Theologie: Gott und das Denken Gottes. Es konnte deshalb, so schrei-
ben die Herausgeber im Vorwort, nur ein ausgewählter Kreis von möglichen Autoren mit einem Beitrag in diese Fest-
schrift für den großen Tübinger Theologen Eberhard Jüngel zu seinem siebzigsten Geburtstag aufgenommen werden.

Vor dem Hintergrund von Kants Postulat eines Gottes in seiner Kritik der praktischen Vernunft betont Michael BEINT-
KER, dass "das Denken schon mit Gott anfangen (muss), wenn es sich an die Gewinnung ethischer Prinzipien heran-
wagt"
(39). Ingolf U. DALFERTH behauptet auf recht eigenartige und unhistorische Weise, dass kirchliche Dogmen
"nicht befolgt werden müssen, weil es sie gibt und sie gelten, sondern dass sie nur zu befolgen sind, wenn sie geprüft
und für richtig befunden werden... Denn nicht das Dogma ist die Norm des Glaubens, sondern das Dogma ist an der
Norm des Glaubens zu messen"
(54). Reinhard FELDMEIER erläutert die paulinische Rede von der Unvergänglich-
keit des auferweckten Gläubigen als in den Kontext der antiken Geistigkeit hineininterpretierte Aussage des Evange-
liums von der durch nichts zu behindernden Macht der Liebe Gottes. In der Auseinandersetzung mit Scholz und Pan-
nenberg versteht Johannes FISCHER die Theologie nicht als eine "Wirklichkeitswissenschaft", sondern als "eine das
Verständnis des christlichen Glaubens thematisierende hermeneutische Disziplin"
(111). Martin HENGEL widmet ei-
nen ausführlichen Beitrag vor allem den aramäischen Akklamationen "Abba" und "Maranatha" im NT. "Diese For-
meln",
so Hengel, "enthalten Grundwahrheiten, die aus der Offenbarung stammen, und die griechischsprechenden
Gemeinden der paulinischen Mission bleiben durch sie mit der Urgemeinde... verbunden"
(154f). Demgegenüber ver-
liert für Hengel "der Streit um die Einzigartigkeit der Gottesanrede Abba im Rahmen des Judentums an Bedeutung"
(179). Mit Bezugnahme auf Eberhard Jüngel versteht Hans-Jürgen HERMISSION Zorn und Leiden Gottes, wie sie
in der Bibel dargestellt werden, durchaus als "Anthropopatismen"; eine solche "Rede von Gott in Menschengestalt
(sei jedoch) nicht unangemessen, uneigentlich und überholbar. (Denn:) Wenn es 'keine Menschenlosigkeit Gottes'
gibt, so gehören unsere Texte in die Geschichte einer sachgemäßen, weil von Gott selbst ermöglichten theologi-
schen Rede von Gott"
(206f).

Auf der Linie bereits früherer Veröffentlichungen und mit Bezugnahme auf die Themenzentrierte Aktion und die
Kommunikative Theologie stellt Bernd Jochen HILBERATH den Heiligen Geist als Kommunikator zwischen Gott
und Welt dar. "Ein geistlicher Mensch", so Hilberaths Resumee, "ist einer, der sich authentisch auf Andere hin öff-
net, mit ihnen die lebensfördernde Wahrheit kommuniziert, dabei allem Lebendigen eine Wachstumschance gibt,
gemeinsam mit Anderen die Grenzen unserer Kommunikation erweitert und an Strukturen mitarbeitet, welche die
Kommunikation und die communio des Lebens fördern"
(223). Otfried HOFIUS tritt nach eingehender Auseinan-
dersetzung dafür ein, 2 Kor 5,19a zu übersetzen als "Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst"
(234). Nach Wilhelm HÜFFMEIER ist der "Sinn eines rechten christlichen Vorsehungsglaubens..., in allem Ge-
schehen, selbst in Geschehnissen, in denen der Glaube nicht weiß, wie er mit Gott dran ist, seiner gewärtig zu sein,
sei es in der Ausschau und Unterstützung der Christus entsprechenden 'Gesetzmäßigkeiten' der Geschichte, sei es
im Schrei nach ihm"
(258). J. Christine JANOWSKI unterzieht das Werk Rene Girards einer kritischen Durch-
sicht und kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass Girard "den Sündenbockmechanismus als Gestalt des Selbstrechtfer-
tigungsmechanismus gegenüber oberflächlichem Anschein weder auf die andereren Religionen... noch auf die Sä-
kularisation, noch schließlich auf das traditionelle... Christentum anwendet und (dadurch) gerade nicht... das
Christentum '...zu etwas in sich Geschlossenem macht'"
(288). Walter KASPER stellt die Frage nach einem >öku-
menischen Grundkonsensens< und schlägt vor, "die Reformation... als Reform und Erneuerung der einen univer-
salen Kirche"
(302) zu verstehen.

Wolf KROETKE diskutiert die Möglichkeit des inter- und multireligiösen Gebetes und kommt zu dem Ergebnis,
dass ein Beten "in der Freiheit des Gewissens" unter diesen Umständen kaum möglich ist (318). Hans KÜNG tritt
erneut für eine multireligiöse Ökumene ein und schildert seine eigenen Erfahrungen bei der Teilnahme von Bud-
dhisten an einer von ihm geleiteten Eucharistiefeier. Karl LEHMANN zeichnet die Bedeutung Karl Rahners für
die Ökumene nach; Bruce McCORMACK differenziert zwischen der Partizipation an Gott und der Deifikation.
Jürgen MOLTMANN meditiert über die Gottesschau, Michael MOXTER diskutiert Schleiermachers Darstellung
Gottes als Künstler und Helmut OBST führt aus, dass die Entstehung einiger christlichen Sondergemeinschaften
(Mormonen, Christian Science und Zeugen Jehovas) als Folge einer häretischen Trinitätslehre anzusehen ist. Wolf-
hart PANNENBERG erläutert im Anschluss an Hegel die Trinitätslehre als Ausfluss der Lehre von Gott als dem
wahrhaft unendlichen Geist. Rudolf SMEND präsentiert eine über dreißig Jahre alte Predigt über Exodus 20,1-6,
die aktuell ist wie kaum ein anderer der Beiträge. "Du brauchst keine anderen Götter neben mir zu haben" heißt
es hier und Smend erklärt, wie sehr es hier um das angemessen proportionierte Leben geht, um jenes Leben, das
allein zum Heile führt. Dies wird auch aufgegriffen von Volker SPANGENBERG, der sich zum Predigtwerk
von Albrecht Goes äußert. Anhand der Hagar-Geschichte wird der Gott Hagars, der auch der Gott Jesu ist, uns
als jener Gott nahegebracht, der jeden von uns ansieht und uns dadurch Leben schafft. Dies ist vielleicht der
existentiell bewegendste Beitrag im gesamten Buch. Insgesamt also eine ungeheuer reichhaltige, eine vielschich-
tige, eine höchst interessante Festschrift, die dem großen Theologen aus Tübingen von Freunden, Schülern und
Kollegen zum 70. Geburtstag gewidmet wurde.

Herbert Frohnhofen, 7. Mai 2005