Anders als in den meisten Festschriften für Theologen
und Theologinnen wird in diesem Buch nur ein Thema ins Zen-
trum gestellt, aber es ist das zentrale Thema der Theologie:
Gott und das Denken Gottes. Es konnte deshalb, so schrei-
ben die Herausgeber im Vorwort, nur ein ausgewählter
Kreis von möglichen Autoren mit einem Beitrag in diese Fest-
schrift für den großen Tübinger Theologen
Eberhard Jüngel zu seinem siebzigsten Geburtstag aufgenommen
werden.
Vor dem Hintergrund von Kants Postulat eines Gottes in seiner
Kritik der praktischen Vernunft betont Michael BEINT-
KER, dass
"das Denken schon mit Gott anfangen (muss), wenn
es sich an die Gewinnung ethischer Prinzipien heran-
wagt" (39). Ingolf U. DALFERTH behauptet auf recht eigenartige
und unhistorische Weise, dass kirchliche Dogmen
"nicht befolgt werden müssen, weil es sie gibt und
sie gelten, sondern dass sie nur zu befolgen sind, wenn sie geprüft
und für richtig befunden werden... Denn nicht das Dogma
ist die Norm des Glaubens, sondern das Dogma ist an der
Norm des Glaubens zu messen" (54). Reinhard FELDMEIER
erläutert die paulinische Rede von der Unvergänglich-
keit des auferweckten Gläubigen als in den Kontext der
antiken Geistigkeit hineininterpretierte Aussage des Evange-
liums von der durch nichts zu behindernden Macht der Liebe
Gottes. In der Auseinandersetzung mit Scholz und Pan-
nenberg versteht Johannes FISCHER die Theologie nicht als eine
"Wirklichkeitswissenschaft", sondern als
"eine das
Verständnis des christlichen Glaubens thematisierende hermeneutische
Disziplin" (111). Martin HENGEL widmet ei-
nen ausführlichen Beitrag vor allem den aramäischen
Akklamationen
"Abba" und
"Maranatha" im NT.
"Diese For-
meln", so Hengel,
"enthalten Grundwahrheiten, die aus
der Offenbarung stammen, und die griechischsprechenden
Gemeinden der paulinischen Mission bleiben durch sie mit der
Urgemeinde... verbunden" (154f). Demgegenüber ver-
liert für Hengel
"der Streit um die Einzigartigkeit der
Gottesanrede Abba im Rahmen des Judentums an Bedeutung"
(179). Mit Bezugnahme auf Eberhard Jüngel versteht Hans-Jürgen
HERMISSION Zorn und Leiden Gottes, wie sie
in der Bibel dargestellt werden, durchaus als
"Anthropopatismen";
eine solche
"Rede von Gott in Menschengestalt
(sei jedoch) nicht unangemessen, uneigentlich und überholbar.
(Denn:) Wenn es 'keine Menschenlosigkeit Gottes'
gibt, so gehören unsere Texte in die Geschichte einer sachgemäßen,
weil von Gott selbst ermöglichten theologi-
schen Rede von Gott" (206f).
Auf der Linie bereits früherer Veröffentlichungen und
mit Bezugnahme auf die Themenzentrierte Aktion und die
Kommunikative Theologie stellt Bernd Jochen HILBERATH den Heiligen
Geist als Kommunikator zwischen Gott
und Welt dar.
"Ein geistlicher Mensch", so Hilberaths Resumee,
"ist einer, der sich authentisch auf Andere hin öff-
net, mit ihnen die lebensfördernde Wahrheit kommuniziert,
dabei allem Lebendigen eine Wachstumschance gibt,
gemeinsam mit Anderen die Grenzen unserer Kommunikation erweitert
und an Strukturen mitarbeitet, welche die
Kommunikation und die communio des Lebens fördern" (223).
Otfried HOFIUS tritt nach eingehender Auseinan-
dersetzung dafür ein, 2 Kor 5,19a zu übersetzen als
"Gott
war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst"
(234). Nach Wilhelm HÜFFMEIER ist der
"Sinn eines rechten
christlichen Vorsehungsglaubens..., in allem Ge-
schehen, selbst in Geschehnissen, in denen der Glaube nicht weiß,
wie er mit Gott dran ist, seiner gewärtig zu sein,
sei es in der Ausschau und Unterstützung der Christus entsprechenden
'Gesetzmäßigkeiten' der Geschichte, sei es
im Schrei nach ihm" (258). J. Christine JANOWSKI unterzieht das
Werk Rene Girards einer kritischen Durch-
sicht und kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass Girard
"den Sündenbockmechanismus
als Gestalt des Selbstrechtfer-
tigungsmechanismus gegenüber oberflächlichem Anschein weder
auf die andereren Religionen... noch auf die Sä-
kularisation, noch schließlich auf das traditionelle... Christentum
anwendet und (dadurch) gerade nicht... das
Christentum '...zu etwas in sich Geschlossenem macht'" (288). Walter
KASPER stellt die Frage nach einem >öku-
menischen Grundkonsensens< und schlägt vor,
"die Reformation...
als Reform und Erneuerung der einen univer-
salen Kirche" (302) zu verstehen.
Wolf KROETKE diskutiert die Möglichkeit des inter- und multireligiösen
Gebetes und kommt zu dem Ergebnis,
dass ein Beten
"in der Freiheit des Gewissens" unter diesen Umständen
kaum möglich ist (318). Hans KÜNG tritt
erneut für eine multireligiöse Ökumene ein und schildert
seine eigenen Erfahrungen bei der Teilnahme von Bud-
dhisten an einer von ihm geleiteten Eucharistiefeier. Karl LEHMANN zeichnet
die Bedeutung Karl Rahners für
die Ökumene nach; Bruce McCORMACK differenziert zwischen der Partizipation
an Gott und der Deifikation.
Jürgen MOLTMANN meditiert über die Gottesschau, Michael MOXTER
diskutiert Schleiermachers Darstellung
Gottes als Künstler und Helmut OBST führt aus, dass die Entstehung
einiger christlichen Sondergemeinschaften
(Mormonen, Christian Science und Zeugen Jehovas) als Folge einer häretischen
Trinitätslehre anzusehen ist. Wolf-
hart PANNENBERG erläutert im Anschluss an Hegel die Trinitätslehre
als Ausfluss der Lehre von Gott als dem
wahrhaft unendlichen Geist. Rudolf SMEND präsentiert eine über
dreißig Jahre alte Predigt über Exodus 20,1-6,
die aktuell ist wie kaum ein anderer der Beiträge.
"Du brauchst
keine anderen Götter neben mir zu haben" heißt
es hier und Smend erklärt, wie sehr es hier um das angemessen proportionierte
Leben geht, um jenes Leben, das
allein zum Heile führt. Dies wird auch aufgegriffen von Volker SPANGENBERG,
der sich zum Predigtwerk
von Albrecht Goes äußert. Anhand der Hagar-Geschichte wird der
Gott Hagars, der auch der Gott Jesu ist, uns
als jener Gott nahegebracht, der jeden von uns ansieht und uns dadurch Leben
schafft. Dies ist vielleicht der
existentiell bewegendste Beitrag im gesamten Buch. Insgesamt also eine ungeheuer
reichhaltige, eine vielschich-
tige, eine höchst interessante Festschrift, die dem großen Theologen
aus Tübingen von Freunden, Schülern und
Kollegen zum 70. Geburtstag gewidmet wurde.
Herbert Frohnhofen, 7. Mai 2005