Bernd Janowski/Gernot Wilhelm
(Hgg.), Texte aus der Umwelt
des Alten Testaments. Neue Folge. Band 3: Briefe, Gütersloh
2006;
"Briefe", so zitieren die
Herausgeber am Beginn ihres Vorworts keinen geringeren als Johann Wolfgang
Goe- the, "gehören unter die wichtigsten Denkmäler, die der
einzelne Mensch hinterlassen kann" (XI). Dies stimm- te natürlich
in weit höherem Maße in jener Zeit, in der "das Briefeschreiben
noch etwas galt und zuweilen gar eine Kunst war"; denn "Briefe erlauben Einblicke in das Privatleben ihrer
Verfasser, sie geben Nachricht von ihrer Zeit und bedienen sich aller rhetorischen Sprachakte, von der Frage
und Bitte über die Aufforde- rung und Anklage bis zur Entschuldigung
und Erklärung" (XI). - Dargestellt und kommentiert werden
in diesem Band sodann Briefe aus dem gesamten geographischen und kulturellen
Umfeld des Alten Testaments, und zwar aus dem Zeitraum vom 3. Jahrtausend
vor Christus bis zur Zeitenwende und sogar darüber hinaus. Eingeteilt
ist der Band in acht große Kapitel, in denen Briefe jeweils nach geographischen
und auch nach zeitlichen Kriterien zusammengefasst sind. Kritisch ediert,
kommentiert und vor allem in einen für Leser und Leserinnen verständlichen
Kontext gestellt werden die Briefe von zahlreichen Wissenschaftlern und Wissen-
schaftlerinnen verschiedener Fachrichtungen.
Inhaltlich behandeln die Briefe
ausgesprochen unterschiedliche Themen. Da finden sich Königsanweisungen
ebenso wie Privatbriefe, Verwaltungsschreiben jedweder Art gleichermaßen
wie Bittbriefe in das Jenseits. Es gibt Ermahnungen zu einem Leben in Eintracht
ebenso wie Briefe, die viele diplomatische Floskeln enthal- ten. Einige Briefe
etwa aus Mari (Syrien) enthalten genaue Informationen über die Strategie
der Kriegsfüh- rung, andere, altassyrische Briefe, informieren detailliert
über den Fernhandel der Zeit, vor allem mit Zinn und Stoffen. Abgerechnet
wurde zumeist in Silber. Ein wichtiges Stilmittel ist hier, dass die ranghöhere
Per- son immer zuerst genannt wird; erst aus dem Folgenden geht dann hervor,
ob diese Verfasser oder Empfän- ger des Briefes ist. Die Abrechnungsschreiben
können sehr umfangreich sein. Sie "enthalten oft detaillierte und
bis auf Bruchteile von Scheqeln genaue Abrechnungen über Preise eingekaufter
Waren" (78).
Die sogenannte "Amarna-Korrespondenz",
also eine Sammlung von Schriftstücken, die aus der Mitte des 14. Jahrhunderts
vor Christus und aus dem königlichen Briefarchiv des ägyptischen
Pharao stammen, gehört für die alttestamentliche Wisenschaft "zu
den wichtigsten altorientalischen Quellengruppen überhaupt, gibt sie
doch Auskunft über die Geschichte der Region des späteren Juda
und Israel in der Spätbronzezeit, also jener Epoche, die den ältesten
alttestamentlichen Traditionen vorausgeht" (174). Inhaltlich betreffen
diese Schrei-
ben vor allem die Anbahnung von Heiraten zwischen
Königshäusern sowie den Austausch von Geschenken; daneben informieren
sie auch über die politischen Zustände im ägyptisch beherrschten
Kanaan und den Auf- stieg Assyriens unter die altorientalischen Großmächte.
Einen höchst interessanten
und spannenden Einblick in die altägyptische Glaubens- und Gedankenwelt
ge- währen Briefe, die in das Jenseits geschrieben wurden. "Unter
dem Terminus 'Briefe an Tote' wird in der Ägyptologie eine Gruppe von
Texten zusammengefaßt, in denen sich lebende Personen an bereits Verstorbe-
ne, Angehörige, oder ihnen aus anderen Gründen nahestehende Mitmenschen,
wenden. Sie tun dies, um sich mitzuteilen, vor allem aber, um ein Anliegen
vorzutragen und Abhilfe für erfahrene Schicksalsschläge oder Ungerechtigkeiten
zu erlangen" (289). 16 solcher Briefe sind bisher bekannt; aus der zeitlichen
Streuung die- ser Funde wird wohl zu Recht geschlossen, dass es sich um einen
verbreiteten Brauch handelte, sich in dieser Weise an die Verstorbenen zu
wenden. Obwohl die Briefe recht private Inhalte haben, machen sie in ihrer
Gesamtheit doch deutlich, dass der Verstorbene als in einer anderen Welt
weiter Lebender betrachtet wurde, und zwar in "einer ewigen, glücklichen
Existenz", die freilich sehr unterschiedlich gedacht bzw. vorgestellt
werden konnte (291). In der Regel wird dem Verstorbenen aber uneingeschränkte
Bewegungsfreiheit und auch Macht zugesprochen. Eine Kommunikation mit den
noch auf Erden lebenden Menschen wird als mög- lich angenommen und geschieht
auf intensivste Weise im Grab, etwa bei Totenfesten, in deren Rahmen für
die Verstorbenen geopfert wird und Texte rezitiert werden. Insgesamt zielen
die Briefe auf eine positive Be- einflussung der aus dem Jenseits heraus
wirkenden Kräfte in das Diesseits hinein.
Im Ganzen gibt die reichhaltige
Briefsammlung einen intensiven Einblick in die kulturelle und geographi-
sche Umwelt des Alten Testaments. Mit den jeweils
einleitenden Erläuterungen, dem ausführlichen
Inhalts- verzeichnis am Ende des Buches und vor allem den hilfreichen Zeittafeln
und geographischen Übersichtskar- ten in den vorderen und hinteren Einbanddeckeln
wird die Sammlung zu einem sehr gut nutzbaren Studien- buch, nicht nur für
die alttestamentliche Wissenschaft.
Herbert Frohnhofen, 21. April 2008