W. TOLKSDORF, Analysis fidei. John Henry Newmans Beitrag zur Entdeckung des Subjektes beim Glaubens-
akt
im theologiegeschichtlichen Kontext (Internationale Cardinal-Newman-Studien 18) Frankfurt/Main 2000;

Diese voluminöse Arbeit mit 660 Seiten wurde bereits im Sommersemester 1999 von der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Doktor-Dissertation angenommen. Ihr Anliegen ist es, "die Fragestellung
wie auch die Probleme der analysis fidei (also des Glaubensbezugs des Menschen auf Gott) sachgerecht darzulegen.
Dazu erschließt sie Quellen und befragt Untersuchungen zur Thematik. Die historische Studie geschieht freilich in
systematischer Absicht"
(34). Der ERSTE der sechs Abschnitte des Buches ist dabei gleichzeitig die Einleitung und
führt als solche in den aktuellen gesellschaftlichen Kontext der Fragestellung sowie in Aufbau und Methode der Un-
tersuchung ein.

Das ZWEITE - ausführlichere - Kapitel bezieht sich ausdrücklich auf einschlägige Veröffentlichungen von Erhard
Kunz SJ und referiert jeweils kurz eine Reihe neuzeitlicher Positionen zur Glaubensanalyse bis hinein ins 20. Jahr-
hundert. Nach Kunz - so der Autor - ist der Glaube "Vollzug personaler Begegnung, die in einer Praxis der Hoff-
nung Denken und Handeln gleichermaßen prägt. So hat er immer auch zu tun mit der Frage nach der Identität
und Selbstfindung des Menschen"
(72). Als Glaubender ist "der Mensch (zugleich) Fragender und Suchender, ver-
wiesen auf die Geschichte und das geisterfüllte Glaubenszeugnis der Kirche, durch die sich ihm die Person und die
Botschaft Jesu Christi erschließt"
(73). Glaubwürdigkeitserkenntnis und Glaubenszustimmung sind deshalb für den
Menschen keine nur punktuell auftretenden Ereignisse sondern konstituieren den gesamten Prozess seines Glaubens-
lebens je neu, und zwar auf dem Hintergrund der bereits gelebten Geschichte, angesichts der erfahrenen Gegenwart
sowie in der Hoffnung auf die erwartete Zukunft.

Das DRITTE Kapitel ("das uneingelöste Programm der Glaubensanalyse") nimmt sodann vor allem Bezug auf Au-
toren des 20. Jahrhunderts und versucht darzutun, dass - trotz vieler Einzelstudien von Eschweiler über Dalferth,
Jüngel und Pröpper bis hin zu Pottmeyer - der Vorgang des Glaubensgeschehens bisher nicht umfassend theologisch
analysiert und dargestellt worden ist. Denn die unterschiedlichen Versuche, das Zueinander von Glaubensgrund, Glaubwürdigkeitserkenntnis und Glaubenszustimmung sachgerecht zu bestimmen, bezeugen - so der Autor - die
Schwierigkeit, göttliche Autorität und menschliche Freiheit in ein und demselben Traktat angemessen zu benennen
und sie zudem in ein stimmiges Verhältnis zueinander zu setzen. Hiermit ist nach Auffassung des Autors die Basis
bereitet, um sich nun ausführlich mit Newman zu beschäftigen.

Das VIERTE Kapitel bildet mit fast 440 Seiten den Hauptteil des Buches. Der Autor geht hier das Werk Newmans
Zug um Zug durch und schildert dessen subjekt- bzw. biographiebezogenen Zugang zum Glaubensakt. Hierbei wer-
den zunächst die bereits im Jahr 1847 entstandenen 12 Thesen zum Glauben genannt und erläutert. Wichtig sind hier
die Vernunftgemäßheit und die Einsichtigkeit des Glaubensinhalts ebenso wie der Gnadencharakter und die Freiwil-
ligkeit des Glaubensaktes. Der Autor kommentiert: "Die Theses de fide sind in mehrfacher Hinsicht ein bemerkens-
wertes Dokument. Mit wenigen Sätzen skizziert J.H. Newman einen Entwurf zur Glaubensanalyse ganz eigener Art.
Formaliter hält er dabei der herkömmlichen Termonologie die Treue, inhaltlich konzipiert er den Glaubensakt bio-
graphisch"
(125). Ebenso gibt Newman in den gleichfalls im Jahre 1847 entstandenen zwölf Thesen zur Dogmen-
entwicklung, dem sogenannten Newman-Perrone-Paper on Development, dem individuellen Glaubensakt auch in
seiner Bedeutung für die Kirche einen wichtigen Platz. "Der Glaube ist (nämlich) zunächst individueller, weil per-
sonaler Verstehens- und Zustimmungsakt, sodann aber auch zutiefst öffentlicher Vollzug. Der Konsens der Gläubi-
gen, ihr Ringen um die Wahrheit und ihr gemeinsamer Glaubenssinn geben davon Zeugnis. In ihm haben die Gläu-
bigen teil an jener Unfehlbarkeit, die der Kirche als ganzer zu eigen ist. Das kirchliche Lehramt findet hier nicht
nur einen locus theologicus..., sondern beizeiten auch einen kritischen Partner in noch unklaren Fragen der Leh-
re"
(175).

Auch in den folgenden Schriften Newmans (Certainty of Faith, 1853, und Proof of Theism, 1859/60) steht die
Glaubensthematik im Vordergrund. Das Subjekt des Glaubens wird durchgängig in seiner Autonomie vorausge-
setzt und dem Glauben des Individuums Erkenntnisfähigkeit zugesprochen. Insbesondere natürlich die zentrale
Schrift "An Essay in aid of a Grammar of Assent" (1870) erläutert den Themenkreis des Glaubens und die Be-
dingungen seines individuellen und kirchlichen Vollzugs. Wichtig ist hier die "Begriffsunterscheidung von be-
lief und faith: Während faith im strikten Sinne den Bekenntnisglauben meint, steht belief für einen 'allgemeinen
religiösen Glauben'"
(293). Ausgangspunkt seiner Darlegungen bleibt aber auch hier die Frage nach der Zu-
stimmung, "wobei J.H. Newman... die reale von der begrifflichen Zustimmung unterscheidet" (294). Während
die reale Zustimmung an die Vorstellungskraft des menschlichen Geistes gebunden ist, erfolgt die begriffliche
Zustimmung aufgrund einer hinführenden sprachlichen Erklärung. Insgesamt geht es dem ersten Teil der Gram-
mar of Assent
darum, vom Glauben der Kirche und vom Glaubensvollzug des einzelnen Gläubigen angemessen
zu reden.

Im zweiten Hauptteil der Grammar of Assent können - so der Autor - Zustimmung und Gewißheit "als Entfal-
tung eines eigenwilligen Subjektdenkens verstanden werden, demzufolge das Prae des Selbst den individuellen
Rahmen des Glaubensvollzuges selber setzt"
(426). Die verschiedenen Glaubwürdigkeitsmotive, die den Men-
schen bewegen (Intellektualität und Gefühl, Imagination und Evidenz) würden in eine "spannungsvolle Ein-
heit gebracht",
wodurch die Gewißheit als eine Form der Zustimmung aufscheine, in der sie Medium perso-
naler Freiheit sei, in welcher "sich der Einzelne für den Wahrheitsanspruch der Glaubensbotschaft entschei-
det"
(426). Die Darstellung von drei Arten der Folgerung bei Newman, insbesondere des illative sense, schlie-
ßen die Besprechung des zweiten Hauptteils der Grammar of Assent ab. Insgesamt - so der Autor - fügen sich
in der Grammar of Assent "die Aspekte von Freiheit, Subjektivität und Kirchlichkeit zu einem schlüssigen
Ganzen, das freilich... dort hinter den Fragestellungen heutiger Autoren zurückbleibt, wo ihm das philoso-
phische und theologische Instrumentar Grenzen auferlegt"
(546).

Das FÜNFTE Kapitel des Buches ist B.F.J. LONERGAN und seinen Darlegungen zur Glaubensanalyse - ins-
besondere in seiner Schrift "Analysis fidei" (1952), gewidmet. Lonergan bezieht sich in dieser Schrift mehr-
fach auf Newman und stellt in seinen Vorlesungen "den Weg zum Glauben und im Glauben in den Rahmen
der konkreten Hinordnung des Menschen zu seinem übernatürlichen Ziel"
(597). Verschiedene Funktionen
der göttlichen Gnade werden angesprochen, die es ermöglichen, dass der Mensch, wenn er zum Glauben
kommt, eine andere Sehkraft für die Dinge der Welt bekommt, sein Urteilen und Handeln sich dadurch
verändern. Im SECHSTEN Kapitel resümiert der Autor das Erarbeitete. Die Geschichte der Glaubensana-
lyse lässt sich für den Autor "als ein Weg begreifen, an dessen Beginn die Entdeckung souveräner Individu-
alität des Menschen in Kirche und Gesellschaft steht"
(622). Erst mit der Entdeckung der Geschichtlichkeit
der Selbstmitteilung Gottes konnte freilich im 20. Jahrhundert auch das Reagieren des Menschen hierauf als
ein historisch-biographisches gedacht und damit vielfältig differenziert werden. J.H. NEWMAN hat diesen
Vorgang durch seine Wende zum Subjekt des Glaubensaktes wesentlich vorbereitet und ermöglicht.

Im Ganzen wird man der Arbeit zugestehen, dass sie mit großem Fleiß die verschiedenen Positionen und
vor allem die historische Entwicklung zur Analysis fidei zusammenträgt, darstellt und plausibel macht.
Vieles was von anderen Autoren bereits erarbeitet worden ist, hätte freilich nicht in dieser Breite erneut
zitiert und dargestellt werden müssen. Die Arbeit wäre dadurch lesbarer, kompakter und noch brauchba-
rer geworden.

Herbert Frohnhofen, 11. September 2006