J.H. NEWMAN, Theses de fide/Thesen zum Glauben (1847);

1.    Der Akt des göttlichen Glaubens ist die der göttlichen Wahrheit gewährte sichere, unbewiesene Zustimmung des Intel-
       lekts.

2.    Unbewiesen, weil die Motive oder Beweisgründe, die jenem Akt vorausgehen, den Intellekt nicht mit ihrer Kraft dazu
       zwingen, daß er glaubt. - Sicher aber, so daß er beim Zustimmen keinen Zweifel und keine Beunruhigung hat.

3.    Wenn das auch beim ersten Hören paradox klingt, so als ob eine Konklusion jemals sicherer sein könnte als die Prämis-
       sen, aus denen sie folgt, so ist es doch voll anzunehmen und zu vertreten.

4.    Voll anzunehmen ist es gerade deshalb, weil die Glaubenszustimmung sicher ist. Wenn sie nämlich ganz von der logi-
       schen Behandlung natürlicher Wahrheiten abhinge, könnte sie tatsächlich nicht sicher sein. Denn das natürliche Licht
       (der Vernunft) gibt jene Gewißheit nicht.

5.    Daraus folgt: Worin auch immer das wahre, rechtmäßige und besondere Glaubensmotiv bestehen mag, so sind doch
       zweifellos jene menschlichen Motive, die dem Glauben vorausgehen, nicht das Glaubensmotiv. Sie sind auch nicht der-
       art, daß der Glaube in sie aufgelöst werden könnte. Vielmehr sind sie nur die gewöhnliche, unbedingte Voraussetzung,
       durch die der Weg zum Glauben geebnet und der Wille dazu angetrieben wird, die Glaubenszustimung zu befehlen.
       Durch sie wird der Gegenstand zum Glauben vorgelegt und dem Intellekt angepaßt, aber nicht bewiesen.

6.    Notwendig allerdings sind jene menschlichen Motive des Glaubens, damit er vernunftgemäß sei, damit sich ferner die
       Häretiker in ihrer Hartnäckigkeit für ihn entscheiden, und damit schließlich die von Rechts wegen verdammt werden
       können, die nicht glauben wollen.

7.    Wenn daher auch die Motive des Glaubens nicht den Intellekt mit ihrer Kraft zum Glauben zwingen. so sind sie doch
       an ihrem Ort und sozusagen nach ihrem Maß wahre Beweisgründe und tendieren auf diese Konklusion hin, die sie nicht
       ganz erreichen, das heißt, sie machen diese Konklusion glaubwürdig.

8.    Diese Glaubwürdigkeit muß allein einsichtig sein, damit sie glauben, auch den Einfachen und Ungebildeteten.

9.    Oder, um dasselbe anders auszudrücken, aus den menschlichen Motiven selbst geht irgendein moralisches Urteil hervor,
       daß der Gegenstand des Glaubens glaubwürdig sei: Dieses Urteil aber schließt vor der weisen Anwendung des Willens-
       befehls nicht den Zweifel und die Beunruhigung aus.

10.   Die absolute und unvollkommene Gewißheit des göttlichen Glaubens appelliert dagegen nicht an die Schlußfolgerung
        oder an menschliche Motive, sondern einzig an das, was Gott gesprochen hat, die Ewige Wahrheit, die weder täuschen
        noch getäuscht werden kann.

11.   Sie ist auch, wie gesagt, nicht auf die Schlußfolgerung oder auf menschliche Motive fundiert, sondern auf den Willen,
        der, von der göttlichen Gnade angetrieben, dem Intellekt befiehlt, eine sichere Zustimung dem zu geben, was im Hin-
        blick auf die Motive, durch die es bewiesen wird, keine Gewißheit, sondern nur Glaubwürdigkeit hat.

12.   Und darin besteht eben die Verdienstlichkeit des Glaubens, daß er ein Akt des freien Willens ist, dem die Gnade hilft
        - nicht aber die Annahme von Konklusionen, die der Intellekt, von logischer Notwendigkeit gedrängt, nicht zurück-
        weisen kann.