Der erste Beitrag stammt von GREGOR WEBER,
Dr. med. und Privatdozent am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Katholischen
Universität
Eichstätt-Ingolstadt. Der Autor
zeichnet die Bedeutung von Traum und Traumdeutung in der Antike nach
und spannt dabei einen Bogen
von Homers Odyssee bis zur Darstellung
des Todestraums von Kaiser Caligula in der Biographie des Sueton. Er
betont, dass "eine zentrale
Eigenart antiken Traumverstehens gerade darin bestand,
Träume als göttliche Hinweise auf künftiges Geschehen aufzufassen" (17),
gibt hierfür einige Beispiele,
erläutert die Aufgaben antiker professioneller Traumdeuter und informiert
darüber, "dass die Glaubwürdigkeit
eines Traumes mit dem Sozialstatus des Träumenden
korreliert, also ein König zuverlässiger träumt als ein Sklave" (19). Sogenannte
Inkubationsträume wurden in
Heiligtümern der verschiedenen Gottheiten künstlich induziert;
und es war nicht ungewöhnlich, dass auch öf-
fentlich wirksame Personen sich durch
ihre Träume in ihrem Handeln leiten, zumindest aber beeinflussen ließen.
Träume wurden zur Diag-
nose von Krankheiten eingesetzt;
auch deshalb führten nicht wenige Personen private Traumtagebücher,
welches vom christlichen Bischof
Synesios von Kyrene in seinem wichtigen
Buch über die Träume sogar ausdrücklich empfohlen wurde. Interessant
ist, dass der Autor
auf dieses Buch, wie überhaupt
auf den antiken christlichen Kontext der Träume nicht näher eingeht.
Der zweite Beitrag behandelt Erfahrungen
mit und Deutungen von Träumen in der Bibel und der christlichen Spiritualität;
er wurde
verfasst von MICHAEL PLATTIG, Professor
für Theologie der Spiritualität an der Philosophisch-Theologischen
Hochschule Münster so-
wie Leiter des an diese Hochschule
angegliederten Instituts für Spiritualität. Im Alten Testament -
so Plattig - wird der Traum wie in seinem
geistesgeschichtlichen Umfeld selbstverständlich
als Offenbarungsmedium Gottes angesehen; allerdings ist Gott selbst
auch der autori-
sierte Deuter seiner Träume.
Für das Neue Testament hingegen sei es unangemessen vom Traum als einem
"wichtigen Offenbarungsmittel"
zu sprechen; allein bei Matthäus
und in der Apostelgeschichte spiele er eine Rolle (50). Bis ins 4. Jahrhundert
wurden dann "Träume und
Visionen kaum unterschieden, beide gehörten
zur Prophetie und verdienten deshalb Beachtung... Einerseits glaubte man
allgemein, dass
Gott sich der Träume bediene, um zum Menschen
zu sprechen, andererseits mussten inspirierte von banalen Träumen unterschieden
und
geklärt werden, ob sie von
Gott oder von bösen Anlagen kommen" (52). In Heiligenviten
gibt es viele Berichte von Träumen und Visio-
nen; als Beispiel hierfür beschäftigt
sich der Autor ausführlich mit der Vita des heiligen Ansgar. Insgesamt
geht es bei Träumen in diesem
Zusammenhang "nicht nur um das
Erkennen der eigenen Berufung,... sondern auch um dieVergewisserung des bereits
Erkannten bzw.
Geglaubten... Letztlich handelt es sich... um ein
Stück dessen, was das alte Mönchtum als Dämonenkampf bezeichnen
würde, die Über-
windung der Angst des Unglaubens
durch die Erfahrung des zugesprochenen Glaubens" (60). Im Anschluss an
das Traumbuch des
Artemidor von Daldis ist die Qualität
der Träume für Evagrios Ponticos ein Indiz für das Fortschreiten
auf dem geistlichen Weg.
Im dritten Beitrag präsentiert MICHAEL
HUBER, Psychoanalytiker und Privatdozent am Institut für Psychosomatik
und Psychotherapie
der Universität Köln, neurobiologische
und psychoanalytische Überlegungen zu Traum und Gedächtnis.
Im Traum, so der Autor,
"bedient sich das Gehirn exakt derselben
Funktionen wie im Wachzustand" (149). Eine der neuesten Hypothesen besagt, "dass das
Träumen von essenzieller Bedeutung ist für
die sogenannte Konsolidierung des Gedächntnisses"(153). "Erlebnisse, denen wir im
Wachzustand viel Aufmerksamkeit entgegenbringen,
werden nachts vom Hippocampus den anderen Hirnarealen in einer Art 'Playback'
vorgespielt, encodiert und konsolidiert"
(157). Aus Versuchen mit Tieren und Menschen weiß man, dass intensives
Lernen in den Wach-
phasen eine Zunahme der REM-Schlafphasen
(offensichtlich zur Gedächtnis-Verarbeitung des Gelernten) nach sich
zieht. Schlafentzug
hingegen - und zwar auch der NREM-Phasen
- führt zur Destabilisierung von Gedächtnisfunktionen und -inhalten
(157f). Denkbar ist es
für den Autor überdies,
dass es im Schlaf mit seiner Abfolge von REM- und NREM-Phasen zu einer Art
"Dialog" zwischen verschiedenen
Teilen des Gehirns, insbesondere
der rechten und der linken Gehirnhälfte kommt, um auf diese Weise mit
der "ständig neuen Erfahrung
von der Welt, mit Erlebtem, mit
Konflikten...und dem Entwurf von Verhaltensvarianten zurechtzukommen"
(161). Der REM-Schlaf ist
damit "möglicherweise ein
Zustand, der dem Wachzustand völlig gleicht, bis auf die Tatsache, dass
die Aufmerksamkeit vom sensorischen
Input weggerichtet ist" (162).
Ist umgekehrt Wachheit - so fragt der Autor - zu verstehen als "ein
Traumzustand, in dem... sensorischer
Input wahrgenommen wird?"
(162). Hubers Ergebnis: "Unser Hirn ist ein funktionell relativ geschlossenes
System, das mittels konti-
nuierlicher oszillatorischer Nervenzellaktivität
die Funktionalität sensorischer Inputinformationen selbst steuert...
Unser Gehirn scheint...
die meiste Zeit zu träumen, mal etwas mehr
unter Einbeziehung sensorischer Informationen von außen (wir nennen
das den Wach-
zustand), mal unter Verweigerung der Zur-Kenntnis-Nahme
der Außenwelt, das nennen wir dann Traum" (164f). Bei den Patien-
ten, denen die Psychoanalyse sogenannte
"psychische Rükzugsräume" oder "Unerreichbarkeit"
zuschreibt, scheint dann - aufgrund
schwerer seelischer und/oder körperlicher Traumata - der Traumzustand
als ein permanenter den sogenannten "Wachzustand" zu
dominieren.
Der vierte Beitrag des Diplom-Psychologen
und Psychoanalytikers THOMAS AUCHTER behandelt 100 Jahre psychoanalytische
Traumdeutung. Hier werden verschiedene Phasen, Mechanismen
und Funktionen der Traumbildung dargestellt und auch zum Teil in
anderen Beiträgen zuvor schon
angesprochene historische Fakten hinsichtlich der Deutung des Traumes und
seiner Funktionen noch
einmal benannt. Insgesamt ist aus
diesem Beitrag am wenigsten neues zu lernen.
Alles in allem ist dies ein höchst
interessantes Buch, das über vielfältige Aspekte zum Traum und zur
Traumdeutung infor-
miert! Allerdings: Der im
Vorwort implizit erhobene hohe Anspruch, endlich einmal Interdisziplinäres
anzubieten, das über das Pressen
verschiedener Disziplinen zwischen
zwei Buchdeckel hinausgeht (s.o.) wird weder in den hier besprochenen Beiträgen
noch in dem als
Anhang abgedruckten Gespräch
zwischen den Vortragenden der Tagung eingelöst. Letzteres erweist doch
eher ein auf hohem Niveau
angelegtes Aneinandervorbeireden
als den tatsächlichen Versuch, sich auf die Aussagen der Dialogpartner
einzulassen und diese in die
eigenen Gedanken miteinzubeziehen.
Aber hatte nicht gerade der Beitrag von Michael Huber plausibel gemacht, dass
und warum wir
alle hauptsächlich im eigenen Saft schmorende
Träumende sind und dies - am liebsten - auch bleiben?