Winfried Schröder,
Athen und Jerusalem. Die philosophische Kritik am Chris-
tentum in Antike und Neuzeit (Quaestiones
16) Stuttgart-Bad Cannstatt 2011;
Dass die westliche Kultur auf für sie identitätsstiftende
Weise zunächst spätantike und dann weitere Entfal-
tungen der Philosophie bis hin in die Gegenwart zur Formulierung christlicher
Theologie verwendet, also
nach der tertullianischen Metapher >Athen< mit >Jerusalem<
verschmolzen hat, wird vom Autor der vor-
liegenden Schrift ausdrücklich als Ausgangspunkt seiner Überlegungen
benannt. Während die Rezeption
der Philosophie im islamischen Mittelalter allerdings abbrach, so der Autor
wohl mit Recht, sei es um so
erstaunlicher, dass das Christentum es vermocht habe, "die Transformation durch den Modernisierungs-
prozess der Aufklärung zu bestehen" (1). Gleichwohl interessieren
ihn vor allem die bleibenden Differen-
zen oder gar Friktionen zwischen Beidem, die ja von Seiten der Theologie
unter dem Stichwort der >Hel-
lenisierung des Christentums< längst kontrovers bedacht worden
sind und werden. So verweist der Autor
auf die herausragenden und sehr bekannten Vertreter einer bemerkenswerten
Opposition gegen das Chris-
tentum schon in der antiken Philosophie (Kelsos, Porphyrios und Julian Apostata)
und will vor diesem Hin-
tergrund das Verhältnis der neuzeitlichen Philosophie zum Christentum
analysieren. Als Ziel der vorliegen-
den Untersuchung gibt er an, zunächst "die weitgehend unbekannte Präsenz der
spätantiken Christentums-
kritik in Frühneuzeit und Aufklärung zu dokumentieren"
(10). Zudem "soll in der vorliegenden Untersu-
chung auf dem Wege einer vergleichenden Zusammenschau der neuzeitlichen
Religionskritik und der Ein-
wände, die die spätantiken Kritiker aus einer zeitgenössischen
Perspektive gegen das sich etablierende
Christentum vorgebracht werden, ermittelt werden", ob die Aufklärer
tatsächlich "die christlichen Lehren
und ihr biblisches Fundament auf das Prokrustesbett moderner Rationalitätsstandards
und des neuzeitli-
chen Weltbildes gezwungen und damit missverstanden und verfehlt"
haben (12). - Detailliert stellt Schrö-
der im zweiten Kapitel die durchaus umfangreiche Präsenz antiker Christentumskritik
in der philosophi-
schen Literatur der Neuzeit und auch darüberhinaus (z.B. bei Dichtern
und Historikern) dar. Ebenso war
die Heilige Schrift - so der Tenor des dritten Kapitels - herber Kritik
in der neuzeitlichen Philosophie aus-
gesetzt.
Inhaltlich interessant wird es im umfangreichsten, dem vierten Kapitel,
in dem die neuzeitliche Diskussion
dreier Sachfragen in den Fokus gerückt wird. Zunächst geht es
um den Glauben, der als >blinder
Glaube<
in seiner (angeblichen) Irrationalität kritisiert wird. Schon frühchristliche
Autoren wie z.B. Origenes geben
durchaus zu, dass ein sogenannter "einfacher
Glaube" aus pragmatischen Gründen ab und an gerechtfer-
tigt sei; denn nicht jeder Gläubige habe die Zeit und das geistige
Vermögen, alle Vernunftgründe für den
christlichen Glauben zu prüfen (92); im Übrigen gelte aber, dass
der christliche Glaube in nicht höherem
Maße voluntaristische Momente enthalte als viele andere Lebensentscheidungen
und -perspektiven auch.
Insbesondere verweisen sogar Kritiker des angeblich >blinden< Glaubens
der Christen, wie z.B. Porphyri-
os, in ihren Schriften selbst darauf, dass die Annäherung an Gott "Glaube/Vertrauen, Wahrheit, Liebe und
Hoffnung" verlange (103), den
Glauben habe er mithin selbst "an seinem
Lebensende zur obersten Bedin-
gung für den Zugang der Seele zu
Gott" gemacht, wie es bereits der Historiker Eric R. Dodds ausdrückte
(103).
Der Umgang mit Wundern ist
in der Antike sehr vielfältig und weder ein Spezifikum des Christlichen
noch allein bezogen auf das Göttliche; auch herausragende Menschen
können "große, wunderbare und
wahrhaft übermenschliche Werke"
vollbringen (147). Letztere verbleiben jedoch aus der Sicht der antiken
Christentumskritiker "ganz im Rahmen der
natürlichen Ordnung des Kosmos" (147), während sich die
"biblischen Wunder wie die Totenerweckungen
und die Auferstehung Jesu (hiervon) unterscheiden... Es
sind Machterweise, die allein ein transzendenter,
von außen in das naturgesetzliche Gefüge eingreifender
Gott vollziehen kann" (154). Die
biblisch dargestellten Wunder werden aus verschiedenen Perspektiven
der Kritik unterzogen; zum Einen wird ihr Literalsinn in Zweifel gezogen,
dann aber auch behauptet, es
sei "nichts Besonderes, Wunder zu wirken",
wie man aus uralten Mythen bereits ablesen könne (156: Por-
phyrios). Ein besonderer Erkennungswert für die Gottessohnschaft Jesu
Christi, wie die Christen es be-
haupteten, ergebe sich aus ihnen nicht. Insbesondere über den
Neupythagoreer Apollonios werde doch
sehr Ähnliches berichtet wie über Jesus (158). Im Übrigen,
so ein weiterer Einwand gegen die (Beson-
derheit der) Wunder Jesu Christi sowohl in der Spätantike wie in der
diese rezipierenden Neuzeit, sei kei-
nes seiner Wunder "durch neutrale Gewährsmänner
verbürgt" (165); auch an der mehrfachen Bezeugung
mangele es häufig. Schließlich sind es vor allem die sehr materialistisch
vorgestellte leibliche Auferstehung
der Toten, vor allem Jesu Christi selbst, die - von der Antike bis heute
- herbe Anfragen und Kritik auf sich
ziehen.
Etwas unübersichtlich ist die Diskussion hinsichtlich der christlich
gelehrten Moral bzw. Ethik. Von Beginn
an erscheint es nicht nur unklar und deshalb strittig, welches die
biblisch-christliche Lehre im Hinblick auf
einzelne Werte und Normen überhaupt ist, sondern zudem wird heftig
darüber diskutiert, ob dies überhaupt
Sonderlehren sind und sein wollen bzw. ob Vieles davon nicht an antike nichtchristliche
ethische Weisun-
gen bereits unmittelbar anschließt. Aus diesem Grund bleibt natürlich
auch die Kritik an der christlichen Mo-
ral letztlich unsicher und schillernd. Aufsehen und Kritik erregen gleichwohl
in Antike und Neuzeit, ja bis
heute die augustinische Erbsündenlehre, indem sie den Menschen als
zum Guten aus eigener Kraft nicht Be-
fähigten deutet. Der Selbstdisziplin vieler Christen, insbesondere
"sich lebenslang des Geschlechtsverkehrs
(zu) enthalten", wird hohe Anerkennung
gezollt (194). Zwiespältig ist die Diskussion um die ethische Be-
wertung des Armutsideals; wohl zu Recht wird vielfach darauf verwiesen,
dass das Armsein und -bleiben
das Himmelreich für den Menschen noch nicht >garantiere<, dass
umgekehrt freilich das ungebändigte Stre-
ben nach Reichtum sehr wohl große Gefahren für die Gerechtigkeit und
das Seelenheil berge. Dass die pau-
linische Lehre von der Rechtfertigung des Menschen allein aus Glauben als
Spezifikum des Christlichen an-
gesehen werden könne, wird bereits in der Spätantike deutlich
erkannt und zum Teil sehr kritisch bewertet.
Im Ganzen macht das Buch auf sehr detaillierte und nachvollziehbare Weise
deutlich, wie sehr die Bemer-
kung des Paulus, "die christliche Lehre
sei 'den Griechen eine Torheit'" (1 Kor 1,23) nicht nur für die
An-
tike gilt, sondern dass die entsprechenden Linien der Kritik auch in der
Neuzeit ausgezogen werden (221).
Gleichwohl bleibt es angemessen, von einer weitgehenden Verschmelzung
antiker Philosophie und auch
Religiosität mit dem Christentum zu sprechen und beides gemeinsam als
Wurzel unserer heutigen Kultur
zu verstehen. Das vorliegende Buch stellt dazu unendlich reichhaltiges und
immer wieder bedenkenswer-
tes Material bereit.
Herbert Frohnhofen, 21. Oktober 2012