H.E. LONA, Die 'wahre Lehre' des Kelsos
(Kommentar zu
frühchristlichen Apologeten. Erg-Bd. 1) Freiburg u.a. 2005;
Die Veröffentlichung eines Kommentars zum Alethes
Logos des Kelsos als Ergänzungsband in einer Reihe mit
Kommentaren zu frühchristlichen Apologeten ist überraschend,
aber aufgrund der Bedeutung dieser Schrift für
das frühe Christentum und ihre ausschließliche Verfügbarkeit
in der Auseinandersetzung des Origenes ("Con-
tra Celsum") durchaus naheliegend. In einer umfassenden Einleitung
informiert der Kommentator über die
zwischenzeitliche weitgehende Übereinstimmungen und die noch verbliebenen
Probleme bei der Rekonstruk-
tion des Textes (Umfang des überlieferten Textes im Vergleich
zum Originaltext und ursprüngliche Anord-
nung der Fragmente). Angesichts dessen dass die Widerlegung des Kelsos
durch Origenes gewissermaßen ei-
ne Auftragsarbeit des Ambrosius ist, geht L. aber davon aus, "dass
Origenes, um dem apologetischen Inter-
esse seines Auftraggebers gerecht zu werden, keinen bedeutsamen
Einwand des Kelsos ausgelassen hat" (18).
Der Alethes Logos, so L., steht für die logische
Reaktion eines in der antiken, mittelplatonischen Geistigkeit
Gebildeten, der mit dieser Schrift eine "Apologie der griechischen
Überlieferung" (22) versucht, um so auch
die Christen in die bestehende kulturelle Ordnung einzugliedern. Kelsos
erscheint als ausgesprochen gut infor-
miert über Leben und Lehre der Christen, hat sich dieses Wissen
vielleicht sogar in einer christlichen Schule
angeeignet. - Die Polemik des Kelsos gegen das Christentum zielt darauf
ab, "es argumentativ als einen primi-
tiven Irrtum zu entlarven und vor den Augen der Gebildeten lächerlich
zu machen, sodass seine gefährliche
Anziehungskraft voll neutralisiert wird" (51). Demgegenüber
will Kelsos die "wahre Lehre" gegenüber der
falschen des Christentums darlegen; er will die Wahrheit über
Gott, die Welt und den Menschen ans Licht
bringen und damit erläutern, was im Einklang mit dem Logos steht:
"Da die Lehre der Christen mit ihren
geradezu absurden Ansichten über Gott, die Welt und den Menschen
in eklatanter Art und Weise ihren 'a-
logischen' Charakter offenbart, stellt die Schrift des Kelsos (nach
eigenem Verständnis) das notwendige Kor-
rektiv dar, um an der 'logischen' Ordnung der Dinge kraft der alten
Überlieferung festzuhalten" (51).
Ein ERSTER TEIL der Arbeit behandelt sodann die
jüdische Kritik an Jesus und am christlichen Glau-
ben. Zentraler Vorwurf ist hier, dass der "Anspruch Jesu,
Gottes Sohn zu sein, und der Glaube der Christen,
die sich zu ihm bekennen,... völlig unangemessen und unbegründet"
seien (98). Die Beweisführung im Hin-
blick auf diese These beginnt damit, dass Jesus seine Geburt aus einer
Jungfrau erdichtet habe, dass er viel-
mehr einem Ehebruch Marias mit einem römischen Soldaten namens
Panthera entstamme; ein Motiv dessen
Herkunft bis heute umstritten bzw. unklar ist. Auf primitive Weise
wird die Behauptung der Gottessohnschaft
Jesu Christi auch dadurch lächerlich zu machen versucht, dass die
Möglichkeit der sexuellen Verbindung zwi-
schen Gott und Maria in Abrede gestellt wird; auch sei die Stimme vom
Himmel, die nach dem Evangelium
während der Taufe Jesu im Jordan dessen Gottessohnschaft verkündet
habe, von keinem glaubwürdigen Zeu-
gen gehört worden. Jesus sei kein Besonderer gegenüber anderen
Menschen. Überdies sei es inkonsequent, dass
Herodes nach der Geburt Jesu alle Erstgeborenen habe töten lassen,
damit Jesus später nicht als König herrschen
werde; und schließlich habe der dem Herodes entkommene Jesus als
Erwachsener keineswegs als König geherrscht,
sondern als Bettler sein Leben gefristet. Und weiter..., und weiter...
In sehr ähnlicher Weise formuliert Kelsos
Anwürfe gegen Jesus Christus und die Christen, die ledigleich einen
kleingeistigen Rationalismus - wie er auch
heute verbreitet ist - erkennen lassen, nicht aber im geringsten ein
Verständnis dafür, was mit dem Glauben bzw.
einer Glaubensperspektive auf das Leben und Jesus Christus gemeint sein
könnte. L. kommentiert all diese An-
würfe detailliert und gibt dabei vielfältige und zahlreiche
Zusantzinformationen, gerade auch aus philologischer
Perspektive. In einem kurzen Exkurs zum Abschluss dieses Teils erläutert
L. zusammenfassend, wie Origenes
die fiktive Gestalt des durch Kelsos kritisierten Juden darstellt.
Der ZWEITE und umfangreichste TEIL des Buches ist
der Welt der Juden und Christen gewidmet, also
jener Welt, die nach Kelsos eine Welt ohne Logos und ohne Nomos
ist. Zunächst wird der Streit zwischen
Juden und Christen, der sich darauf beziehe, ob der heilbringende Retter
bereits gekommen sei oder nicht, als
ein "törichter" bezeichnet, weil es ein nichtswürdiger
Streit, gewissermaßen "um des Kaisers Bart" sei. Juden
und Christen verdankten beide ihre Entstehung dem Aufruhr gegen bestehende
Ordnungen und Kulturen, die
Juden der Auflehnung gegenüber den Ägyptern, die Christen derjenigen
gegenüber den Juden. Konsequenz
dieser Tendenz zum Aufruhr sei es, dass die Christen auch untereinander
in Parteiungen zerstritten sind und
keine Einheit finden könnten. Auch von griechischen Helden, so argumentiert
K., sei behauptet worden, dass
sie nach ihrem Tod wieder erschienen seien; kein Mensch habe sie deshalb
selbst für Gotter gehalten; warum
tun das dann die Christen in Bezug auf Jesus Christus? Der Glaube, so
Kelsos, gehe schon eigenartige Wege,
wenn er sich erst einmal der menschlichen Seele bemächtigt hat. Bedenklich
und verdächtig sei die Bildungs-
feindlichkeit der Christen; offensichtlich wollten oder könnten sich
die Christen mit den Gebildeten unter ih-
ren Kritikern nicht messen. Inkonsequent sei überdies, dass die Christen
die Reinheit verkündeten und von ei-
nem reinen Leben sprächen, dabei aber die Sünder und Diebe,
die Einbrecher und Giftmischer zu sich einlü-
den. Warum, so K., ist der Gott der Christen ein Freund der Sünder
und Verbrecher, lehnt die Gerechten aber
ab. Mit einer solchen Verkündigung lüden die Christen zum Verbrechen
ja gerade zu ein.
Juden und Christen hingen gemeinsam der irrigen
Vorstellung an, ein Gott könne auf die Welt kommen oder
habe dies (in Jesus Christus) bereits getan. Welchen Sinn, so K., sollte
dies haben; auf diese Weise bei den Men-
schen bekannt zu werden? Und wenn er um des Richtens und Strafens willen
gekommen sei: warum erst zu die-
ser Zeit? Haben die Menschen früher nicht auch gesündigt? Ein
Kommen Gottes in Menschengestalt auf die Er-
de, so K., bedeutete, seine Unveränderlichkeit und auch seine Schönheit
aufzugeben. Warum sollte ein Gott,
wenn er dies überhaupt könnte, solches tun? Herabwürdigend
vergleicht K. Juden und Christen mit diversen
Tieren, die um einen Sumpf herumsitzen und sich um Nichtswürdiges
streiten. Der alttestamentliche Welt- und
Menschenentstehungsmythos sei eine primitive Geschichte, die nur dazu
Wert sei, unverständigen alten Frauen
erzählt zu werden. Zwar werde von den vernünftigeren unter den
Juden und Christen versucht, die alttestament-
lichen Geschichten allegorisch zu deuten, doch könne das kaum mit
allen Texten so geschehen. - K. hingegen
vertritt die platonisch geprägte Lehre, dass nur das Unsterbliche,
Geistige, Seelische von Gott kommt, die Ma-
terie hingegen, das Sterbliche nichts mit ihm zu tun hat: was soll vor
diesem Hintergrund eine Inkarnation Got-
tes? Das Böse haftet mithin am Sterblich-Materiellen an; und es bleibt
daran haften; daran kann auch kein Gott
etwas ändern, lehrt Kelsos. Vor diesem Hintergrund weist er auch
zurück, dass Gott - und seinem Sohn Jesus
Christus - Emotionen, Leidenschaften, ja Leiden zugeschrieben werden;
dies passt aus seiner mittelplatonischen
Sicht nicht. Auch den den biblischen Schriften zweifellos eignenden Anthropozentrismus
weist er in umfassen-
der Weise und mit vielen Argumenten als der Natur nicht angemessen zurück.
In einem Exkurs erläutert Lona
abschließend die Polemik des Kelsos gegen einfache Auferstehungsvorstellungen
und die Reaktion der Christen
darauf.
Im DRITTEN und letzten TEIL des Buches erörtert
L. den Logos und Nomos der griechischen Überliefe-
rung, das heißt jene Positionen, die Kelsos vertritt und von
denen her er seine Polemik gegen Juden und Chris-
ten formuliert. Seinen Ausgangspunkt nimmt diese Erörterung von der
platonischen Lehre der Unaussagbar-
keit des Guten; Platon trage eben keine Wundermärchen über Gott
und seinen angeblichen Sohn vor wie Ju-
den und Christen dies täten und dabei - wie zuvor schon gesagt - vorrangig
die Ungebildeten ansprächen. Lus-
tig macht sich Kelsos auch über die Verwendung von Symbolen durch die
Christen, etwa eines Baumes, des
Holzes oder des Kreuzes. Was - so fragt er - würden die Christen wohl
verehren, wenn Jesus "von einem Ab-
hang hinabgestürzt oder in eine Schlucht gestoßen oder mit
einem Strick erwürgt worden wäre, dann hätte man
einen Abhang des Lebens über den Himmeln, oder ein Schlucht der
Auferstehung, oder einen Strick der Un-
sterblichkeit, oder einen seligen Stein oder ein Eisen der Liebe oder
ein heiliges Leder" (346). Auch über die
Vorstellung eines Teufels bzw. Satans macht Kelsos sich lustig und fordert:
"Ich denke, man müsste den Teu-
fel bestrafen, aber nicht den von ihm betrogenen Menschen drohen"
(356). Grundsätzliche Bedenken formu-
liert Kelsos gegen die jüdisch-christlichen Schöpfungsvorstellungen:
Der Geist Gottes sei nämlich offensicht-
lich zu den Menschen wie zu Fremden gekommen. "Manches Böse wurde
von einem anderen neben dem gro-
ßen Gott Schöpfergott gegen dessen Geist geplant. Dies hätte
zerstört werden müssen, während der obere Gott
es ertrug... Warum übersieht er, dass ein böser Schöpfergott
gegen ihn handelt?" (370).
Nun, all dieses und manches andere wird in zumeist durchaus
scharfsichtiger Weise Juden und vor allem Chris-
ten von Kelsos vorgehalten. Bis heute geben solche Vorhaltungen Anlass,
auch kritisch und genau auf den ei-
genen Glauben und seine Lehren zu schauen. Nicht zuletzt geben sie wichtige
Hinweise darauf, was das We-
sentliche des christlichen Glaubens ist.
Herbert Frohnhofen, 11. Oktober 2007