Die in diesem Band just zum 65. Geburtstag veröffentlichten
Aufsätze des emeritierten Neutestamentlers an
der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster
stammen aus den Jahren 1985 bis 2006. "Ihr
gemeinsamer Schwerpunkt", so der Herausgeber (selbst Professor für
Neues Testament an der Evangelisch-
Theologischen Fakultät der Universität Mainz) in der Einleitung,
"ist das hellenistische Christentum, genauer
sein Schriftverständnis, sein Gemeindeverständnis und seine
Geschichte" (5). Hierbei steht der Ausdruck "hel-
lenistisches Christentum" in seiner wechselvollen Forschungsgeschichte
im weitesten Sinne für alle Ergeb-
nisse des Einflusses hellenistischer Kultur auf das entstehende Christentum
und ist damit nichts anderes
als das Resultat dessen, was seit Jahrzehnten sehr einflussreich und oft
auch in polemischen Kontexten als alt-
kirchliche "Hellenisierung des Christentums" bezeichnet wird. Dabei
ist aufgrund der umfassenden Verbrei-
tung der hellenistischen Kultur an der Wiege des frühen Christentums
längst klar, dass man dem "hellenisti-
schen" ein (vermeintlich vom Hellenismus freies) "palästinisches
Christentum" nicht mehr gegenüberstellen
kann; vielmehr darf der christliche Glaube als jenes Moment interpretiert
werden, das "in der sich dem Ende
zuneigenden Epoche des Hellenismus" (6) entsteht, diesen spannungsreich
und nachhaltig mit- und umprägt,
so dass die auf diese Weise entstehende kulturelle Gemengelage die Kraft
gewinnt, eine ungeheuer einfluss-
reiche Wirkungsgeschichte zu entfalten. Merkwürdig ist aus dieser Perspektive
nicht mehr die nahezu
zwangsläufige Assimilation hellenistischer Kultur und christlicher
Mission; merkwürdig ist aus dieser Per-
spektive weit eher, dass die Wurzel dieser die ganze damalige und heutige
Welt umspannenden Kultur im
vergleichsweise peripheren Galiläa liegt. - Eingeteilt ist der Band
in drei Kapitel: Schriftverständnis - Ekkle-
siologie - Geschichte. Aus allen drei Abschnitten sei hier jeweils
ein Aufsatz näher angeschaut.
In einem ERSTEN BEITRAG ("... bezeugt durch das Gesetz
und die Propheten") diskutiert der Autor die
Funktion der Heiligen Schrift bei Paulus. Dabei ist feststellbar: "Paulus
steht zweifellos in Kontinuität mit
der zeitgenössischen jüdischen Schriftverwendung" (14).
Allerdings wählt er aus inhaltlichen Gründen sehr
stark aus. Während Teile aus den Väterschriften in seiner Zitation
dominieren, fällt die Königszeit weigehend
aus. Seine Auslegung des Liebesgebotes (Lev 19,18) steht in hellenistisch-jüdischer
Tradition. Insgesamt
steht die paulinische Schriftverwendung sehr deutlich im Zeichen des Verheißungs-Erfüllungs-Zusammen-
hangs. Die überwiegende Anzahl der 88 Schriftanführungen "dient
der Verdeutlichung, der Fortführung ei-
gener Aussagen, oder sie sind eigenständige Argumente im Gedankengang
und stehen nicht selten auch völlig
anstelle einer eigenen Aussage des Paulus" (17). Dort, wo Paulus besonders
genau argumentiert, finden sich
die Schriftzitate am Häufigsten; allerdings nimmt Paulus sich hier oft
die Freiheit, in durchaus für die Zeit
und Kultur unüblichem Ausmaß, die Schriftzitate nach Belieben
zusammenzufügen und umzugestalten. Die
Tatsache, dass in den einzelnen Briefen in sehr unterschiedlichem Ausmaß
Schriftzitate vorkommen, erklärt
K. - im Unterschied zu Harnack, der dies auf die unterschiedliche Notwendigkeit
von Argumentationsstrate-
gien zurückführte - viel einfacher damit, "in den ausdrücklichen
Anführungen von Schriftworten eine literari-
sche Technik zu sehen, die Paulus erst schrittweise im Zusammenhang mit
der Abfassung von Briefen entwik-
kelt hat" (19f). Insgesamt erschließt sich die Schrift für
Paulus durch das Christusereignis völlig neu, so dass
auch radikale Uminterpretationen für ihn notwendig werden.
In einem ZWEITEN BEITRAG handelt K. über den "Zwölferkreis
und das Gottesvolk". Einleitend macht
er deutlich, dass sowohl Historizität als auch ekklesiologische Bedeutung
des Zwölferkreises derzeit umstrit-
ten sind und dass er zu beiden Problemkreisen genauere Auskünfte erarbeiten
möchte. Im Ausgang von 1
Kor 15,3b-5 betont K., dass "der Zwölferkreis mit Petrus an der
Spitze in einer frühen Phase der Jerusalemer
Urgemeinde eine theologisch qualifizierte Rolle gespielt hat" (112);
bereits vor Paulus habe aber eine "Ver-
schiebung" stattgefunden, so dass neben dem Zwölferkreis eine
andere Gruppe ("Jakobus und alle Apostel")
Leitungs-Autorität bekommen habe. Hieraus schließt K., dass "es
sich beim Zwölferkreis um (primär wohl
galiläische) Jesusanhänger aus der Phase seines vorösterlichen
Wirkens handelt" (113), der im Zuge des An-
wachsens der Jerusalemer Urgemeinde vor allem durch hellenistisch geprägte
Mitglieder etwas ins Hintertref-
fen geriet. Insbesondere die im Zwölferkreis zum Ausdruck kommende,
"auf die Restitution des eschatologi-
schen Zwölfstämmevolkes ausgerichtete Konzeption" war nicht
mehr aufrechtzuerhalten. So steht nach K. -
durchaus im Einklang mit Joachim Gnilka - der vorösterliche Zwölferkreis
symbolisch in enger Verbindung
zur Reich-Gottes-Botschaft Jesu Christi, die sich eschatologisch auf das
Gesamtvolk Israels bezieht, auch
wenn dies bereits in den hellenistisch geprägten Kreisen der frühen
Kirche kaum mehr nachvollzogen werden
konnte. Gleichwohl hat diese Konzeption ekklesiologisch hohe Bedeutung,
da die Jerusalemer Urgemeinde
sich vor dem genannten Hintergrund als Kern eines universalen Gottesvolkes
versteht, dem sich alle Men-
schen unterschiedslos anschließen können - und um ihres Heiles
willen auch sollen.
Ein DRITTER hier angeschauter BEITRAG behandelt Geistbesitz,
Geistverleihung und Wundermacht in
der Apostelgeschichte 8,5-25. K. referiert ausführlich die textkritische
Forschungssituation zu dieser vieldis-
kutierten Stelle und kommt in Bezug auf die hauptsächlich diskutierte
Person des Simon Magus und seines
Einflusses im Wesentlichen zu folgenden Ergebnissen: Verarbeitet ist in dieser
Textstelle offenbar eine vor-
lukanische Tradition, die ein Bild Simons des Magiers kennt, nach welchem
dieser ein erfolgreicher Wunder-
täter gewesen ist und als "große Kraft (Gottes)" verehrt
wurde. Dies habe wohl eine gewisse Zeitlang in Kon-
kurrenz zu christlichen Gemeinden gestanden, sei dann aber als nicht wirklich
durch den Geist Gottes geseg-
net entlarvt worden. Vor diesem Hintergrund konnte die Gestalt des Simon Magus
zum Prototyp des Ketzers
in der Alten Kirche überhaupt werden.
Im Ganzen gehen die im Buch versammelten Beiträge
recht verschiedene Themenkreise der neutestamentli-
chen Forschung an und vermitteln so einen vielfältigen Einblick in den
immer wieder heftig und fruchtbar
diskutierten Zusammenhang von Hellenismus und frühem Christentum.
Herbert Frohnhofen, 21. September 2008