Otto Kaiser, Zwischen Athen und
Jerusalem. Studien zur griechischen und
biblischen
Theologie, ihrer Eigenart und ihrem Verhältnis (Beihefte zur Zeit-
schrift für die alttestamentliche Wissenschaft 320)
Berlin-New York 2003;
Dieser Band versammelt eine
Reihe von Einzelstudien des Autors, die fast alle seit 1998 in anderen Zusam-
menhängen bereits erschienen sind. Thematisch kreisen die Beiträge um das
Verhältnis der antiken grie-
chischen und der biblischen Theologie; deshalb trägt der Band - im Anklang an
das berühmte Diktum
Tertullians - den Titel "Zwischen Athen und Jerusalem".
Der erste Beitrag über die Bedeutung der griechischen Welt
für die alttestamentliche Theologie macht
auf die gemeinsamen Wurzeln beider kulturellen Zusammenhänge aufmerksam;
entsprechende Parallelen
wurden bekanntlich von der jüdischen und christlichen Apologetik "später mittels
der Abhängigkeit der
griechischen Dichter und Denker von Mose und den Propheten zu erklären gesucht" (3). Dabei
werden -
bei allen Unterschieden - als wichtigste Gemeinsamkeiten das Wohnen des jeweiligen Gottes auf einem
Berg und seine
Rechtsetzung für die Menschen angesehen. Auch auf dem Gebiet der Kultpraxis sowie bei
der Unterwelts- und
Seelenvorstellung gibt es Parallelen (4f).
Der zweite Artikel vergleicht das biblische Buch Deuteronomium mit
Platons Schrift Nomoi. Dabei
gilt bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Herkunft sowie ihres Sitzes im Leben und
in ihrer jeweiligen Kultur,
dass beide Bücher rechtsetzend sind und das Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaft
regeln sol-
len. Beide Gesetzessammlungen stammen aus göttlichen Zusammenhängen; sie enthalten also
göttliches
Gesetz. Sie nehmen aber Bezug auf die kulturellen Kontexte der Menschen und sind gerade deshalb von
hoher
Bedeutung. Für K. gibt es allerdings auch einen wichtigen Unterschied: Das Deuteronomium redet
"von Gott her
und behaftet den Einzelnen auf seine Stellung vor Gott und neben dem Bruder... Platon (hin-
gegen) redet zu Gott hin
und entwirft die heuristische Utopie einer Polis, in der Gott das Maß aller Dinge
ist und die Bürger
versuchen, ihm ähnlich zu werden" (61). Dies führt der dritte Abschnitt weiter aus, wenn
er das Zusammenwirken von Gott und
Mensch als Gesetzgeber in Platons Nomoi differenzierter schil-
dert. Für die Gesetzgebung sei Gott
das Maß aller Dinge; und die menschliche Vernunft habe sich dem an-
zugleichen bzw. zu unterwerfen. Ziel der Gesetzgebung
sei "ein Staat, dessen Bürger... in Freundschaft,
Einsicht und Freiheit leben bzw. ein solcher, der selbst frei
und freundschaftlich geeint ist und Vernunft be-
sitzt" (76). Und auch der vierte Beitrag, der Gott als Lenker
des menschlichen Schicksals in Platons No-
moi zum Thema hat, unterstreicht "das Walten der göttlichen Urvernunft"
(92) in der Gesetzgebung und im
Staat allgemein, so dass das Glück (die eudaimonia) des Menschen davon abhängt,
"daß er sich nicht selbst
überhebt, sondern demütig und bescheiden der Gerechtigkeit treu bleibt" (92). So bleibt
als Ziel des Men-
schen, Gott ähnlich zu werden und so seiner Gesetzmäßigkeit in der Welt zu entsprechen.
Xenophons Frömmigkeit ist Thema eines weiteren Beitrags dieses
Buches. Hier wird deutlich, wie diffe-
renziert die xenophonische Schrift >Anabasis< seine Lebenshaltung und Frömmigkeit
entfaltet. Er achtet
sehr das delphische Orakel und gibt Hinweise für dessen angemessenen Gebrauch.
Er diskutiert auch auf
allgemeinere Weise die Bedeutung göttlicher Zeichen, denen er vollständig ergeben
ist. Der Zusammenhang
von Opfer und einem angemessenen Gebet wird erörtert und der Traum als gottgesandtes inneres
Zeichen
vorgestellt. Schließlich tritt er für das Halten von Gelübden ein, lobt Tapferkeit wie Treu und Glauben.
Kein
Wunder, dass Diogenes Laertius den Xenophon als vortrefflichen Mann würdigt, der "gottesfürchtig,
gewis-
senhaft im Opferdienst, kundig in der Auslegung der Opferzeichen und ein streng ergebener Nacheiferer des
Sokrates
gewesen" sei (132). Beim Vergleich des biblischen mit dem philosophischen Monotheismus
kommt der Autor
zum Ergebnis, dass "das Vermächtnis des Alten Testaments an die Welt... das Verständnis
der Existenz
als Gabe und als Aufgabe (ist), getragen von dem Grundvertrauen, dass der ganz andere, sich
jedem denkenden und
handelnden Zugriff des Menschen entziehende Gott, trotzdem allen Menschen nahe
und ihnen in seinem Willen,
dass sie mit ihm und untereinander Gemeinschaft halten, bekannt ist", während
das "Vermächtnis
der Griechen an uns... der Appell (ist), die Welt, wie sie ist, zu erkennen und ohne Hybris
miteinander den unendlichen
Weg in eine gerechtere Welt zu sichen" (151).
In Bezug auf die Schöpfungsmacht des Wortes Gottes macht
K. auf die Singularität der Transzendenz des
biblischen Schöpfergottes aufmerksam und auf seine übergroße
Macht, die sich gerade in seiner Fähigkeit zur
Schöpfung mit dem Wort zeigt. Die Schönheit des Menschen
(und seines gesamten Lebens) als Gabe Gottes
wird vor allem im Buch Kohelet und im Hohen Lied beschrieben. Hierzu
gehört auch die "Aufforderung, sich
seiner Jugendtage zu erfreuen, eh die bösen Tage und die Jahre des
Alters kommen, die ihm nicht gefallen und
unabwendbar mit seinem Tode enden" (176). Einbezogen ist die Schönheit
der Seele, die sich im Gesichtsaus-
druck spiegelt. Ein dem griechischen Ideal und der griechischen Wirklichkeit
entsprechendes Verständnis von
Freiheit gibt es im Alten Testament so nicht. Allerdings,
so der Autor, "gewährt uns das alttestamentliche
Sklavenrecht einen beschränkten Einblick in den langsamen Fortschritt
des Verständnisses der Wertschätzung
der individuellen Freiheit" (190). Denn nach "dem Heiligkeitsgesetz
widerspricht es... grundsätzlich dem
Rechtsanspruch Jahwes, einen Israeliten... in die Sklaverei zu verkaufen
bzw. einen jüdischen Schuldsklaven
als einen solchen zu behandeln" (192).
Die Bindung resp. Beinahe-Opferung Isaaks analysiert K.
im Detail und kommt dabei zum Ergebnis, dass
an dieser Stelle einerseits der grundsätzlich bestehende Rechtsanspruch
Jahwes auf das Leben des Erstgebo-
renen sowie des Abrahams Respektierung desselben, dass aber auf der anderen
Seite die Gnade Jahwes und
seine Ablehnung von Brandopfern unterstrichen werde. "Die Bereitschaft
des Menschen, auf sein Glück und
seinen Lebenssinn zu verzichten, wenn Gott es von ihm verlangt," so
K., "ist der Erweis seiner Gottesfurcht:
Und daher nimmt Gott die Bindung als vollzogenes Opfer an und gibt dem
Vater den Sohn und dem Sohn
den Vater zurück" (224).
Aspekte der Anthropologie Ben Siras (Jesus Sirach) diskutiert K.
unter dem Titel der Mensch als Ge-
schöpf Gottes. Hierbei verweist er auf die vielfach dargestellten
Zusammenhänge zwischen der Psyche
und der Physis des Menschen, die Betrachtung der Kürze des Lebens
als Anlaß für die Barmherzigkeit
Gottes, die Darstellung der abgrundtiefen Sündhaftigkeit des Menschen
sowie des Todes als des unver-
meidlichen Schicksals des Menschen. Gerade letzteres findet breiten Niederschlag
im Carpe Diem und
Memento mori in Dichtung und Denken der Alten, bei Kohelet und Ben Sira,
für das viele Beispie-
le dargestellt und interkulturell verglichen werden. Während das
Carpe Diem bei Epikur der wahren Lust
dient und in der Stoa im Horizont einer Ethik der Pflicht formuliert wird,
dient es bei Kohelet und Ben
Sira dazu, vor dem Hintergrund der Gottesfurcht im Leben jeweils die angemessenen
Prioritäten zu set-
zen. "Dabei steht die intakte Gottesbeziehung an erster Stelle; denn
sie ist die Voraussetzung für ein lan-
ges und gesegnetes Leben" (269). Hierbei ist das Verständnis
des Todes bei Ben Sira wesentlich auch
geprägt durch die Gegenüberstellung von des Menschen Vergänglichkeit
zur Ewigkeit Gottes; denn:
"Wie ein Wassertropfen aus dem Meer und ein Sandkorn (verhalten sich)
die wenigen Jahre (des Men-
schen) zu einem Tage der Ewigkeit (Gottes)" (Jes Sir 18,10). Der Tod
ist es, der des Menschen Stand
zu Gott enthüllt.
Schließlich bearbeitet K. die Rezeption der stoischen Providenz
bei Ben Sira und kommt hierbei zum
Ergebnis, dass die "teleologische Theodizee (Ben Siras) der Sache nach
die Vorsehung oder Providenz
Gottes voraus(setzt). Sie impliziert ebenso sein Vorherwissen, seine Präszienz,
wie seine Allwissenheit,
seine Omniszienz, und bedarf zu ihrer Realisierung seiner Allmacht oder
Omnipotenz" (299). - So unter-
streicht auch der letzte Beitrag dieses Bandes erneut die mit ihm verbundene
These, dass antike griechi-
sche Kultur und biblisches Denken einander ausgesprochen nahestehen und
aus ähnlichen Quellen schöp-
fen. Offenbarungstheologisch spricht man diesbezüglich bekanntlich
von den zwei (Selbst-)Offenba-
rungswegen Gottes. Philosophisch könnte man dies auch die Unteilbarkeit
der Wahrheit heißen.
Herbert Frohnhofen, 11. September
2006