Martin Ebner u.a., Ökumenische
Kirchengeschichte.
Band 1: Von den Anfängen bis zum Mittelalter,
Darmstadt 2006;
Dieses Buch ist der erste Band einer Neuausgabe der
bereits 1970 bzw. 1973/74 erstmals und dann in einer Rei-
he von Auflagen erschienenen "Ökumenischen Kirchengeschichte".
Ziel dieses damals absolut neuartigen Werkes
war eine "von Historikern und Theologen der großen christlichen
Konfessionen gemeinschaftlich erarbeitete Ge-
samtdarstellung der Kirchengeschichte" (9), mit der nicht harmonisierende
Absichten verfolgt, sondern die Dif-
ferenzen zwischen den Konfessionen, wissenschaftlich versachlicht, einem
besseren Verständnis zugeführt wer-
den sollten. Deshalb sollten "die einzelnen Abschnitte jeweils von
Autoren unterschiedlicher Konfession abgefasst,
jedoch gemeinsam ratifiziert werden..., wobei abweichende Meinungen,
die bestehen blieben, zu vermerken wa-
ren" (9). Die jetzt vorliegende Neuausgabe - so die Herausgeber
- konnte an diese Absicht "zwanglos anknüpfen,
sie zugleich jedoch behutsam modifizieren" (10). Interessant
ist: die Übereinstimmung der (zumeist neugewonne-
nen) Autoren hat "offenbar zugenommen - das Verfahren zur Fixierung
von Abgrenzungen ist durch Nichtgebrauch
gewissermaßen außer Kraft getreten" (10). Vor dem
Hintergrund, dass in der Vergangenheit "die kirchenhistori-
sche Wissenschaft in allen konfessionellen Lagern viel eher als Waffenlieferant
im innerchristlichen Streit gedient
und an der Stabilisierung der Fronten maßgeblich mitgewirkt"
(9) hatte (was für eine abstoßend militärische Spra-
che, zumal in kirchlichem Kontext!), ist es bemerkenswert, dass
die Ökumenische Kirchengeschichte numehr "zu
einem Gemeinschaftswerk geworden" ist, und zwar "mit dem Ziel,
ein brauchbares, allgemein verständliches Lehr-
und Lesebuch zu bieten" (10). Der vorliegende erste Band der Neuausgabe
enthält sowohl Texte der vorherigen
Ausgabe, die lediglich durchgesehen und zum Teil umgearbeitet wurden, als
auch - und dies in der Mehrzahl -
völlig neu gestaltete Abschnitte.
Der ERSTE ABSCHNITT ("Die Kirche in vorkonstantinischer
Zeit") zerfällt in zwei Teile. Der münstera-
ner katholische Exeget MARTIN EBNER beschreibt zunächst die Kirche
von den Anfängen bis zur Mitte
des 2. Jahrhunderts und legt hierbei einen deutlichen Akzent
auf Entstehung/Ausbreitung sowie Institutio-
nalisierung der frühen Kirche. Die schwierigen Fragen um den Anfang
der Kirche behandelt er meisterhaft,
indem er in knapper, aber instruktiver Form sowohl die Ereignisse um
Ostern und Pfingsten im zeitgenössi-
schen Kontext und damit in ihrer Bedeutung plausibel macht als auch
die passende Antwort gibt im Hinblick
auf das Verhältnis Jesu zur Kirche: "Die entscheidende Frage
ist nicht, ob Jesus die Kirche gewollt hat, son-
dern inwiefern kirchliche Realisierungsversuche mit der Vision Jesu
kongruent erscheinen" (19). Vergleichs-
weise ausführlich schildert E. den "schwierigen Weg (des christlichen
Glaubens) zu den Heiden", das meint
also insbesondere die Konflikte jener unterschiedlichen Gruppen und
deren Leitungen, die einen Kampf da-
rüber ausfochten, wer denn nun genau und vor allem unter welchen
Bedingungen zur Kirche gehören kön-
nen sollte. Die Frage der Beschneidung spielt dabei zwar eine herausgehobene,
keineswegs aber alleinige Rol-
le. Im Rahmen der beginnenden Institutionalisierung der Kirche hat es
immer Wert zu beachten, dass die frü-
he Kirche - bis ins 3. Jahrhundert hinein - sich dagegen wehrt, Priester
zu haben und als Protagonistin einer
Religion angesprochen zu werden, zu wichtig ist es ihr, sich von den Religionen
und Priesterkonzepten der
Zeit zu distanzieren. Was die heute so viel beachtete sog. "Ent-Feminisierung"
der frühchristlichen Ämter an-
geht, sagt E. kurz und knapp: "Frauen wurden nicht aus dem Amt verdrängt,
sondern: sie waren längst 'drau-
ßen', als kirchliche Ämter konstruiert wurden" (50).
Für die Zeit
von der Mitte des 2. bis zum
Ende des 3. Jahrhunderts beschreibt CHRISTOPH MARK-
SCHIES zunächst das christliche Leben in in einer pagan geprägten
Umwelt. Hierbei macht er deutlich, wie
fremd das eigene religiöse Institutionen schaffende Christentum
auch im römischen Reich des dritten Jahrhun-
derts noch geblieben war, auch wenn M. überraschenderweise die
strikte Entgegensetzung von jüdisch-christ-
lichem Monotheismus und paganem Polytheismus als Überzeichnung
antiker christlicher Polemik zurückweist.
Ob die Tatsache, dass M. hier eine angebliche
Aufweichung sowohl
des jüdischen als auch des christlichen
Monotheismus - aufgrund der Entwicklung
"göttlicher Assistenzfiguren"
im Judentum und der Trinitätstheo-
logie im Christentum - behauptet (63), eine Verbeugung gegenüber
dem modernen
"Lob des Polytheismus"
(Marquard) geschuldet ist? Ja M. geht in seiner Überzeichnung noch
weiter:
"Man muss sich immer klarma-
chen, dass wir eine ganze Anzahl von Belegen für praktischen
Alltagspolytheismus und Synkretismus von an-
tiken Christen besitzen" (63). Instruktiv ist dann aber die Darstellung
der frühesten
Entwicklung des christ-
lichen Martyriums, in Bezug auf die es sich lohnt,
an
anderer Stelle eine längere Passage zu zitieren.
Der ZWEITE ABSCHNITT ("Die Reichskirche bis
zum Ausgang der Antike") enthält vier Kapitel. Zunächst
beschreibt der bereits verstorbene Altmeister der Patristik BERNHARD KÖTTING
das Verhältnis von Kir-
che und Staat. Konstantin erscheint als "eine der herausragenden
geschichtlichen Persönlichkeiten..., die der
Kirche bei der Erfüllung ihrer Aufgaben von großem Nutzen"
waren (101). Auch wenn es bekanntlich über die
persönliche Haltung Konstantins zum christlichen Glauben bis heute
kein einheitliches Urteil gibt, war es wohl
seine "feste Überzeugung, am Anfang einer geschichtlichen Epoche
zu stehen und dazu berufen zu sein, eine
neue, christliche Ära einzuleiten" (105). Die staatliche Gesetzgebung
wurde deshalb sehr ausgeprägt christlich
beeinflusst. Der Streit mit Symmachus "um die Beibehaltung der staatlichen
Unterstützung für den gesamten
heidnischen Kult" (114) motiviert Ambrosius freilich, erstmals
zu verlangen, dass der Staat allein die durch
den christlichen Glauben verkündete Wahrheit unterstütze: "Nur
das politische Handeln, das sich diese Wahr-
heit als Richtschnur nimmt, dient dem wahren Wohl des Volkes und der
gesamten Menschheit" (115). "Der Irr-
tum", so die theologischen Größen der Zeit, "hat
kein Lebensrecht" (115). In der Folgezeit setzt sich der christ-
liche Glaube als vorherrschende Religion im Reich immer mehr durch: Tempel
werden zerstört oder als Kir-
chen umgewidmet, die platonische Akademie wird geschlossen (529) und bereits
im sechsten Jahrhundert tau-
chen erste Forderungen nach Zwangstaufen auf. Die großräumige
Gliederung der Kirche, wie sie wiederum
BERNHARD KÖTTING nur kurz beschreibt, ist schon bald durch die Entstehung
der Patriarchate geprägt, um
deren Vorsitz zum ersten Mal akut im Jahre 431 in Ephesus gerungen wird.
ALFRED SCHINDLER beschreibt die theologische und
dogmatische Entwicklung in der frühen Kirche.
Ausführlich bekommen hier natürlich die christologischen Auseinandersetzungen
von Arius bis zum sechsten
Ökumenischen Konzil von Konstantinopel (680/81) ihren Raum; aus dem
lateinischen Westen hingegen wird
der Streit des Augustinus und des Pelagius um die Gnadenlehre dargestellt.
Des weiteren beschreibt Sch. die
Anfänge des Mönchtums und betont hierbei, dass die nicht
zufällig sich im vierten Jahrhundert verbreiten-
de Auffassung, dass nur das monastische das mit letzter Konsequenz gelebte
christliche Leben sei, nicht den
Mönchsvätern selbst entstamme, sondern die frühchristliche
Spiritualität schon einen klaren Blick für die gleich-
wertige Vielfalt der Lebensformen in der Nachfolge Jesu Christi gehabt
habe. Auch als Protestant kann Sch.
würdigen, dass "im Mönchtum die Möglichkeit der echten
Nachfolge Christi (lag), und ohne Zweifel" - so Sch.
- "hätte es zu einer geistlichen Verarmung der Kirche geführt,
wenn sie, ohne den Zweig des Mönchtums zur
Blüte zu bringen, in die Zeit der statlichen Anerkennung hineingewachsen
wäre" (160). Die von Mönchen ge-
übte Askese mag zwar in Einzelfällen durchaus mit einer Abwertung
der verschiedenen Lebensmöglichkeiten
des Menschen einhergegangen sein: "Aber das eigentlich Gemeinte ist
bei den großen Asketen doch positiv fass-
bar: Es handelt sich hier nicht um die mühsame Niederhaltung eines
natürlichen Triebes, sondern um die Befrei-
ung von allen Bindungen und Leidenschaften, die den Menschen ans Vergängliche
und an sich selbst fesseln kön-
nen... An die Stelle allerhand ungeordneter Begierden traten Abgeklärtheit,
Freude, Liebe zu den Mitmenschen
und als Höchstes die Gottesliebe und Gottesschau" (161).
Der DRITTE ABSCHNITT ("Das frühe Mittelalter")
enthält fünf Kapitel. Zunächst beschreibt RAYMUND
KOTTJE die Kirche im Herrschaftsbereich der Germanen und Kelten vor
600 und betont hierbei sowohl
die frühe Bedeutung der Westgoten, die bereits Ende des 3. Jahrhunderts
nördlich der unteren Donau durch die
Römer mit dem Christentum bekannt werden, als auch und besonders den
Einfluss der Kelten und Iren auf den
christlichen Glauben des Festlands; dabei liegen die Anfänge des christlichen
Glaubens bei den Kelten und Iren
bis heute im Dunkeln. Die Bedeutung dieses Einflusses wird nicht zuletzt
dadurch unterstrichen, dass "die Ver-
bindung zwischen dem Papst und der Kirchengründung bei den Angelsachsen
von Anfang an" sehr eng gewesen
ist (195). Bedeutsam ist auch die Akzentverschiebung, die durch die Übernahme
des christlichen Glaubens durch
die Germanen geschieht: "Nach Jungmann hat die geistige Auseinandersetzung
der Katholiken mit dem Arianis-
mus in den arianischen Germanenstaaten zu einer folgenreichen Akzentverlagerung
im christlichen Denken und
Glauben geführt. In der Abwehr des Arianismus... habe man das gottgleiche
Wesen Christi... besonders nach-
drücklich betont... Dem habe es entsprochen, dass z.B. das Weihnachtsfest
zu Lasten des Osterfestes wachsen-
de Bedeutung erlangt hat. Besonders deutlich aber komme die Neuorientierung
darin zum Ausdruck, dass man
bisher fast ausschließlich 'durch Christus' (per Christum) zum
Vater gebetet habe, während nun das Gebet 'zu
Christus' (ad Christum) immer häufiger wurde" (195).
Das ebenfalls von RAYMUND KOTTJE verfasste zweite Kapitel
("Die Westkirche auf dem Weg zu neuer
äußerer und innerer Einheit") geht von Gregor
dem Großen und seinem Leben aus. Entgegen einer alten und
lange maßgeblichen Überlieferung sei er zwar selbst kein Benediktiner
gewesen, habe sich aber neben seinen
vielfältigen anderen Tätigkeiten immer sehr zum Mönchtum
hingezogen gefühlt und es tatkräftig unterstützt.
Nach Gregor begannen verschiedene Teil- bzw. Landeskirchen recht unterschiedlich
akzentuierte Entwicklun-
gen; und bedeutsam wurde die peregrinatio durch Iren und Angelsachsen.
Die Organisation der Kirche wurde
zunehmend durch das Eigenkirchenwesen geprägt, bevor die fränkischen
Hausmeier neue kirchliche Strukturen
entwickelten und durchsetzten. In der durch WILFRIED HARTMANN beschriebenen
Karolingerzeit nimmt
das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser einen erheblichen Aufschwung;
kurios ist die Schilderung von der
"Leichensynode" aus dem Jahr 897, im Rahmen welcher ein Jahr nach
dem Tod des Papstes Formosus dessen
Leiche ausgegraben und vor Gericht gestellt wurde. Der Einfluss der Könige
auf die Kirche war - nicht zuletzt
aufgrund der Ernennung der meisten Bischöfe und Erzbischöfe -
sehr groß und erstreckte sich nicht selten auch
auf Fragen der Lehre, der Kirchenorganisation und auch des Ordenslebens.
Erst mit Hilfe der gefälschten Do-
kumentensammlung von Pseudoisidor - so Hartmann -, in Bezug auf die nach
neuesten Forschungen wohl Pa-
schasius Ratbertus eine wesentliche Rolle gespielt hat, gelang es ab dem
9. Jahrhundert, die Kirche mehr und
mehr vor den Einflüssen der profanen Mächte zu schützen.
Eine große Rolle für die Armenfürsorge spielten
die Klöster, die oft täglich Hunderte von Armen mit Nahrung und
Kleidung versorgten.
Die Zeit der Ottonen und frühen Salier (4.
Kap.) und auch Kirchenreform und Investiturstreit (5. Kap.)
werden wiederum von WILFRIED HARTMANN beschrieben. Die Christianisierung
in Europa schreitet danach
stark voran; mit der Erwartung des Weltendes für das Jahr 1000 bekommen
eschatologische Strömungen Gewicht
und scheinen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entstehung der Gottesfriedensbewegung
und der Kreuzzüge
genommen zu haben. Auch wenn ein unmittelbarer Zusammenhang nicht mehr behauptet
wird, wird die Cluni-
anzensische Klosterreform nach wie vor als recht bedeutsam für die
allgemeine Kirchenreform im 11. Jahrhun-
dert betrachtet. Der Kampf gegen Simonie, die Durchsetzung des Zölibats
und das Vorgehen gegen den Einfluss
profaner Kräfte auf die Kirche nehmen breiten Raum ein und führen
zu weitreichenden Entscheidungen im Be-
reich der inneren Restrukturierung der Kirche. Der hierdurch in Gang gesetzten
Klerikalisierung der Organisati-
on Kirche steht eine erhebliche Aktivität von durch Laien getragenen
religiösen Bewegungen im 11. und beson-
ders 12. Jahrhundert gegenüber.
Im Ganzen vermittelt das Buch das Bild einer sehr abgewogenen
Darstellung der Kirchengeschichte in etwa des
ersten Jahrtausends. Sein Spezifikum, eine ökumenische Kirchengeschichtsdarstellung
zu sein, fällt erfreulicher-
weise dem Leser in der Regel nicht einmal mehr auf. Zu wünschen wäre
allerdings eine etwas ausgeprägtere so-
zialgeschichtliche Pointierung der Darstellungen, damit auch die Wirkungen
des christlichen Glaubens auf das
Alltagsleben der Menschen noch etwas mehr in den Blick der Lesenden rücken
könnten.
Herbert Frohnhofen, 1. Juni 2007