Carsten Colpe, Griechen - Byzantiner - Semiten - Muslime.
Hellenistische Religionen und die west-östliche Enthellenisierung.
Phänomenologie und philologische Hauptkapitel (WUNT 221) Tübingen 2008;


Dieses Buch des bekannten Religionswissenschaftlers versammelt einundzwanzig Beiträge aus dem weit ver- zweigten Themenbereich des Hellenismus und seinem Umfeld, dem der Autor sich über Jahrzehnte in in-tensiver Forschungsarbeit gewidmet hat. Einige dieser Beiträge seien hier exemplarisch näher angeschaut.

Ein erster hier zu besprechender Beitrag trägt den Titel "Die Barbarisierung der Weisheit". Einleitend macht der Autor auf die Vielschichtigkeit der Verwendung des Weisheitsbegriffs selbst sowie seiner Erfor- schung in verschiedenen Wissenschaftsbereichen aufmerksam. Hierbei spricht er im Hinblick auf die Intensi- tät der Erforschung der Weisheit in der alttestamentlichen Wissenschaft gar von einem "Weisheitsfieber", das "in der Bibelexegese sich angeschickt hatte, das 'mandäische Fieber' und das 'Qumranfieber' abzulösen" (S. 94/Anm. 2). "Barbarentum", so der Autor, stehe "am Anfang einer Entwicklung"; aus der Sicht der antiken Griechen gehe es gerade "um Überwindung des Barbarischen durch eine höhere Kultur oder durch humaneres Recht, um seine Gräzisierung also, an deren Ende Hellenismus" stehe. Das "Barbarische", als das zu Über- windende, sei mithin "archaisch Ungefüges", das aus Sicht der Griechen von den Assyrern, Skythen und Sar- maten repräsentiert wurde (99). Freilich spricht man inzwischen auch von "barbarisierten Hellenen", um an- zudeuten, dass auch diese ihre Hochkultur wieder verlieren konnten und faktisch auch verloren haben (100). In der Zusammenfügung von beidem ist "barbarische Weisheit... nicht unbedingt etwas Schlimmes, etwas Ne- gatives... Es kann etwas Urtümliches, noch Unverdorbenes sein, eine Weisheit, die man bei fremden Völkern kennengelernt hat, mit der es sich lohnt, einen Versuch zu machen, weil die eigene Weisheit versagt hat" (104). So sehr also einerseits vieles Negative und moralisch Verwerfliche mit diesem Ausdruck verbunden wird, so sehr steht er andererseits für das Faszinierende, Anrüchige, Ambivalente und gerade aus diesen Gründen auch Attraktive. Zum Abschluss des Beitrags zählt der Autor in einer Liste die zahlreichen der bar-
barisierten Weisheit zugeschriebenen Eigenschaften und Verhaltensweisen auf und stellt sie neben sogenannte "Barbarenlaster".

Ein weiterer - gerade aus christlicher Sicht - sehr interessanter Beitrag beschreibt Gemeinsamkeiten und Un- terschiede zwischen sog. heidnischen Ritualen und christlichen Sakramenten in der Frühzeit der Kirche. "Kultus, oder Gottesdienst", so stellt C. einleitend fest, "ist herausgehobenes Fest und gehört doch in seiner Häufigkeit und Prägekraft tief in den Alltag" (201). Er wird streng normiert und gibt doch individuelle Ent- faltungsmöglichkeiten, ist sinnliche Erfahrung und doch Träger tiefgreifender theologischer Lehre und spiri- tueller Symbolik. Daran anschließend gibt C. einen kurzen Einblick in frühchristliche Eucharistietheologie sowie deren jüdische Wurzeln, bevor die reichhaltigen Parallelen und Bezüge zwischen der Entwicklung des christlichen Gottesdienstes und sogenannter heidnischer Kulte dargestellt werden. Die Entwicklung des christlichen Gottesdienstes - und dies ist wahrhaft keine neue Erkenntnis - trägt mithin durchaus in hohem Maße synkretistische Züge, wobei die Deutung der oft in paralleler Weise gestalteten Riten natürlich eine sehr neue, eben christusbezogene wird.

Ein wiederum sehr anders geprägter Artikel behandelt die Gelehrsamkeit in der Antike, sowie insbesondere deren Wandel im Kontext von Heidentum und Christentum, vor allem am Beispiel des "Vaters der Kirchen- geschichte" Eusebius von Caesarea. Dabei reicht es nach C. und auch verbreiteter Sicht in der Antike für ei-
nen Gelehrten nicht aus, ein Kompilator oder "Gedächtnisriese" zu sein (226), sondern es ist notwendig, dass all sein Wissen auch vom Logos bzw. dem Nous, also einem ordnenden Prinzip durchdrungen wird, damit wahrhaft von einem Wissenden oder gar Weisen gesprochen werden kann. Eusebius jedenfalls gilt als einer der gelehrtesten Schriftsteller des (christlichen) Altertums, als Forscher, Historiker, Philologe und Apologet. Dabei waren die äußeren Bedingungen für ein Gelehrtenleben des Eusebius keineswegs nur positiv: Christen- verfolgungen, Gegnerschaften, bischöfliche Aufgaben usw. Gleichwohl: das Gelehrtenleben gelang; und sein umfangreiches Werk weist sogar ein Vielzahl unterschiedliche Gattungen wissenschaftlicher Arbeit aus: "dogmatische, exegetische, politische, hagiographische, doxographische und historische Muster" (231). So macht das Beispiel des Eusebius deutlich, dass sehr wohl das Christsein und das hiermit verbundene sich Be- auftragtwissen, das Evangelium auf vielfältige Weise zu verkünden, auch Prägungen des Gelehrtenlebens vornimmt, die ansonsten kaum erklärbar wären.

Im Ganzen liegt ein Band vor, dessen Beiträge von sehr unterschiedlichen Zugängen her bunte Schlaglichter auf den Hellenismus, sein Umfeld und seine Auswirkungen werfen. Ein Beispiel wahrer Gelehrsamkeit also und nicht nur für Insider in hohem Maße interessant.

Herbert Frohnhofen, 1. Juli 2009