Jutta Koslowski, Die Einheit
der
Kirche in der ökumenischen Diskussion.
Zielvorstellungen kirchlicher
Einheit im katholisch-evangelischen Dialog
(Studien zur systematischen
Theologie und Ethik 52) Berlin 2008;
Diese mit
knapp 600 eng bedruckten Seiten sehr umfangreiche Arbeit wurde als Doktor-Dissertation
von der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München unter
der Erstbegutachtung des renom-
mierten Ökumenikers
Peter
Neuner angenommen. Vor dem in der EINLEITUNG dargelegten Hinter-
grund, dass die genaue Ausgestaltung des angestrebten Modells kirchlicher
Einheit einserseits höchst
bedeutsam für die ökumenische Arbeit, ja im Grunde ihre notwendige
Voraussetzung, andererseits aber
bisher weitgehend ungeklärt, ja diffus ist, formuliert die Autorin
als Ziel ihrer Dissertation,
"einen Bei-
trag zur begrifflichen Klärung der verschiedenen Einheitsmodelle
zu leisten, damit die ohnehin kompli-
zierte Einheitsdiskussion nicht noch zusätzlich erschwert wird"
(6). Sie beschränkt dabei ihre Ausfüh-
rungen auf die
"Beziehungen zwischen katholischer und evangelischer
Kirche... aufgrund der Überzeu-
gung, daß hierzulande die Frage nach der Einheit gerade für
diese beiden Kirchen von besonderer Be-
deutung ist" (10). In zeitlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt
auf der Zeit seit den sechziger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts, weil in diesen Jahren mit der 3. Vollversammlung
des Ökumenischen
Rates der Kirchen und dem Zweiten Vatikanischen Konzil wichtige Weichenstellungen
vorgenommen
wurden (11f).
In einem sehr ausführlichen HISTORISCHEN ÜBERBLICK
beschreibt die Autorin zum Einen im De-
tail die historische Entstehung
und Entwicklung der wichtigsten und sehr bekannt gewordenen Einheits-
modelle, und zwar: die Organische
Union, Konziliare Gemeinschaft, Versöhnte Verschiedenheit, Kir-
chengemeinschaft und Koinonia
sowie zum Zweiten weitere wichtige Vorschläge und Diskussionsbei-
träge zu Einheitsmodellen
aus den großen Konfessionen und von einzelnen Theologen. Jeder der erst-
genannten Beiträge zu
den sehr bedeutend gewordenen Einheitsmodellen wird beschlossen durch einen
resümierenden Abschnitt,
in dem die weitere Diskussion zum jeweiligen Modell erläutert und bewertet
wird. Hierbei wird deutlich,
dass keines der vorgeschlagenen Einheitsmodelle uneingeschränkt auf Zu-
stimmung stößt,
so dass in der Tat allen ökumenischen Bemühungen bereits hier ihre
Grenzen aufgezeigt
werden.
Ein anschließender
SYSTEMATISCHER ÜBERBLICK bespricht ekklesiologische Grundlagen der Ein-
heitsdiskussion, und dies verständlicherweise
aus jeweils konfessioneller Perspektive. Aus evangelischer
Sicht benennt die Autorin vor
allem Fragen des Amtsverständnisses und auch der Praxis des Umgangs
mit dem kirchlichen Amt als
auf stabile Weise kirchentrennend. "Das spezifische Charakteristikum ka-
tholischer Ekklesiologie
und zugleich die entscheidende Divergenz im ökumenischen Dialog ist die
Auf-
fassung vom Papsttum als
oberster Leitungsinstanz der Gesamtkirche" (472). Da die Kirchenspaltungen
sowohl im Hinblick auf die
Ostkirche als auch mit Martin Luther auch "eine Folge überzogener
päpstli-
cher Machtansprüche"
gewesen seien, komme "der katholischen Kirche eine besondere Verantwortung
für die Spaltungen
der Christenheit zu. Da der römische Papst nach seinem eigenen Selbstverständnis
einen universalkirchlichen
Dienst an der Einheit ausübt, sollte das Bemühen um die Wiederherstellung
der kirchlichen Einheit
vornehmlich von ihm ausgehen" (472f). Die Aufgabe, ein Einheitsverständnis
aus katholischer Perspektive
vorzulegen, sei durch das II. Vatikanum (im Hinblick auf einen "Inclusi-
vismus") begonnen, aber noch
nicht zu Ende geführt worden.
Im abschließenden
AUSBLICK vertritt die Autorin die These, dass hinsichtlich des Einheitsverständnis-
ses inzwischen ein grundlegender
Konsens vorhanden sei, so dass auch von Konvergenzen in Bezug auf
ein Einheitsmodell gesprochen
werden könne. Übereinstimmung bestehe darin, dass die Einheit der
Kir-
che (a) "ein ekklesiologisches
Grunderfordernis ist" (477), (b) "zugleich eine göttliche Gabe
und eine
menschliche Aufgabe ist"
(478), (c) "sichtbar werden muß" (478) und (d) mit der Vielfalt
in der Kirche
zusammengehört (479).
Für das zu lebende Einheitsmodell bedeute dies: (a) Gemeinschaft im
Abend-
mahl, (b) gemeinsames Bekenntnis,
(c) das Verständnis der Taufe als einheitsstiftendem Sakrament, (d)
gemeinsamen Dienst an der Welt
und (e) gemeinsame Strukturen, in denen es auch Gemeinsamkeit im
Amt gibt. Dies alles wurde
in verschiedenen Verlautbarungen des Ökumenischen Rates der Kirchen
be-
reits formuliert. Nach einer
gründlichen Gegenüberstellung der zuvor untersuchten Einheitsmodelle
mit
diesen genannten Anforderungen
kommt die Autorin zum Ergebnis, "daß eine Konvergenz in der Ein-
heitsdiskussion möglich
erscheint, und daß sie auf der Linie des Modells der korporativen Union
zu fin-
den ist; wichtige Anliegen
der Einheitsmodelle versöhnte Verschiedenheit bzw. Kirchengemeinschaft
sowie korporative Wiedervereinigung
bzw. Gemeinschaft von Gemeinschaften sind dabei mit einzube-
ziehen" (487).
Ein EPILOG
und verschiedene umfangreiche Verzeichnisse beschließen die Arbeit.
Im Ganzen liegt hier
eine sehr detaillierte und
wirklich weiterführende Dissertation vor. Besonders hervorzuheben ist
der nur
zum Teil zu Recht >historisch<
genannte Überblick, der im Kern eine historisch-systematische Gegen-
überstellung der verschiedenen bis heute entwickelten Einheitsmodelle
aufweist, die so in der Literatur
meines Wissens nach bisher
gefehlt hat, für die Diskussion um das gemeinsam zu suchende Einheitsmo-
dell aber unabdingbar ist.
Herbert Frohnhofen, 21. Oktober
2011