"Sündige Selbstbehauptung". Ein Gespräch mit dem Systematiker Jürgen Werbick
über die Schuld der Kirche, in: Herder Korrespondenz 54 (2000) 124-129;
Der Münsteraner Fundamentaltheologe vertritt in diesem Interview zum feierlichen Schuldbekenntnis des Papstes
am 12.3.2000 die Ansichten, daß

-    es aufgrund der gewachsenen Kritik an Teilen der Geschichte der Kirche und aufgrund eines gewandelten
     Selbstverständnisses der Kirche an der Zeit war, ein solches Schuldbekenntnis zu formulieren;
-    in der katholischen Kirche das Bewußtsein um schuldhafte Verstrickungen, die auch die Kirche mit einbegreifen
     können, seit der Befreiungstheologie (Stichwort: strukturelle Sünde) gewachsen ist;
-   die schuldhafte Verstrickung das Volk Gottes in seinem Zeugnisauftrag fehlgehen lassen kann und deshalb die
     Frage, ob man von einer Sünde bzw. einer Schuld der Kirche sprechen kann, keine Prinzipienfrage mehr sei,
     sondern daß dieser Sachverhalt mit dem Wort "sündige Kirche" zu beschreiben sei;
-    es heute eine "indispensable Verantwortungssolidarität mit der Geschichte dieser Kirche" gebe;
-    es bei dem Schuldbekenntnis nicht darum gehen könne, den Tätern der Vergangenheit Schuld nachzuweisen
     oder vorzuhalten, sondern darum, jetzt und hier die Verantwortung für die Spätfolgen ihrer Taten zu über-
     nehmen, diese Taten im Detail aufzuarbeiten und heute anders zu handeln;
-    die Sorge um die Autorität der Kirche bei den "einfachen Leuten" ein solches Schuldbekenntnis nicht verhindern
     dürfe;
-    die Vergebungsbitte nicht nur eine europäische Angelegenheit sei, sondern daß die Spuren früherer
     schuldhafter Handlungen bis heute weltweit ihre Folgen haben;
-    die Konfrontation mit der Zwiespältigkeit der eigenen Geschichte uns sensibler dafür machen kann, zu sehen,
     was das Zeugnis heute erfordert; das Schuldbekenntnis sich an die zu richten habe, gegenüber denen man
     schuldig geworden ist, das Sündenbekenntnis sich hingegen an Gott richten müsse, da die Sünde eine Gott-
     bezogene Größe ist;
-    strukturelle Sünde sich auch in der Kommunikation und der Kommunikationsbereitschaft in der heutigen Kirche,
     etwa durch ewige Rechthaberei, zeigen könne;
-    die Geistzuversicht in der Kirche sich nicht darauf richte, vor allen großen Fehern bewahrt zu werden, sondern
      "lediglich" darauf, davor bewahrt zu werden, nicht mehr Kirche zu sein.