These 1: Am Anfang des 21. Jh. muß
die religiöse Situation der Zeit in globaler wie lokaler Perspektive
als eine Situation des
radikalen religiös-weltanschaulichen Pluralismus verstanden werden.
Das bedeutet, daß im Leben der Gesellschaft unterschied-
liche Basisorientierungen, die eine ganzheitliche Wirklichkeitsdeutung und
Handlungsorientierung zu geben beanspruchen, sich
in einem Verhältnis der Koexistenz und Konkurrenz befinden. Durch den
Zerfall von gemeinsamen, auf den Vernunftprinzipi-
en der Aufklärung gegründeten Wertüberzeugungen der Gesellschaft
erstreckt sich der Konflikt der Basisorientierungen auf
alle Bereiche des Lebens. Die De-Kanonisierung der Prinzipien der Aufklärung
führt zur Re-Kanonisierung religiöser (aber
auch quasireligiöser) Traditionen.
These 2: Der Verlust eines als 'common ground'
postulierten zivilreligiösen Werthorizontes, der als Maßstab der
Vertretung re-
ligiöser Überzeugungen verstanden
wurde, führt dazu, daß religiöse Überzeugungen aus der
Sphäre privater Frömmigkeitspra-
xis in den öffentlichen Bereich drängen
und die Diskussion um Fragen der Zielbestimmung des gesellschaftlichen Lebens
mit- bestimmen. Religös-weltanschaulich pluralistische Gesellschaften
sind darauf angewiesen, daß die handlungsleitenden Überzeu- gungen
ihrer Mitglieder öffentlich transparent gemacht werden und in ihren
Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche Le-
ben öffentlich diskutiert werden können. Der interreligiöse
Dialog ist eine fundamentale Überlebensbedingung pluralistischer Gesellschaften.
These 3: In der Situation des religiös-weltanschaulichen
Pluralismus gibt es keinen Standpunkt 'über' den religiösen und
welt-
anschaulichen Überzeugungsgemeinschaften, weder als eine alle Differenzen
übergreifende monistische Allgemeinsicht noch
als eine jeden besonderen Standpunkt relativistisch nivellierende pluralistisch-polytheistische
Gesamtsicht. Jede Wirklichkeits- deutung ist radikal perspektivisch in dem
Sinne, daß ihr Anspruch auf Wahrheit und Geltung an die personale Gewißheit
de-
rer, die sie vertreten, und die Überlieferungsgemeinschaften, in denen
sie gewachsen ist, gebunden ist. Die Situation des reli-
giösen Pluralismus und die Forderung des interreligiösen Dialogs
sind darum für Christen und Christinnen aus der Perspektive
des christlichen Glaubens zu begreifen, der in fundamentaler Form im Bekenntnis
zu Jesus als dem Christus Gottes zum Aus-
druck kommt.
These 4: Das Christusbekenntnis formuliert
die durch den Geist Gottes in der Bewährung der in der Schrift bezeugten
Chri-
stusbotschaft gewirkte Glaubensgewißheit, daß in Jesus Christus
das endgültige Heil Gottes für die Welt, Gottes Gnade und Wahrheit,
Ereignis geworden ist, so daß Gott nicht mehr ohne Christus geglaubt
werden kann, die Hoffnung der Welt nicht
mehr ohne Christus erblickt werden kann und das Heil der Welt als in Christus
eschlossen verstanden werden muß. Das trini-
tarische Glaubensbekenntnis formuliert den
Inhalt und den Prozeß der Erschließung der Wahrheit des Handelns
und des We-
sens Gottes in Jesus Christus für den christlichen Glauben. Der christliche
Glaube ist demnach auf die das menschliche Chri- stuszeugnis in Dienst nehmende
Selbstvergegenwärtigung Gottes in Christus durch den Geist gegründet.
These 5: Das reformatorische 'solus Christus'
pointiert die Auffassung des Christusbekenntnisses, daß Jesus Christus
der ein-
zige Heilsmittler ist und daß das in Christus Ereignis gewordene Heil
Gottes für die Welt allein durch das Handeln des drei-
einigen Gottes selbst verwirklicht wird. Diese
Auffassung wird durch den Zusammenhang mit den anderen particulae exclu-
sivae der Reformation unterstrichen: Jesus Christus ist die Gnade Gottes
in Person, die allein durch das Wirken Gottes zur
Wirkung kommt (sola gratia), indem Gott die Christusbotschaft der
Schrift, die aufgrund ihres klaren Literalsinns keiner ergänzenden normativen
Auslegung mit gleichem autoritativen Anspruch bedarf (sola scriptura),
den Hörerinnen und Hö-
rern der Christusbotschaft durch das Wirken des Heiligen Geistes so gewiß
macht, daß sie diese Botschaft im existenzbe-
stimmenden Vertrauen auf den dreieinigen Gott aufnehmen und aus ihr ihre
gesamte Lebensorientierung empfangen (sola
fide).
These 6: Die vom christlichen Glauben bekannte
und durch das solus Christus reformatorisch profilierte Einzigartigkeit
Jesu Christi verpflichtet den christlichen
Glauben zu der Überzeugung,
- daß alles
Heil Gottes für die Welt in Jesus Christus verwirklicht ist;
- daß das
Heil Gottes in Christus die Gestalt der unbedingten Zusage der Gnade hat;
- daß das
Heil Gottes durch die vom Geist gewirkte Wahrheitsgewißheit des Glaubens
verwirklicht wird;
- daß die
Botschaft der Schrift 'Regel und Richtschnur' zum Verständnis des Handelns
Gottes zum Heil der Welt ist.
These 7: Aufgrund der im Glauben an Jesus
Christus gewonnenen Einsicht in das Handeln und Wesen Gottes als das allgegen-
wärtige, allmächtige, ewige Wesen
und Handeln Gottes des Schöpfers, Versöhners und Vollenders glaubt
der christliche Glau-
be Gott in allem Geschehen am Werk - auch in den Religionen. Auf der Grundlage
des Christusglaubens begegnen wir den Re- ligionen in der Erwartung des Wirkens
Gottes in ihnen. Dieses allmächtige und allgegenwärtige Wirken Gottes
ist uns vor dem Eschaton verborgen, soweit es
nicht durch die Selbsterschließung Gottes in Christus durch den heiligen
Geist aufgedeckt wird.
Die Religionen sind insofern nicht aus einem wie auch immer gearteten 'religiösen
apriori' anthropologisch zu erklären, son-
dern theologisch zu verstehen. Dieser theologische
Zugang impliziert aber die anthropologische Erkenntnis, daß der Mensch
aufgrund seiner Geschöpflichkeit wesentlich auf Gott den Schöpfer
bezogen und auf die Selbsterschließung Gottes angewiesen
ist.
These 8: Aufgrund der am reformatorischen
solus Christus geschärften Unterscheidung zwischen dem Werk
Gottes und dem
Werk der Menschen kann der christliche Glaube keinen
'Absolutheitsanspruch' für die menschlichen Institutionen erheben, in
denen auf das Handeln Gottes in menschlichem Interpretations- und Gestaltungshandeln
geantwortet wird. Sehr wohl aber muß
der christliche Glaube - wie auch andere Religionen - den 'Wahrheitsanspruch'
der eigenen Glaubensgewißheit vertreten, soweit
sie sich von der Selbsterschließung Gottes
konstituiert weiß, der die Wahrheit ist. Das solus Christus fungiert
auch als fortlau-
fende Erinnerung daran, daß der Wahrheitsanspruch des Christentums
allein in Christus und nicht im Christentum als einer in- stitutio humana
begründet ist.
These 9: Die Verborgenheit des Handelns Gottes
in der Welt, die auch seine Verborgenheit in der Welt der Religionen ein-
schließt, wird nach Luthers Auffassung
erhellt durch die Verborgenheit Gottes im Kreuz Christi, d.h. seine sub
contrario ge- schehende Selbsterschließung: 'Ergo in Christo
crucifixo estvera Theologia et cognitio Dei.' Aus diesem Grunde ist der
christ-
liche Glaube den anderen Religionen primär
die Botschaft vom Erscheinen der Gnade und Wahrheit Gottes in Kreuz und Auf-
erstehung Jesu Christi schuldig. Das Zeugnis von Jesus Christus als Zeugnis
der gewiß gewordenen Wahrheit des Evangeliums
ist ein Implikat der Wahrheitsgewißheit des Glaubens und zugleich
eine Forderung der Nächstenliebe. Die Form der Bezeu-
gung dieser Botschaft muß sich an ihrem Inhalt als Befreiungsbotschaft
orientieren.
These 10: Der interreligiöse Dialog
ist aus christlich-theologischer Sicht aufgrund der Wahrheitsgewißheit
des christlichen
Glaubens geboten, die einschließt, daß der Gott, dessen Gnade
und Wahrheit in Christus durch den Geist für den Glauben
erschlossen ist, auch in den anderen Religionen verborgen wirksam ist und
auf die universale Offenbarung seiner Wahrheit für
seine gesamte Schöpfung abzielt. Die Einsicht in die Konstitution ihrer
eigenen Glaubensgewißheit fordert und ermöglicht es,
daß Christen auch die Gewißheiten von Angehörigen anderer
Religionen respektieren und tolerieren und erwarten, von ihnen
in Zustimmung und Widerspruch zu lernen. Es gibt insofern einen genuinen,
nicht-relativistischen Pluralismus aus Glauben.
These 11: Interreligiöser Dialog wird
unmöglich, wenn die Wahrheitsansprüche der Dialogpartner im Dialog
ausgeklammert
werden. Dann begegnen sich nur noch die kulturellen Ausdrucksformen religiöser
Überzeugungen. Erst im Dialog der Wahr- heitsgewißheiten begegnen
sich die Religionen. Dialog wird dann möglich, wenn die jeweiligen Dialogpartner
sich gegensei-
tig die Selbstdefinition ihrer eigenen Position gewähren und ihre Interdependenz
aus der Perspektive der eigenen Glaubens- überzeugung bestimmen können.
Das Medium des Dialogs wird dabei erst im Vollzug des Dialogs durch den Versuch
der Übersetzung der eigenen Glaubensüberzeugung in die Sprache der anderen und ihrer Überzeugungen
in die eigene Sprache geschaffen. Das Ziel des Dialogs ist immer größeres
wechselseitiges Verständnis, auch wenn dies die Differenzen stärker
her- vortreten läßt als die Gemeinsamkeiten. Die Kritik an den
Ausdrucksformen der Glaubensüberzeugungen anderer Religionen
wird dann an Überzeugungskraft gewinnen, wenn sie mit der Selbstkritik
des Christentums verbunden ist, die sich darauf rich-
tet, daß die institutiones humanae an die Stelle Gottes und
seiner Wahrheit gestellt wurden. Der interreligiöse Dialog dient da-
rum den einzelnen Religionen zur religiösen Kritik der Idolatrie.
These 12: Interreligiöser Dialog muß
sich im Kontext des praktischen Zusammenlebens der Religionen und Weltanschauungen
in der Situation des weltanschaulich-religiösen
Pluralismus bewähren. Er hat nicht zuletzt seine Bedeutung darin, die
unter- schiedlichen Basisorientierungen der Mitglieder einer pluralistischen
Gesellschaft füreinander transparent zu machen. Das ist
eine wesentliche Voraussetzung für die Kooperation von Mitgliedern
unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungsge- meinschaften zur Verwirklichung
eines jeweils aus ihren eigenen Perspektiven wahrgenommen und begründeten
bonum com-
mune der Gesellschaft. Für Christen bewährt sich in dieser durch
den interreligiösen Dialog ermöglichten Kooperation die im Glauben
an Jesus Christus erkannte und im Christusbekenntnis
formulierte Erkenntnis des Wesens Gottes als Liebe im Tun
der Liebe als Erfüllung des Willens Gottes.