Vor dem Hintergrund, dass die "Deutung der Zeichen der Zeit zu den zentralen
Aufgaben des christlichen Glaubens" gehört (1), macht der Autor
den Deutungsvorschlag: "Der religiöse Pluralismus wird als Signatur,
also als Identifikationsmerkmal... unserer Lebenswelt behauptet" (1).
Konstatiert wird "erstens die religiöse Pluralisierung unserer Alltagswelt
als Begleiterscheinung der Migrationsbewegungen am Ende des 20. Jh."
(3), zweitens "die Wiederkehr des Religiösen... am Beispiel des Phänomens,
das
ich postsäkulare Religiosität nennen möchte" (4) sowie
als "dritter Aspekt... dieTatsache, daß auch das Christentum in
unserer Gesellschaft von den beiden genannten Bewegungen mitbetroffen ist"
(5). Zusammenfassend gilt: "Die Wiederkehr des Religiösen
in der Öffentlichkeit konfrontiert uns mit der Vielfalt des Religiösen.
Die Renaissance des Religiösen vollzieht sichals religiöser Pluralismus.
Die Vielfalt des Religiösen zu verstehen, wird... zum zentralen Aspekt
unserer Lebenswelt" (6).
Dieser religiöse Pluralismus trifft bei uns auf eine zunehmend individualisierte,
aufgrund ihrer sog. Modernität enttraditiona-
lisierte Lebenswelt. (9-11)und ist selbst Produkt einer bereits aus Reformation
und Religionskritik historisch gewachsenen religiösen Pluralität,
dem von staatlicher Seite nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
das Prinzip der Religionsfrei-
heit gegenübergestelt wurde. Der religiöse Pluralismus wurde hierdurch
gefördert und zur Signatur unserer Zeit: "Wo einst die Kirche stand,
ist jetzt der Marktplatz der religiös-weltanschaulichen Orientierungen,
wo unterschiedliche,miteinander konkur- rierende Deutungender Wirklichkeit
angeboten werden, die aber alle Letztgültigkeit beanspruchen in dem
Sinn, daß sie den Sinngesellschaftlichen Handelns im Verweis auf einen
letzten Sinngrund der Wirklichkeit begründen" (15).
2. Signaturen des Christlichen im religiösen Pluralismus
Aus ausdrücklich refomatorischer Position betont der Autor, dass auch
das Christentum selbst konstitutiv pluralistisch sei.
Dies ergebe sich daraus, dass der christliche Glaube allein von Gott geschaffen
werde und für das menschliche Handeln unverfügbar sei. Der von
Gott geschenkte Glaube habe stets die Gestalt einer personalen Glaubensgewißheit;
und es gebe ihn deshalb nur in personaler Vielfalt. Das Bewußtsein
um die Bedeutung der eigenen personalen Glaubensgewißheit sei "zu-
gleich auch der Grund der Toleranz anderer Glaubensgewißheiten" (19).
Die christliche Geleinde sei durch die Situation des religiösen Pluralismus
dazu herausgefordert, "zur Schule christlicher Identitätsbildung zu
werden" (22), d.h. insbesondere sei
sie "derprimäre Ort derEinübung in die Praxis des Pluralismus"
(23).