"Wo wäre das, was man so landläufig 'verklemmt'
nennt, wohl besser zu studieren? Wo kann man Resignation, Frustration und
bedrückte Stimmung bis
hin zu veritablen Jammerdepressionenzuverlässiger und uneingeschränkter
finden? Wo ist eine Problemtrance schneller herstellbar?" (9)
Allerdings: "Die katholische Kirche ist gewiß
der erfolgloseste Selbstmörder der ganzen Menschheitsgeschichte. Zweitausend
Jahre lang ist es ihr trotz
eifriger Bemühungen nicht gelungen,sich selbst den Garaus zu machen.
Da wäre von dieser merkwürdigen Einrichtung womöglich nochetwas
zu lernen. Gleichzeitig könnte man dabei aber auf verborgene Kräfte
stoßen, die für eine Therapie des Patienten nützlich sind"
(10).
I. Einblicke - Vor der Therapie
Ausgangspunkt ist für Lütz ein
beliebiger Visitationsbesuch des Bischofs in einer Pfarrgemeinde. Diskutiert
werden mit Sicherheit vier Themen:
(1) Sexualität und
Kirche bzw. der Papst und die Kondome,
(2) der Zölibat als
Problem bzw. wir haben nicht mehr genug Priester,
(3) Frauen und Kirche bzw.
ohne Frauenpriestertum keine Gleichberechtigung,
(4) der römische Zentralismus
bzw. wir haben sowieso nichts zu sagen.
Da der Bischof auf alles - wie man vorher
weiß - nur unzureichend antworten kann, ist die Frustration
vorhersehbar, also: Problemtrance.
II. Der Patient - Zur Situation der katholischen Kirche
1. Feststehende Riten
Nach Lütz gibt es in der kath.
Kirche inzwischen einen Konservativismus der vermeintlich >Progressiven<.
Sie bleiben immer an denselben Themen
hängen. Dabei sind "doch erfüllte Sexualität, Selbstverwirklichung
als
Mann oder als Frau und schließlich
das Projekt gesellschaftlicher und politischer Freiheit die irdischen Utopien
einer Menschheit, die vor höheren
Zielen resigniert hat. Von der katholischen Kirche erwartet man offenbar,
jenen zerbrechlichen Zielen einen geradezu
sakralen Bestand zu geben - und reagiert mit enttäuschter Em-
pörung, wenn diese Kirche sich
dem verweigert" (17).
2. Vaterlose Gesellschaft und Heiliger Vater
Angesichts einer vaterlosen Gesellschaft
mit innerer und äußerer Abwesenheit vieler Väter wundert es
nicht,
daß viele Menschen sich gerade
die männlich geführte Kirche bzw. deren Führungspersonen aussuchen,
um
ihr pubertäres Gehabe auszuleben.
Dabei werden allerlei Ammenmärchen über die Kirche verbreitet (Leib-
feindlichkeit ihrer Lehre, Hexenverbrennung
im Mittelalter u.ä.), die völlig an den Realitäten vorbei gehen.
3. Machtvolle Familienmythen
Ähnlich wie früher Katholiken
und Protestanten stehen sich heute oft >Konservative< und >Progressive<
in
der Kirche so gelähmt und bewegungslos
gegenüber wie ein im unüberbrückbaren Streit gealtertes Ehepaar.
4. Drama ohne Ende
Aus dieser Konstellation entwickelt
sich oft ein >Drama-Dreieck< mit >Rettern<, >Verfolgern<
und >Opfern<.
III. Scheiternde Therapien - Über schlechte Erfahrungen mit der Psychotherapie
Lütz nennt einige Beispiele
für aus seiner Sicht negative Begegnungen von Psychotherapie und Kirche:
Drewermann, Funke, und der verbreitete
unkritische Umgang mit der Gesprächspsychotherapie von Rogers.
IV. Skeptische Hoffnung - Der Paradigmenwechsel in der Psychotherapie
Lütz macht kurz mit der
systemischen Therapie bekannt und mit dem Versuch, die Ressourcen der Klienten
stärker zu beachten.
V. Blockierungen - Sichere Wege zum Ungl¸cklichsein und ihre sorgfältigen kirchlichen Umsetzungen
Im Rückgriff auf Watzlawicks
>Anleitung zum Unglücklichsein< zeigt Lütz auf, wie in der
Kirche diese Anleitung
glänzend befolgt wird:
(1) das Utopiesyndrom:
der unrealistische Wunsch nach dem Frauenpriestertum
(2) die großen
Vereinfachungen: vorfindlich in kirchlichen Jammertalbeschreibungen
(3) die Starrheit
der Rollen: findet sich in den verschiedenen Parteien der Kirche
(4) die a-historische
Einstellung: vorfindlich im Ruf nach den Bischöfen; diese, so Lütz,
haben die Kirche
noch nie aus einer Krisenzeit geführt.
VI. Lösungen - Was die Kirche über die Verwendung von Ochsen und Zahnlücken lernen kann
Lütz stellt verschiedene
therapeutische Verfahren zur Lösung von denk- und Gefühlsblockaden
vor und
kommt dabei zurück auf: Paul
Watzlawick, Milton Erickson, Steve de Shazer und Gunther Schmidt.
Interessant in diesem Zusammenhang
der Hinweis auf Watzlawick: dieser komme zu dem Schluß, daß die
Gesundheit eines Systems sich
dadurch zeige, daß es sich immer wieder "wie Münchhausen" aus
dem Sumpf
der Krise ziehen könne (71).
VII. Der blockierte Riese - Über die Kräfte der katholischen Kirche
Gesucht wird hier nach Lebenszeichen, nach den Ressourcen der kath. Kirche.
1. Die katholische Lösung - Eine Lösung zweiter Ordnung
Im Rückgriff auf den Gnadenstreit
im 16. Jahrhundert empfiehlt Lütz die damalige >Lösung<:
Vermeintlich
Unversöhnliches nebeneinander stehen
lassen. Vom ultimativ vorgegebenen >Entweder-oder-Rahmen< zu
einem >Sowohl-als-auch-Rahmen<
übergehen.
2. Psychologisch unmöglich, aber wirklich katholisch - Die Orden und das Exklusivitätsverbot
Auch und gerade in der Vielfalt der
katholischen Orden und Lebensformen: Niemand ist mehr katholisch
als die anderen.
3. Perspektivwechsel - Was die katholische Kirche von einem Stammtisch unterscheidet
Ganz wichtig in der Kirche und im
Unterschied zu den meisten Stammtischen und Ideologien: das Unfehlbar-
keitsverbot. Niemand ist unfehlbar.
Selbst der Papst als Leiter der Kirche ist definitionsgemäß in
den aller-
meisten seiner Äußerungen
fehlbar.
4. Beleuchtungswechsel - Der Weg aus der Problemtrance
Dem vielfältigen Gejammer in
der Kirche über rückläufigen Kirchenbesuch u.ä. sollte
ein Perspektivwechsel
entgegengestellt werden: Warum kommen
so viele Menschen Sonntag für Sonntag in die Kirchen? Warum ist
die Sonntagsmesse die meistbesuchte >Massenveranstaltung<
in unserem Land? Warum ist nicht nur mehr
alles Karstadt oder Kaufhof? Die offensichtlich
von der Kirche in hohem Maße vermittelten Sinn- und Wer-
teorientierungen gilt es in den Blick
zu nehmen, positiv zu betonen und zu verstärken.
5. Utilisieren von Problemen - Über die Zahnlücken der Kirchengeschichte
Den vielfältig genannten Vergehen
der Kirche in ihrer Geschichte (Kreuzzüge, Hexenverbrennungen,
Ausbeutung, Inquisition u.a.) sind die
ebenfalls sehr vielfältigen Positiva gegenüberzustellen. Es gibt
auch
wahre Heilsgeschichte.
6. Bewältigungsstrategien - Bewährte Methoden, Rückfällen zu begegnen
Die Kirchengeschichte lehrt, daß
die Kirche bereits zahlreiche Krisen bewältigt hat; und zwar nicht dadurch,
daß sie gejammert hat und in Problemtrance
gefallen ist, sondern dadurch, daß sie sich auf ihre Quellen
besonnen hat: Gott in Jesus Christus
und im Heiligen Geist.
7. Ressourcen - Warum "dieser Saustall zweitausend Jahre nicht untergegangen ist"
Wichtig und hilfreich ist die Konzentration auf die Wesensvollzüge der Kirche:
(1) Martyria (kirchliches
Bekenntnis)
(2) Leiturgia (kirchlicher
Gottesdienst)
(3) Koinonia (kirchliche
Gemeinschaft)
(4) Diakonia (kirchliches
Sozialengagement, Caritas).
Gelebt wird oft (2) im Sonntagsgottesdienst
und (3) beim Pfarrfest. Geringer ausgeprägt wenn nicht sogar
fehlend sind in den Gemeinden oft (1)
und (4).
VIII. Der entfesselte Riese - Ausblicke nach der Therapie
Wen die ausführlich
dargelegten Ressourcen der Kirche wieder angezapft werden und lebendig wirken
dürfen,
wird - so Lütz - die Kirche aus ihrer derzeitigen Krise
wiederauferstehen.