W. KASPER, Die Kirche angesichts der Herausforderung der Postmoderne,
in: StZ 215 (1997) 651-664;


Der inzwischen als Kurienbischof in Rom tätige Walter Kasper erkennt die Wurzeln des Begriffs >Postmoderne< bereits
im geistigen Umfeld Nietzsches bei Rudolf Pannwitz in dessen Buch >Die Krisis des europäischen Geistes< (1917). Als
wichtige Merkmale der Postmoderne und damit als Herausforderung an die Kirche benennt er:

(1)    Die Absage an das Einheitspostulat bzw. den pluralistischen Grundzug: "Postmodernismus ist nicht nur die
        Akzeptanz und Tole
ranz von Pluralität, sondern eine grundlegende Option für den Pluralismus. Er behauptet eine
        plurale Rationalität:die Vernunft ist ihm
selbst plural geworden: Wahrheit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit gibt es
        nur im Plural"
(654).

(2)    Wider den Totalitätsanspruch wissenschaftlicher Vernunft - der ästhetische und mystische Grundzug der    
        Postmoderne:
"Als problematisch erweist sich... hier... die Abschottung ästhetischer Wahrheit gegenüber den An-
        sprüchen allgemeiner Kommunizierbar
keit" (657).

(3)    Die Verabschiedung der Hoffnung auf eine geschichtliche Vollendung - der nihilistische Grundzug der
        Postmoderne:
"Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch einen Ausfall der Eschatologie. Der Glaube an eine Vollen-
        dung der geschichte, an Gericht und Versöhnung
ist heute weitgehend aus dem Bewußtsein geraten... Der Sinn
        des Lebens wird (deshalb in dem Versuch gesehen, das Beste aus dem Le
ben herauszuholen, und es ist erstaunlich,
        welche Anstrengungen viele Menschen auf sich nehmen, um dem hohen Niveau ihrer Lebens
wünsche und Glücksan-
        sprüche zu entsprechen"
(661)

W. KASPER spricht sich dafür aus, in der Auseinandersetzung mit diese Positionen, vor allem
- das philosophische Denken
- die Trinitätslehre
- und das Verständnis Jesu Christi als >Fülle der Zeit<
neu stark zu machen.

Insbesondere letzteres diene dazu, die gesamte Geschichte "nicht nur als Siegergeschichte, sondern auch und vor allem als Leidensgeschichte zu verstehen. Die christliche Memoria passionis hält das Gedächtnis fremden Leids fest und nimmt damit
die Erfahrung des Scheiterns ernst. Zu
gleich hält sie an der Hoffnung auf die endgültige Vollendung unerschütterlich fest"
(663).

Herbert Frohnhofen, 21. November 2003